von Susanne Lang
taz: Herr Schlingensief, ein beleidigter Kritiker, der sich so verletzt fühlt wie nie, weil ihm sein Notizbuch weggerissen und er beschimpft wurde, und ein gefeuerter Schauspieler – ist das ein Theaterskandal?
Christoph Schlingensief: Ja, unglaublich, nicht? Die Frage ist doch, ob es sich um eine gezielte Provokation handelt. Wenn ich mit einer Sprühdose auf eine Dame in Pelz losgehe, dann ist es eine. Aber wenn ein Kritiker wie Gerhard Stadelmaier in eine Inszenierung geht, die aus Überzeugung einen Ansatz wählt, der ihm nicht gefällt, dann weiß er trotzdem, worauf er sich einlässt. Stadelmaier legt da eine gewisse Drogensucht an den Tag: Er muss immer hingehen, obwohl er weiß, dass es nichts für ihn ist.
Sie haben auch Ihre Erfahrung mit ihm gemacht?
Oh ja. Mir hat er einmal die Regiegage abgesprochen. Weil er der Ansicht ist, es gäbe bestimmte Theaterregeln, die einzuhalten seien. Aber gerade deshalb freut mich der Vorfall in Frankfurt riesig. Jetzt ist Herr Stadelmaier endlich im Club der Peinlichen angekommen. Theater ist eine peinliche Veranstaltung, und dass Thomas Lawinky seinen Schniedel auf der Bühne rausholt, warum auch immer, das kommt halt vor. Gerade in einer Zeit, wo Karikaturen wirkliche Dramen auslösen, macht sich ein angeblich Chefkritiker selbst zur Karikatur. Das finde ich toll.
Ist es nicht überzogen, dass er mit einem Angriff auf die Pressefreiheit argumentiert?
Ja, das Notizblut als Schweißtuch, das gerade ist ja das Peinliche. Er stilisiert sich immer noch als Theaterkritikergott, aber die Zeiten sind vorbei, nur er hat es noch nicht gemerkt. Im Theaterbereich gilt er allgemein als betonierter Betonkopf, und ich glaube sogar, dass auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ihm ganz bewusst so viel Platz zur Selbstdarstellung einräumt, weil dieser Mann für das Blatt fast nicht mehr tragbar ist.
Und da kommt ihm ausgerechnet Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) zur Hilfe, die ja die Kündigung von Lawinky forciert hat?
Wenn Frau Roth zum Hörer greift, ohne sich zu erkundigen, was genau passiert ist, dann macht sie das vor dem Hintergrund der Kommunalwahl. Sie will sich auf keinen Fall mit der FAZ anlegen. Frankfurt ist ja ein Dorf. In Berlin würde man da nur gelangweilt abwinken, und es ist klar, dass sich jemand wie Claus Peymann sofort solidarisiert.
Sehr viel Solidarität haben Lawinky und sein Regisseur nicht erhalten.
Das wird sich ändern, wenn die Sache vor Gericht geht. Ich kenne die Frankfurter Intendantin, Elisabeth Schweeger, schon länger und habe einige Diskussionen an dem Haus miterlebt, sie hat es nicht leicht. Eigentlich passt Schweeger nicht nach Frankfurt. Aber es holt sie niemand, was wieder zeigt, wie sehr die Langeweile am Theater ausgebrochen ist. Es ist extrem gediegen und uninteressant geworden.
Sie teilen Lawinkys Ansicht, dass absurdes Theater nicht mehr möglich sei, da die Welt so absurd sei?
Na ja, es wäre nun müßig zu sagen, wir haben damals zwei Schwänze rausgeholt oder „Tötet Helmut Kohl gerufen“. Ich glaube, Lawinky ist gerade einfach baff. Es gibt eben obsessive Momente auf der Bühne – aber im Gegensatz zum deutschen Film, wo der Exzess gerade wieder ausgezeichnet wird, sollen am Theater eben besondere Regeln gelten. Das ist doch der Tod des Theaters! Spontanität auf der Bühne macht die Qualität aus.
Auf die Qualität pocht ja auch Gerhard Stadelmaier…
Vielleicht sollte man die FSK im Theater einführen, einen Warnhinweis für Kritiker, die in seinem Geisteszustand sind: Achtung, jeder Kritiker, der den Raum betritt, ist gleichzeitig auch Objekt, Gegenstand, Beteiligter der Inszenierung. Zuvor sollten wir uns alle, alle Theaterleute, bei ihm entschuldigen, für alles.
taz Nr. 7903 vom 21.2.2006, Seite 14, 127