Gute Nacht, Englands Rose: Christoph Schlingensief nimmt sich in dem Film-und-Theater-Happening „Kaprow City“ u.a. den Tod von Prinzessin Diana vor und überrascht mit Jenny Elvers in der Hauptrolle. „Die Welt“ sprach mit dem Regisseur über Überwachungskameras, Skandale und die britische Boulevardpresse.
Von Max Dax
Die Berliner Volksbühne gleicht einer Baustelle. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere von „Kaprow City“, dem neuen Film und Theaterstück von Christoph Schlingensief. Als Tandem stellen sie eine Hommage an den am 5. April dieses Jahres verstorbenen Happening-Künstler Allan Kaprow dar, die Handlung beschwört die letzte Stunde im Leben der 1997 bei einem Autounfall getöteten Lady Di. Weder der Film noch das Theaterstück scheinen – wie bei Schlingensief nicht unüblich – kurz vor der Premiere auch nur ansatzweise fertig zu sein, die Bühne versinkt im Chaos, dazu rollt eine Welle der Empörung aus London auf den Regisseur zu.
Im Gespräch wirkt Schlingensief dennoch nicht, als stünde er unter Druck. Im Gegenteil: Weit mehr als eine Stunde nimmt er sich Zeit, der Regisseur ist in Jeans, Turnschuhe und Hemd gekleidet, um über das Wesen des Skandals und die irritierende Rolle von Jenny Elvers als Lady Di zu philosophieren.
WELT.de: Christoph Schlingensief, überrascht Sie der Rummel um Ihren neuen Film über Lady Diana und das Theaterstück zum gleichen Thema?
Christoph Schlingensief: Ehrlich gesagt: ja. Jetzt rufen schon die englischen Boulevardblätter bei mir an – The Sun, Daily Mirror… Die wittern wohl einen Skandal.
England ist vielleicht zu Recht empört: Es kursieren Standbilder aus Ihrem Film, welche die Queen mit zum Deutschen Gruß gestreckten Arm zeigen.
Die müssen die Bilder wohl von meiner Website geladen haben. Allerdings hebt unsere Queen den Arm, um das Licht eines Scheinwerfers abzuwehren. Was hat das mit dem Nazi-Gruß zu tun?
Sie haben zusätzliches Öl ins Feuer gegossen und die beiden Söhne Dianas, Harry und William, zur Premiere nach Berlin eingeladen.
Das war eine Frage der Höflichkeit: Es gibt Bilder von Harry in seiner Naziuniform.
Sie finden Ihr Vorgehen also nicht pietätlos gegenüber den Söhnen der Toten?
Im Gegenteil: Es wäre bösartig, den Prinzen zu unterstellen, sie könnten nicht unterscheiden zwischen der medialen Figur der Lady Diana und ihrer wirklichen Mutter. Daher ist es auch OK, die beiden zur Filmpremiere einzuladen. Wir gehen verantwortungsvoller mit der toten Diana um als die versammelte Regenbogenpresse mit der lebenden.
Noch hat niemand Ihren Film gesehen, richtig?
Richtig.
Kennen Sie selbst bereits den Endschnitt Ihres Films?
Wir sind noch im Schnitt und werden vermutlich auch live während der Uraufführung noch an ihm schneiden. Ich betrachte die Premiere wie eine Freejazz-Session, bei der alles passieren kann.
Mögen Sie das Geheimnis Ihres Films über die letzte Stunde im Leben der Lady Diana lüften?
Gerne. Mein Film ist nicht für jeden unterhaltsam. Der ist überhaupt nicht schockierend, er ist geradezu langweilig. Der Film ist die Leerstelle, die Dunkelstelle. Ich unterteile immer zwischen dem Bild, das ich sehe und der Dunkelheit, in der es sich bewegt. Ohne Dunkelheit keine Bewegung. Der Film ist stark beeinflusst von Allan Kaprow und seiner Arbeit „18 Happenings in 6 Parts“.
