Interview mit Christoph Schlingensief aus Anlaß der Vorbereitungen zur Installation „Hodenpark“ im Museum der Moderne Salzburg 2006
Fast parallel zur Festspieleröffnung zeigt Christoph Schlingensief im Museum am Berg sein Langzeitprojekt „Animatograph“. Mit Top of Salzburg sprach er über Mozart und Wagner, über Besserwisser, Filmbelichtung und Verdauung.
Sie gelten allseits als Provokateur, wollen das aber gar nicht.
SCHLINGENSIEF: Das liegt nur daran, dass die Leute so heftig reagieren. Ich habe eine Neigung zu sehr direkten Bildern und bin auch mal ein bisschen tourettemäßig unterwegs. Wenn mich was wütend macht, werde ich wütend. Aber ich bin nicht drauf aus, dass die Leute sich provoziert fühlen. Die provozieren sich selber und meine Arbeiten werden dabei nur instrumentalisiert. Interessiert mich aber auch nicht mehr. Sollen sie sagen, was sie wollen. Wir arbeiten sowieso weiter.
Sie sind ja seit Parsifal ein begehrter Opernregisseur, würden sie gerne Mozart inszenieren?
SCHLINGENSIEF: Mozart kenne ich nicht. Ist das der mit den Mozartkugeln und dem Trachtengeschäft in Salzburg? Der, der uns nichts mehr zu sagen hat außer Geschäftemacherei? Es war ein Glück, in Bayreuth arbeiten zu können. Man hat mir daraufhin jetzt in Manaus den Fliegenden Holländer angeboten und das wiederum ist genau meine Geschichte.
Was reizt sie an Opern?
SCHLINGENSIEF: Wagners Vorstellung vom Bühnengeschehen. Die Erschaffung eines gesamten Organismus von Bild und Musik. Orchester zum Verschwinden bringen und dann auch noch die Sänger. Heutzutage steht Oper für Beton. Sinnlose Aktualisierungen, kein Gespür für die „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Die Oper unterstellt mir, ich würde sie ruinieren, dabei hat sie nur Angst, dass ich sie in ihrer Feigheit vor der Kraft der Musik zerstöre. Es stinkt doch zum Himmel, wenn sensationelle Dirigenten wie Thielemann begeistert sind, weil die Bühne saft- und kraftlos erscheint. Sie müssten sich freuen, wenn man die Musik endlich wieder als mystischen Abgrund begreift, der die Begehrlichkeiten in uns wachsen und die Dämonen tanzen lässt.
Was macht Sie wütend?
SCHLINGENSIEF: Das Dümmste und Billigste für einen Regisseur ist es, einfach den Gegenwartsbezug herzustellen: „Figaro ist ein aktuelles Stück“ oder „Mozart ist wahnsinnig aktuell“ und so ein Blödsinn. Wenn man bei so einer Operninszenierung schon von draußen den Beton riecht, dann ist das nicht aktueller, sondern strohdumm. Es wäre genauso blöd, mit Blick auf Antisemitismus, Deutschtümelei oder National Befreite Zonen von Wagner zu behaupten, er wäre aktueller denn je. Man könnte Christen, Muslime, Juden, Antisemiten und Außerirdische vereinen. Das aber geht nicht, wenn man Mozart zum Beispiel auf blödsinnige Beziehungskisten reduziert. Man verkauft ihn als kindischen Prinzen und dann mit hochmoralischem Tonfall.
Das wird aber von Medien und Publikum nicht so wahrgenommen.
SCHLINGENSIEF: Wenn man das Opernpublikum seit Jahrzehnten verdummt, dann ist das doch kein Wunder. Blödsinnige Musikkenner offerieren Opern wie Sachertorten. Sie sind Teil der Verkaufsmaschine. Sie stinken nach Zuckerguss und Schlaftabletten. Sie sind nicht mehr in der Lage die Dimensionen der musikalischen Prä-Natur zu begreifen. Niemand an der Oper sollte glauben, er würde frei entscheiden. Bevor er denkt, er hätte die Note geäußert, war sie schon da. Sein limbisches System hat entschieden, nicht der mathematische Kopf. Daran ist schon Adorno gescheitert.
