Christoph Schlingensiefs „Parsifal“ in Bayreuth
Ein toter Hase, der im Zeitraffer auf einer Riesenvideoleinwand verwest, birgt offenbar auch im dritten Jahr von Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“ noch genügend Stoff für Erregung. „Stirb und werde“ ist ja durchaus ein wichtiges Thema in Wagners Alterswerk. Aber so genau will es zumindest ein Teil des Publikums dann doch nicht wissen. Nach der ersten Aufführung dieser Saison konnte sich der Regisseur an einer heftigen Buhattacke aus dem Publikum erfreuen, die allerdings durch eine Bravofraktion inzwischen konterkariert wird. Schlingensief, den so etwas kaum aus der Fassung bringt – schon gar nicht, wenn ihm das Ensemble wie hier seine Solidarität bekundet – trat dennoch oder deshalb mehrmals vor den Vorhang, sodass sich das Buh-Bravo-Konzert über eine Viertelstunde hinzog. Wer siegte, blieb unentschieden.
Dabei goutiert das Publikum, wie der Beifall nach dem zweiten Akt zeigte, inzwischen durchaus diesen Irrgarten, der die Welt bedeutet, diese Mixtur aus märchenhaften und religiösen Elementen, angereichert mit einer Bildfantasie, die sich bei Voodoopriestern und Schamanentum ebenso bedient wie beim Comic, beim Gruselfilm, ja, sogar bei Hundertwassers Märchenpalästen. Schlingensief liefert ein Spektakel, das, unbekümmert um Wagners Vorstellung vom „Bühnenweihfestspiel“, die Ästhetik von Videoclips und Computerspielen benutzt. „Parsifal“ ist dort angekommen, wo er eigentlich hingehört: in der Welt der Fantasy mit Zwergen und Elfen, mit Zauberern und Dämonen und geheimnisvollen Männerbünden. Der „Sakrileg“-Autor Dan Browne hätte seine helle Freude an dem Ideenreichtum.
In Bayreuth ist es auch ein Generationenproblem, das sich da auftut: das Publikum mehrheitlich im gesetzten Alter, Schlingensief Kind einer Zeit, in der die Bilderflut allgegenwärtig ist. Der ungarische Dirigent Adam Fischer , der den „Parsifal“ in diesem Jahr von Pierre Boulez übernommen hat, bringt das in einem Interview des Bayreuther Lokalblatts auf den Punkt: „Zu dieser Inszenierung kann ich deshalb nichts sagen, weil ich denke, dass meine Generation einfach nicht mit diesem Theaterstil mitkommt . . . Da findet so wahnsinnig viel statt auf der Bühne mit Videospielen und Beamern, dass mir schwindlig wird. Andererseits: mein Sohn etwa nimmt diese Arbeit ganz anders auf. Vielleicht liegt es daran, dass die Jugendlichen von heute mit Videospielen und Bildern sozialisiert wurden. Vielleicht muss man deshalb sogar sagen, dass diese Art Inszenierung die Zukunft bedeutet.“
Fischer übrigens, der sich in Bayreuth Meriten erworben hat – er war es, der 2001 den „Ring“ rettete, als Giuseppe Sinopoli plötzlich starb -, hat als „Parsifal“-Dirigent bewiesen, dass ihm die Schuhe seines Vorgängers nicht zu groß sind – wenn man nicht erwartet, dass er ein zweiter Boulez ist.
Die Besetzung der Rollen ist im Wesentlichen gleich geblieben wie im Vorjahr: Alexander Marco-Buhrmester als Amfortas, Jyrki Korhonen als Titurel, Robert Holl ein Gurnemanz, der an den Wildhüter in „Harry Potter“ erinnert. Dem Parsifal von Alfons Eberz fehlt es an jugendlicher Strahlkraft, John Wegner begeistert als Klingsor durch fast akrobatische Kunststücke. Etwas herb die Kundry von Evelyn Herlitzius.
„Die Bilder sind es, die bleiben“, dieser Satz taucht auf der Bühne als Graffito auf. Christoph Schlingensief bastelt noch immer an den Details seines Bilderkarussells, obwohl es ja schon 2008 einen neuen „Parsifal“ geben soll – schade eigentlich.
Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 04.08.2006. Von Iris Schmid.