Interview des österreichischen Nachrichtenmagazins mit Christoph Schlingensief aus Anlaß der animatographischen Installation „Area7“ am Burgtheater Wien
Von Christoph Hirschmann
Format: Ihre „Animatographen“ wirken wie pulsierende Organismen…
Schlingensief: …wie Lebewesen, die reden, lärmen und gefräßig sind. In Afrika haben wir an einem „Animatographen“ im Township AREA7 gebaut, in einem Gebiet, wo man eher skeptisch ist, wenn Weiße aufkreuzen, um ihren üblichen Missionarstrieb auszuleben. Aber wir waren keine Gutmenschen, die da im Austausch gegen ein paar „Vater Unser“ mit einem Kanister Wasser ankamen. Der „Animatograph“ ist weder eine Bob-Geldorf-Gitarre noch ein großzügig zusammengeschnürtes Hilfspaket. Die Leute vor Ort haben sich für das Projekt interessiert; nicht die brauchten uns, sondern wir brauchten deren Hilfe. Man guckte uns zu, stellte Fragen – „Ist das ’ne Kirche? Ist das ’n Schiff?“ -, baute mit und brachte den „Animatographen“ in Bewegung.
Format: Jetzt bauen Sie zusammen mit den Technikern der Burg vier „Animatographen“.
Schlingensief: Und auch die haben sichtlich Freude daran. Das sind ja hier echte Koryphäen! Die arbeiten blitzschnell, gucken sich alles an und lachen sich auch oft kaputt. Auch Burgtheaterdirektor Bachler ist sehr enstpannt! Der sitzt oft eine halbe Stunde in den Proben, lacht, macht ein paar Vorschläge und geht wieder.
Format: Der Erfolg der Nitsch-Aktion wird ihn beruhigen.
Schlingensief: Der Erfolg von „Bambiland“ auch. Da haben wir noch vor Nitsch die Tür des Burgtheaters einen kleinen Spalt aufgestoßen. Nitsch hat dann eine Flügeltüre aufgestemmt.
Format: Im Labyrinth Ihrer „Animatographen“ finden sich jede Menge religiöser Referenzen. In dieser Beziehung ähneln Sie ja schon den österreichischen Kollegen.
Schlingensief: Ich interessiere mich für Religion, aber nicht für Esoterik. Jedenfalls wandle ich nicht auf den Spuren von Nitsch, nach dem Motto: „So, jetzt nehmen wir mal Kontakt mit den Sphärenklängen auf“ usw. Trotzdem finde ich es spannend, was Nitsch macht. Man kann einwenden: Es fällt ihm nichts ein. Man kann aber auch dafürhalten: Er bleibt sich treu. In jedem Fall sind mir seine Aktionen tausendmal lieber als so eine ideenlose Ausstellung wie „Superstars“. Das ist Langeweile pur!
Format: Beim Betrachten der „Animatographen“ fällt einem auf, daß Sie häufig Zelte und Planen verwenden. Weshalb?
Schlingensief: Gute Gedanken sind wie Zelte: Man kann sie auf- und abbauen. Man kann sie zerstören, während Blödheiten wie Betonklötze in der Gegend herumstehen. Ich hatte immer ein enges Verhältnis zu Zelten: Die Partei, die ich hatte, wurde in einem Zirkuszelt gegründet; im Kosovokrieg wohnte ich kurze Zeit in den Zeltlagern Stankovac I und II. Im übrigen besitze ich keine Eigentumswohnung und habe auch kein Haus, im Gegensatz zu etlichen meiner Kollegen. Die machen jedes Jahr vier Theaterinszenierungen, haben ein Häuschen in der Toskana und sind nicht nur an einem, sondern gleich an mehreren Orten Festivalchefs. Ich frage mich immer: Wo tanken die alle auf? Ein sattes Konto zu haben, wäre mir zu wenig.