Das Publikum nimmt diese Argumentation aber an.
SCHLINGENSIEF: Aber da geht es doch nicht um Argumente. Das Stammpublikum, das die Deutungshoheit beansprucht, hat vor der Aufführung ein Gläschen getrunken und für den späteren Abend schon den Restauranttisch reserviert. Da geht es doch nicht um Auseinandersetzung. Da geht es um Konsum von Kunst, die zum Wein passen muss.
Was halten sie entgegen?
SCHLINGENSIEF: Es ist ein Glück, dass ich mit Filmen begonnen habe und jetzt auch wieder welche mache. Da geht es um Belichtung, einfache, doppelte, mehrfache Überbelichtung. Ich schaue und frage: Was ist so überbelichtet und so unterbelichtet in der Gesellschaft, dass man es gar nicht mehr sieht. 9/11 zum Beispiel ist so ein heller Blitz, der uns einfach alle immer noch blendet. Dabei war er nicht einmal ein musikalischer Triller.
Wie stehen sie zu institutionalisierter Provokation, die sich gerne als Kontra zum Establishment inszeniert und dann tatsächlich enorm heftige Reaktionen bekommt?
SCHLINGENSIEF: Gibt es überhaupt noch etwas Etablierteres als Provokation? Der Schutzraum der Kunst. Das sind Mätzchen. Strohdumme
Reaktionen, die Empörung von Öffentlichkeiten, die dem Künstler abschließend auch noch den Eindruck vermitteln, er wäre kontrovers und hätte aufgewühlt. Kunst verfilmt zu oft die eigenen Fußnägel.
Wie positionieren sie sich dann?
SCHLINGENSIEF: Die Opernindustrie weiß wie sie ohne Ecken und Kanten ihre Kohle vermehren kann. Es gibt ein Trachtengeschäft in Salzburg, dass man Bin Laden empfehlen sollte, zumindest seiner Familie, und all das passt zusammen,wenn man nicht nur an der Verfilmung der eigenen Fußnägel interessiert ist. Und auch diese Äußerung bleibt Kunst! Mein Schutzraum wäre in diesem Falle: Kohle vermehren, Trachten tragen, Kontraspielen und in Wirklichkeit geschluckt werden…
SCHLINGENSIEF: Sie zeigen im Museum am Berg den Animatographen. Geht es dabei um die Festspiele und um Mozart? Er ist ja zur Festspielzeit zu sehen. Man sollte diesem angeblich kerngesunden Typen seine kranke Seite zurückgeben. Und dazu bringen wir den Animatographen mit. Der frisst Mozart und scheißt ihn. Vor der Scheiße hängen Eier und das sind die Kugeln. Und dann frisst uns Salzburg
und dann verdaut es uns, und dann werden wir Dünger für neue Transformationen. Der Animatograph handelt selbst. Er transformiert die Zeit zu Raum, hier wird zum Raum die Zeit.
Sind sie ein Pessimist?
SCHLINGENSIEF: Ich bin guter Dinge ! Und die sind kohlrabenschwarz. Meine Festhalle ist voller Geister. Und genau deshalb habe ich große Lust zu leben. Weil es nicht so kapriolenhaft ist wie bei Mozart. Probleme beschleunigen mich mehr als ein gutes Abendessen. Das heißt nicht, dass ich nicht gerne gut esse. Sagen wir es so:Wenn mir was gefällt, dann sehe ich es genau an und finde bald etwas, was daran nicht so schön ist. Aber das hat nichts mit Pessimismus zu tun, sondern mit fröhlicher Melancholie.
Danke für das Gespräch
Aus: Top of Salzburg (Stadtmagazin) vom 15.07.2006