Christoph Schlingensief. Der Theater-Aktionist gastiert mit seiner Rieseninstallation Animatograph am Wiener Burgtheater
Von Susanne Zobl
„Man muß das wie ein Gemälde sehen, wie eine Komposition. Und diese Komposition haben der Raum und die Zeit geschrieben“, erläutert Christoph Schlingensief. Er probt, konzipiert, besser: Er komponiert gerade die Partitur zu seinem Burgtheater-Projekt AREA 7 – Sadochrist Matthäus – Eine Expedition von Christoph Schlingensief.
Jelinek-Text.
Elfriede Jelinek hat dazu einen eigenen Text verfaßt, der sich um den Künstler selbst dreht, und ihn für Schlingensiefs Aufführung gelesen. Dabei hat er sie gefilmt. Auch dieser Film wird im Burgtheater zu sehen sein. Ob als Teil einer Installation, als Überblendung oder als „Sonnenscheibe“, wird der Betrachter im Jänner in der Burg selbst erleben.
Eines ist aber jetzt schon klar, wer sich auf eine Provokation freut, wird herb enttäuscht werden. Denn Schlingensief macht Ernst mit Kunst am Theater. Wir trafen den Regisseur, Filmemacher und Theaterkünstler bei den Proben im Arsenal und wurden Zeuge einer Momentaufnahme des Forschers auf dem Weg zu einem „Theater als Versuchsanstalt“; Schlingensief war gerade damit beschäftigt, seine sogenannten Animatographen, eine Rieseninstallation aus fünf begehbaren Drehbühnen, zu konstruieren.
Dieser typisch Schlingensiefschen Konstruktion war allerdings im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von künstlerischen Stationen vorangegangen:
Station I: Bayreuth. Der Ausgangspunkt: sein Bayreuther Parsifal. Als Schlingensief 2004 in Bayreuth Wagner inszenierte, war für ihn eines klar: Bayreuth braucht eine Drehbühne. Wolfgang Wagner gehorchte dem Wunsch seines Schützlings, und Schlingensief stellte ein Bühnenweihspiel auf die Bühne, das auch noch im zweiten Jahr nach seiner Entstehung die Opernwelt aufmischte. Der Erlösungsmythos begann sich im besten Wortsinne zu drehen. Schlingensief verwob afrikanische Mythen mit dem Gralsmythos. Denn er sieht Kundry aus Afrika stammend und den „tumben Toren“ als Hasen, der in der afrikanischen Sagenwelt den Menschen die Erlösung verkündet. So projizierte er Filme von Hasen und Seelöwen – diese als Anspielung auf die Trägheit der Gralsritter – auf die Bühne.
Die Süddeutsche Zeitung faßte zusammen: „So kommt es in Bayreuth nicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Parsifal, sondern zu einer Fortschreibung – was derzeit eine der spannendsten Formen ist, sich solch einem Stück zu nähern.“ Daß Schlingensief ein Jahr später seine Arbeit selbst fortschrieb, überrascht keineswegs.
Station II: Reykjavík. Wo die europäische auf die amerikanische Kontinentalplatte trifft, wo der Dichter und Universalkünstler Dieter Roth immer wieder lebte und wirkte, installierte Christoph Schlingensief seinen ersten Animatographen, eine Drehbühne, die nordische, europäische und afrikanische Mythen verbindet. Dabei zeigte er filmische Visionen von Wagners Gral, die er mit den schamanistischen Bräuchen Afrikas und Elementen der isländischen Sagenwelt der Edda verknüpfte.
Station III: Odins Parsipark. Gleichsam als Fortschreibung des Island-Projekts erweiterte Schlingensief im August seinen Animatographen und ließ auf dem ehemaligen Militärflughafen und im angrenzenden Wald in Neuhardenberg eine neue Kunstlandschaft aus mehreren Stationen entstehen, die er Odins Parsipark nannte. Elemente seines Bayreuther Parsifal, wie der Erlöser als Hase, trafen hier auf Gestalten aus der isländischen Sagenwelt. Ein Film zeigte den Schauspieler Klaus Beyer, wie er den „Terror-Strauß“ jagt, ein Video präsentierte Affen in Nazi-Kostümen, ein Raum war dem „Hasenfisch“ gewidmet und thematisierte den Erlösungmythos, ein anderer die Mondlandung.
