Brandenburg: Premiere für Schlingensief-Projekt in Neuhardenberg
Aktionskünstler Christoph Schlingensief will sicher gehen: Die Zuschauer sollen wissen, was sie erwartet. Deshalb erläutert der Regisseur zu Beginn seiner Theaterinstallation «Der Animatograph – Odins Parsipark» am Freitagabend in Neuhardenberg (Brandenburg) dem meist aus Berlin angereisten Publikum sein Konzept per Megafon und lässt Lagepläne verteilen. «Entschuldigen Sie, dass wir hier kein Theater machen», stimmt der Mittvierziger die Besucher ein.
Für diese Station seines Langzeitprojekts zur Mythengeschichte wählte Schlingensief ein ehemaliges Militärcamp auf dem riesigen Flugplatzgelände des Ortes. Busse bringen die Zuschauer dorthin, die am Eingang auf die Landschaft eingestimmt werden: Im Frühjahr 1945 tobte auf den nahen Seelower Höhen eine der letzten großen Schlachten des Zweiten Weltkrieges. Tausende Soldaten verloren ihr Leben. Immer noch gibt die Erde sterbliche Überreste preis.
Ausgehend von seinem Operndebüt mit «Parzival» in Bayreuth entwickelte der Künstler auf der Suche nach dem modernen Mythos die Idee eines so genannten Animatographen und erarbeitete den zweiten Teil im Mai auf Island. Schlingensief verpflanzte einen Vogel Strauß in die eisige Landschaft, um einen Bogen zu Afrika zu schlagen. Dort soll die Installation im Oktober weitergehen, ehe sie die Wiener Burg erreicht. «Der Animatograph ist wie ein lebender Organismus, auf dem der Zuschauer mit mir gemeinsam herumfährt, lebt und selber zu seinem Bestandteil wird», sagt der Künstler, der Oper, Theater, Film und Aktionskunst vernetzt.
Der Parsipark, ein Erlebnispark der besonderen Art, muss erwandert werden. An der ersten Station mischt sich der Ruf eines Muezzins mit dem Schreien von Schweinen im dunklen Wald. Schlingensief hat die Bauten des Camps zu begehbaren Bühnenräumen gemacht. Drinnen, wo Farbe von der Decke blättert und sich Schutt auf dem Boden häuft, laufen Filme, Videos, sind die Wände mit Botschaften bemalt. Klänge sind zu hören. Die Besucher besteigen Drehbühnen und werden so selbst Teil der Installation, Akteure im Scheinwerferlicht. Wagner-Musik erklingt.
In den sechs Neuhardenberger Aktionen spannt sich ein Bogen vom Kampf der Götter zur Götterdämmerung. «Alle Götter sind verwandt», erläutert Schlingensief, der auch die Figur einer isländischen Präsidentin nach Ostbrandenburg bringt: Eine kleinwüchsige Frau mit blonder Perücke fährt mit einem roten Plastikauto immer wieder eine Schräge hinab.
Unweit davon baut ein Schauspieler als Wissenschaftler Wernher von Braun an einer V-2-Rakete, daneben entsteht ein Auto namens A 4. Ein Hitler kommt Mundharmonika spielend aus dem Gebüsch. Eine bunte aufblasbare Kirche steht im Wald. Der Strauß sitzt auf einem Fluchtauto, darin liegt ein toter Hase im Aquarium – der Hasenfisch, wie Schlingensief ihn nennt. «Das sind keine Episoden für den Theaterfreund», meint der Regisseur. dpa