Erinnern Sie sich eigentlich, wo Sie sich zum Zeitpunkt von Lady Dianas Todes aufhielten?
Da war ich in der Orangerie in Kassel, ich führte im Rahmen der Documenta 10 meine Aktion „48 Stunden überleben für Deutschland“ auf. Als das Gerücht vom Unfall Dianas die Runde machte, griff ich zum Mikrofon: „Lady Diana ist tot. Endlich hat sie ins Gras gebissen.“ Da wir die Einzelheiten ihres Todes nicht kannten, malten wir uns ihren Tod in freier, improvisierter Rede aus. Prompt wurde ich vor Ort festgenommen und in Handschellen abgeführt. Anständige, denunziatorische Museumsbesucher hatten sich bei der Polizei beschwert. Das war damals für viele ein Skandal.
Was ist in Ihren Augen eigentlich noch ein Skandal, wenn die gesamte Gesellschaft längst skandalerprobt ist?
Ich kann Ihnen sagen, was 1975 ein Skandal war: Da kam Pasolinis „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ ins Kino. Den habe ich mir natürlich angeschaut, aber dann kamen die harten Szenen, in denen die anfingen Scheiße und Nägel zu essen. Da bin ich dann aufgestanden und habe lautstark gerufen: „Skandalös! Das so etwas im Kino gezeigt werden darf!“ Ich gebe aber zu, dass ich das nur gerufen habe, weil ich mir unsicher war, ob nicht zwei Reihen hinter mir mein Griechischlehrer saß – und der wiederum meinen Eltern hätte erzählen können, dass ich mir heimlich diesen Film angeguckt habe. Eine Woche später habe ich ihn dann ein zweites Mal, dieses Mal komplett angesehen.
Was ist das Wesen des Skandals?
Dass er der Gegenpol zur Reinwaschung ist. Die Menschen häufen unentwegt Dreck an. Sie türmen und schichten den Schmutz. Ein Skandal erlaubt es ihnen auf den Müllberg eines anderen zu zeigen. Das Interessante an der Reinwaschung ist, dass der Dreck natürlich nicht verschwindet. Genau das markiert für mich übrigens auch meinen Bruch mit Joseph Beyus, der die Sozialplastik und den Menschen als Künstler ausgerufen hatte. Meine Position ist heute die Aussage: „Jeder Mensch ist ein Schwein“. Das ist viel fortschrittlicher.
Hat Sie der Tod von Lady Diana berührt?
Ehrlich gesagt: nein. Ich habe mit Königshäusern nichts am Hut.
Warum dann das Stück, die Beschäftigung mit ihr?
Mich interessieren eigentlich nur die abgebauten Kameras im Tunnel, überhaupt die Überwachungskameras und was sie gefilmt haben. Es gab ein Video von dem Crash im Tunnel, aber es ist auf mysteriöse Weise verschwunden.
Wünschen Sie sich mehr Überwachungskameras im öffentlichen Raum?
Ja. Ich mag die Vorstellung, dass ich auf dem Klo beim Pinkeln gefilmt werde. Ich finde eine Person wie Christian Ströbele merkwürdig, der mit seinem Versuch der Überwachungsverhinderung Steinzeitpolitik betreibt. Wenn ich also Überwachungskameras in meinem Stück einsetze, dann handelt es sich keinesfalls um Gesellschaftskritik. Durch eine Überwachungskamera zu gucken bedeutet – wie bei Kaprow –, das Triviale zum Besonderen zu erheben. Wir sehen Jenny Elvers auf einem Überwachungsmonitor, und wir wissen sofort: Es ist Lady Diana, die da unter einer Wolldecke in ihrer Garderobe liegt.
Warum kamen Sie ausgerechnet auf Frau Elvers?
Ich habe sie an den gleichen Orten gesehen wie Lady Diana: auf den Titelseiten der Bild-Zeitung. Dort fand sie statt, weil sie mit Heiner Lauterbach zusammengewesen ist, weil sie den RTL-Shop moderiert hat und neben Guido Westerwelle in der Big-Brother-Show aufgetreten ist.