Neben Joseph Beuys’ Idee von der „Sozialen Plastik“ fanden sich auf dem Gelände Elemente von Weltkünstlern wie Bruce Nauman. Horst aus Schlingensiefs Truppe agierte als Hitler. Der Betrachter konnte – wie bald auch im Burgtheater – die Drehbühnen begehen, wurde Teil der Installation, konnte frei entscheiden, wie lange er sich wo aufhält, wurde Beobachter und Beobachteter zugleich. Verwunderung. Verwirrung, Verwunderung – und auch Bewunderung – herrschten beim Publikum vor. Christoph Schlingensief hatte sich auf die Suche nach einem neuen Begriff von „Gesamtkunstwerk“ begeben, wo Oper, Theater, Film und Aktionskunst miteinander verschmelzen.
Die amerikanische Punkrockkünstlerin Patti Smith, die Schlingensief bereits in Bayreuth kennengelernt hatte – sie berichtete dort für die Hamburger Zeit –, mischte sich am ersten Abend unter die Betrachter und war so fasziniert, daß sie den Theatermacher nach Namibia begleitete. Patti Smith wird auch im Burgtheater präsent sein wird, ob auf Zelluloid, als Beteiligte oder Betrachterin, ist, wie so oft bei Schlingensief, noch nicht fix.
Station IV: Lüderitz/Namibia. Im Oktober zog Schlingensief dann mit seinem Animatographen nach Afrika weiter: nach Lüderitz in Namibia. In der ehemaligen deutschen Kolonie fand er ein Barackendorf, genannt Area 7, das schließlich auch als Titelgeber für sein neues Burgtheater-Projekt fungiert. Hier wurde Dieter Roth wörtlich genommen: „Die Umgebung wird zum Werk.“ Schlingensief baute dort die nächste Version seines Animatographen auf. Inmitten der Baracken ließ er ein Schiff schleppen – es wird auch an der Burg zu sehen sein – und zeigte damit Bilder, die die Welt sonst nie gesehen hätte. Denn Area 7 ist eine vor der Welt verborgene Landschaft, wo Menschen gleichsam auf ihre „Entsorgung“ warten.
Selbstverständlich hatte Schlingensief sein Personal der vorangegangenen Stationen mitgenommen: Patti Smith im schwarzen Mantel oder den jungen österreichische Filmschauspieler Robert Stadlober – er wird auch im Burgtheater mit von der Partie sein.
Station V: Burgtheater. Was also werden wir im Burgtheater sehen? Faktum ist: Christoph Schlingensief wird fünf Animatographen aufbauen, die sich zu einem ganzheitlichen Gedankengang vereinen sollen. Dazu wird er die Sessel im Parkett ausräumen lassen.
Die ursprünglich angekündigte Passionsgeschichte wird nur noch ein Teil des Ganzen sein. „Das Errichten, das Vollenden, das Abwarten, das Zerstören, das ist eine Passion. Man wird geboren, man baut sich auf, man entwickelt sich, man steht ein bißchen rum, und dann wird man abgebaut, dann zerfällt man. Area 7, das ist eine Passion“, sagt Schlingensief. Wie sehr man sich auch in Schlingensiefs Gedankenlabyrinth verlaufen mag – man erfährt, wie „Raum zur Zeit und Zeit zum Raum“ werden kann.
Eine Weltreise.
Projekt-Start ist am 14. Jänner im Kasino mit einem Einführungsgespräch, am 17. Jänner folgt eine erste animatographische Begehung, und am 20. Jänner geht die erste Aufführung über die Bühne.
Dann wird der Animatograph seine Weltreise fortsetzen, vielleicht nach Nepal, und er wird sich weiter drehen. Denn wie heißt es doch bei Joseph Beuys: „… aber die Ursache liegt in der Zukunft.“