Salzburger Wagner-Aspekte und viel Schlingensief. Christoph Schlingensief war wieder da: in Bayreuth, aber auch in Salzburg. „Öffnet den Schrein”, nach diesem Motto geht der Gesamtkunstwerkler auch in der Festspielstadt an der Salzach vor.
Von Frank Piontek
Wer hier in diesem Sommer Spuren Richard Wagners sucht, wird wiederum fündig: weniger bei den Festspielen selbts, die sich diesmal ganz Mozart, der musikalischen Gegenwart und der Komödie widmen, als im Zeichen des Performance-Artisten, der sein Wagner-Projekt im zweiten Teil einer Schau weiterschreibt, die im letzten Jahr begann.
„Les grands spectacles II” untersucht im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg die Beziehungen zwischen der Bildenden Kunst und der Bühne, um in diesem Jahr die konkrete Arbeit der Bildenden Künstler und dem Theater auszustellen: von Wagner bis heute. Es beginnt folgerichtig mit den neuen Bühnenlösungen, die in Bayreuth vorsichtig begannen, Richard Wagner hatte sich Maler, keine Ausstatter zu den ersten Festspielen geholt. Die wunderbar augenöffnende, reiche Ausstellung zeigt einen Bühnenbildkasten mit dem Zaubergarten, der 1882 von Paul Joukowsky entworfen wurde. Woanders träumte Adolphe Appia von einer entrümpelten, lichtgestalteten Bühne, die konsequent erst von Wieland Wagner in Bayreuth realisert wurde.
Pendant zu „unsichtbarem Theater“
Alfred Roller hatte 1914 noch vergleichsweise üppige Dekorationen für den Wiener „Parsifal” entworfen. Wer dann den kurzen Film mit einer Tanzstudie Isadora Duncans betrachtet, die mit dem Bayreuther Tannhäuser-Bacchanal einen gehörigen Skandal provozierte, könnte ob des neckischen Ausdrucks-Hüpfens fast enttäuscht werden. Während permanent Rheingold-Musik im Hintergrund verschwimmt, die zu einer Grazer Video-Installation gebraucht wurde, schaut man auf Brygida Ochaim, die Loïe Fullers berühmte Serpentinentänze nachschuf: hier wird selbst der schwergepanzerte Walkürenritt zum „entstofflichten Theater”, einer Art Pendant zu Wagners „unsichtbarem Theater”.
Nach soviel Entstofflichung ist der Besucher schließlich reif für Christoph Schlingensiefs Erlösungs-Phantasien, die keine sein wollen. In seiner irrwitzig überbordenden Installation „chicken balls. der hodenpark” verquirlt er Mozart mit Wagner, dass es kracht. Das „Ring”-Finale begleitet bei Schlingensief geradezu einhämmernd die gewiß nicht appetitliche Mozart-Eier-Performance, über deren Saftmelange sich die Salzburger mit pawlowschem Reflex naturgemäß erregt haben, eine Stimme stammelt orgiastisch „Wotan” in den dunklen Raum hinein, nicht nur ein oder zwei, sondern Hunderte von Plastikhasen garnieren den Raum, die Gralsmarschbilder aus dem Bayreuther „Parsifal” werden auf den Animatographen, also die Drehbühne „Ragnarök” projiziert, die auch der Bayreuther Inszenierung zugrunde liegt.
„Mozarts goldenes Klo”, zerbrochene Eier in einem kaputtgespielten Cembalo, die Aufschriften „Hoden 1”, „Hoden 2”, Afrika, Island und die Neubrandenburger Performance, namibianische Stammesgesänge: all das vermengt sich zu einer neuen Privatmythologie, die zwischen dem „Ring”, „Parsifal” und einer notwendigerweise schmutzigen Persiflage auf den Mozart-Hype zügellos, doch nicht ohne Sinn angerührt wird, getreu dem Motto: „Hülle und Inhalt! Sack und Eier!” Der Gralshase ist nicht weit, der Taumel ungeheuer. Wer den Raum verläßt, in dem das „Kino für die Zukunft” gerade durchdreht, bekommt noch zwei Weisheiten auf dem Weg: „Wagner wußte, Mozart war kein Wunderkind”. Und: „Die Generalprobe war ein voller Erfolg. Ich habe mit allen Fachleuten gesprochen. Auch die Vorgesetzten waren sehr zufrieden. Ich auch.”
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22.8.2006