Auch im dritten Jahr stieß Schlingensiefs kaleidoskopische Inszenierung am Grünen Hügel auf heftige Proteste, aber auch auf wachsende Zustimmung
Bayreuth – In den letzten Jahren ist es bei den Bayreuther Festspielen Brauch geworden, den eintreffenden Journalisten neben Pressekarten und Programmbroschüren zusätzlich noch einige fliegende Blätter in die Hand zu drücken. Auf diesen finden sich Texte, in denen versucht wird, die einzelnen Inszenierungen zu erklären.
Auch für Christoph Schlingensiefs heuer zum dritten und vielleicht letzten Mal gezeigte Gestaltung des „Parsifal“ erhält man so ein GPS, mit dessen Hilfe man sich im Dickicht der szenischen Assoziationen zurechtfinden soll. Abgesehen davon, dass Kunst, also auch Theater und erst recht Musiktheater, in erster Linie zwingend erlebt und nicht wie ein Sudoku nach vorgegebenen Richtlinien ertüftelt werden will und soll, ist gerade im Fall dieses Bayreuther „Parsifal“ angesichts des unablässig brausenden Bildersturms jeder Versuch, sich an diesen schriftlichen Wegweiser zu halten, ohnedies völlig aussichtslos.
Schlingensiefs Annäherung an Wagner erfolgt nämlich, im diametralen Gegensatz zu den sonstigen Usancen fortschrittlicher Opernregie, in erster Linie über die Musik. Schon ein Blick in sein Regiebuch verrät, dass es in erster Linie die musikalischen Impulse sind, auf die er mit ständig wechselnden optischen Oszillogrammen reagiert.
Augenmusik
Das Ergebnis dieses völlig unüblichen Umgangs mit Wagner ist eine Art von Augenmusik. Die Töne konkretisieren sich zwar ins Gegenständliche. Doch diese Bilderwelt entzieht sich, wie die Musik, aus der sie entsteht, strikt der rationalen Deutung.
Dazu ist die rasende Eile, mit der Schlingensief, unterstützt von seinem Lichtdesigner Voxi Bärenklau, die Bilder über die von Daniel Angermayr und Thomas Goerge geschickt gestaltete Vielzweckbühne jagt, viel zu groß. Viel zu groß ist auch das Staunen über die an David Copperfields Kunststücke erinnernde Fertigkeit, die Bühne in Bruchteilen von Sekunden durch akrobatische Lichteinsätze zu verwandeln, palastähnliche Strukturen zu Hütten veröden zu lassen, durch reichlichen Einsatz der Drehbühne die Schauplätze in beständigem Wechsel zu halten und durch Projektionen noch zusätzlich zu verrätseln.
Natürlich spürt man, woher der Bildersturm weht. Aus Zonen, in denen Schlingensief Magie und Mythos noch für vital und wirksam hält, wie etwa in Nepal oder Namibia. So liegt eine dunkle Urmutter über dem Gral, auch Klingsor (John Wegner) erscheint als dunkle Urgestalt, die sich wie einst Johnny Weissmüller als Tarzan über die Szene schwingt. Auch die zahlreichen, wie gestochen aus dem Dunkel des Hintergrundes hervorfahrenden Ornamente verweisen in den Osten, ebenso wie das arabische Schriftbild eines Ausschnitts aus Friedrich Hölderlins „Hyperion“.
Daneben wirken jene Elemente, die leicht deutbare Zeitnähe markieren, wie etwa die Projektionen zerstörter Landschaften im Nahen Osten oder gar der zu Beginn des zweiten Aktes etwas unbeholfen ulkig angedeutete Security-Check, dem sich einige Blumenmädchen vor dem Eintritt in Klingsors Zaubergarten zu unterziehen haben, eher deplatziert. Sie verstören durch ihre vordergründige Intepretierbarkeit die ansonsten so reizvolle Aura der ahnungsvollen Verrätselung.
Und an jenen Stellen, in denen die Handlung nichts anderes ist als konventionelle Oper, schrammt dieser luzide, flirrende Kosmos gegen die harte Wirklichkeit des Opernhandwerks.
Nichts als dieses oblag Adam Fischer, der diesmal anstelle von Pierre Boulez am Dirigentenpult stand und für Schlingensiefs szenische Metamusik die gediegene Ursubstanz erzeugte.
Sie wurde auch heuer wieder von den Protagonisten trotz des ungewohnten Ambientes, in dem sie sich bewegten, auch auf der Bühne ausnahmslos qualitätvoll hörbar.
Vor allem Robert Holls Gurnemanz und die sich immer wieder zu beklemmenden Ekstasen steigernde Kundry von Evelyn Herlitzius schienen in jenen zeit- und ortlosen Bereich, in dem dieser „Parsifal“ siedelt, vorzudringen. Besondere stimmliche Intensität entwickelte auch Alfons Eberz in der Titelpartie, John Wegners Klingsor und auch Alexander Marco-Buhrmesters Amfortas. Wie an allen anderen Abenden erwiesen sich die von Eberhard Friedrich studierten Chöre als maßgeblicher Qualitätsfaktor.
(Peter Vujica aus Bayreuth/DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.8.2006)