Hat es eine Rolle gespielt, dass Frau Elvers einst Heidekönigin war?
Wenn man im Leben Heidekönigin gewesen ist, dann kann man auch die Rolle der Königin der Herzen ausfüllen.
War Jenny Elvers Ihre erste Wahl für die Rolle der Lady Diana?
Nein. Ich hatte ursprünglich Udo Kier für die Rolle vorgesehen, mit dem ich bereits meinen Film „100 Jahre Adolf Hitler“ gedreht hatte. Udo war begeistert! Er zieht sich gerne Frauenkleider an. Wie ich übrigens auch.
Und warum haben Sie Udo Kier nicht genommen?
Weil ich schlussendlich eine Lady Diana wollte, die sich auch im echten Leben in der Transformation zu etwas Neuem befindet. Beim Studium von Fotos von Lady Diana fiel mir auf, dass es das wiederkehrende Motiv gab, in welchem sie mit der einen Hand die Kameraobjektive der Papparazzi zuhielt, während sie mit der anderen Hand in eine andere Kamera winkte. Sie ließ sich also bereitwillig in Posen fotografieren, die aussagten, dass sie sich angeblich nicht fotografieren lässt. So eine Lady Diana brauchte ich, und ich fand sie in Jenny Elvers.
Sie sind also zum jetzigen Zeitpunkt der Karrieremakler von Frau Elvers?
Ich nehme keine Provision. Die Makler von Frau Elvers sind die bunten Blätter. Ich entdecke niemanden, ich fördere niemanden. Ich baue nur Räume und stelle Leute hinein.
Wie proben Sie eigentlich Ihr Stück? Konnte sich Frau Elvers überhaupt auf das Stück vorbereiten, wenn so viel im Vagen liegt?
Da gibt es nicht viel zu proben. Wir zeigen triviale Handlungen – wie bei Kaprow. Stühle umsortieren. Rumstehen im Raum. Ich glaube nicht an die Theatralik auf der Bühne. Wenn ein Schauspieler glaubt, er sei Hamlet, dann ist das sein Problem, nicht meins. Ich kann mir so etwas nicht ansehen. Gleichwohl bin ich fasziniert und abgestoßen zugleich, wenn ich auf der Bühne bei Schauspielern Professionalität erlebe. Wenn das Theater zur Filmleinwand wird, auf der ein perfekt choreographiertes Stück reproduziert wird. Das ist ein Grad von Perfektion, den ich nicht herstellen kann und will. Ich glaube an Selbstzerstörung und Peinlichkeit.
Es muss dem Zuschauer wehtun?!
Nein, es muss mir wehtun. Mein persönlicher Höhepunkt in diesem Sinne war das Stück „Berliner Republik“: Das war perfekt, weil es genau dem entsprach, was die Bundesregierung dann später vollzogen hat. Gut begonnen, alle waren gut drauf, und nach einer dreiviertel Stunde implodierte das Stück. Es passierte nichts mehr. Wir standen auf der Bühne und wussten nicht mehr, was wir da verloren hatten. Es gab von meiner Seite keine Regieanweisungen mehr. Bei mir bestand der Verdacht auf einen Hypophysentumor und die Partei Chance 2000 hatte 250.000 Mark Verbindlichkeiten beim Finanzamt. Das hat mich beschäftigt, nicht das Stück, als ich da verloren auf der Bühne stand.
Für „Berliner Republik“ haben Sie bis heute die schlimmsten Verrisse kassiert.
Das stimmt. Die Kritik konnte es nicht ertragen, dass auf 45 Minuten Handlung endlose weitere 45 Minuten ohne Handlung folgten. Nach der Premiere aber kamen Rainald Goetz und Bazon Brock und sagten zu mir: Das war großartig! Das ist ein Spiegel unserer Republik!