Format: Im Pressetext erwähnen Sie Namen großer Künstler und Unterstützer: Beuys, Jelinek…
Schlingensief: …Die Liste der Unterstützer hätte noch viel länger sein können: Francesca von Habsburg, Harald Falckenberg, Julia Stoschek… Ohne Francesca von Habsburg hätte die Island-Edition des „Animatographen“ nicht stattgefunden, anschließend hat sie diesen „Animatographen“ in ihre Sammlung aufgenommen. In der Zwischenzeit gibt es mehrere Anfragen aus dem Ausland, was nicht heißt, daß ich zukünftig nur noch Museumskunst machen will. Aber es ist für mich eine totale Befreiung aus dem starren Theaterkontext in Richtung bildende Kunst, sogar hier an der Burg. Denn wie schon in Island, Neuhardenberg und Namibia hat sich der „Animatograph“ auch hier nicht nur vom Theater-, sondern gleich vom ganzen regulären Kunstbetrieb verabschiedet, denn der Stumpfsinn ist ja ein genereller: Da photographieren Künstler ihre Fußnägel, dübeln Popel an die Wand und werden von der Fachkritik hochgejubelt – das ist Bullshit!
Format: Auch auf den Dichter und Aktionisten Dieter Roth berufen Sie sich.
Schlingensief: Bei Roth kommt meine Phantasie auf Touren! Den verehre ich noch mehr als Beuys. Er hat in Island gelebt, vier Monate im Jahr in der Dunkelheit, hat sich wahrscheinlich die Hucke vollgesoffen und auf einer Zeitebene gelebt, auf der wir nicht mehr leben können, weil wir pausenlos Ergebnisse abliefern müssen.
Format: Und Beuys?
Schlingensief: Man muß angreifbar bleiben, sich immer wieder zur Disposition stellen – das hat Beuys gemacht. Genau diese Erfahrung mache ich in Zusammenhang mit meiner Professur an der HBK Braunschweig. Meine Studenten sind nach Wien gekommen, haben sich den Arbeitsprozeß angeguckt und mich skeptisch gefragt: „Was soll das werden?“ Dann sind sie darauf eingestiegen, mittlerweile bauen sie mit. Sie sind, wie die Leute in Afrika, existentielle Bestandteile des „Animatographen“, ohne die er sich nicht drehen kann.
Format: Wird Patty Smith ins Burgtheater kommen?
Schlingensief: Patty Smith ist am 17. Jänner dabei und wird die Installation, wie schon in Afrika, musikalisch bespielen und dokumentieren. Es gibt tatsächlich auch schon eine Anfrage für den „Animatographen“ aus New York. Es ist nicht auszuschließen, daß dann auch Paul McCarthy mal darauf tanzt.
Format: Man hört, daß auch Adolf Hitler und Paula Wessely in einer Burgtheater-Loge sitzen werden?
Schlingensief: Ja, die waren ja nie weg. Die geistern hier rum und gucken sich das an. Hitler hatte hier seine eigene Loge und alle haben sich die Hälse verrenkt, um ihn mal zu sehen: „Da is‘ er, der Führer, da is‘ er!“ Das waren ja viel größere Inszenierungen als auf der Bühne selbst.
Format: Sie wirken trotz Probenstresses recht entspannt.
Schlingensief: Heute haben mir fünf Leute gesagt: „Du siehst aber gut aus!“ Die denken alle, vor einer Premiere muß man aussehen wie ein Hund mit Hängeaugen – „Ach, es ist alles ganz furchtbar! Ich weiß nicht mehr weiter!“ Da ist das Theater ziemlich auf den Hund gekommen. Ich fühle mich nicht so! Außerdem bin ich immer wieder froh, wenn ich Deutschland den Rücken kehren kann. Die Deutschen haben ihre faschistische Grundneigung in permanente schlechte Laune umgewandelt. Wir sind Weltmeister in Depression und Destruktivität.