WIE MAN GEWIß WEIß, WAS MAN SIEHT (DER STANDARD)

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Christoph Schlingensiefs „Lady Di“-Projekt an der Berliner Volksbühne entwickelt die verblüffende Grammatik eines Medienhypes

Von Bert Rebhandl

Wie bekommt man zu fassen, was man doch nicht zu sehen kriegt? „Kaprow City“ weiß darauf (keine) Antwort.
Im zweiten Kreis der Medienhölle sitzen in Christoph Schlingensiefs neuem Stück Kaprow City die Besucher mit den nicht ganz so teuren Karten: Sie sitzen auf der Hinterbühne, während sich die Drehbühne vor ihnen dreht, auf der das Stück sich zuträgt, aber auch die Besucher mit den teuren Karten sitzen. Sie dürfen im Bühnenbild nicht nur Platz nehmen, sie müssen sich auch alle paar Minuten, wenn ein Gong ertönt, eine Bretterbude weiterbegeben. Denn so ist dieses Stück aufgebaut: Es besteht aus kleinen Verschlägen, in die gerade einmal sechs Leute und ein Schauspieler (und ein paar Hasen und Hühner) passen. Was da gespielt wird, ist nicht klar erkennbar, weder für die, die draußen sitzen, und dem Karussell zusehen, noch für die, die drinnen sind.

Es gibt in Kaprow City nämlich noch einen inneren Kreis, das Innere der Drehbühne, das sich mit einer anderen Geschwindigkeit dreht. Manchmal ist durch einen Spalt auch eine Kleinigkeit vom Inneren zu erspähen: Ein Stück über Prinzessin Diana wird da gegeben, ein Film über Lady Di wird gedreht, ein Tabu wird gebrochen. Denn zum Tod von Diana, Princess of Wales, gibt es nur wenige Bilder, und wer mehr sehen möchte (das sterbende Unfallopfer etwa), überschreitet die Grenze des Zulässigen. Christoph Schlingensief kann diesseits dieser Grenze gar nicht mehr arbeiten, im Gegenteil, diese Grenze ist exakt seine Domäne – er definiert sie, verletzt sie, heilt sie, aber er überschreitet sie nur in den Augen derjenigen, die sich seine Stücke nicht ansehen.

Kaprow City, das an der Volksbühne in Berlin Premiere hatte, ist seine bisher radikalste Medienanordnung. Das Theater wird in dieser Hommage an den Happening-Künstler Allan Kaprow zu einem Randbereich, der das Reale hermetisch umschließt, ohne es erreichen zu können. Schingensief macht die universale Augenzeugenschaft zum Thema: Man ist heute ständig bei allem dabei, ohne anwesend zu sein. Die Zerstreuung der Rezeption kehrt er in der Volksbühne um: Es gibt nur belanglose Sachen zu sehen, aber man verhält sich dazu wie die Gläubigen auf einem Kreuzweg, die auch von Station zu Station auf einem Parcours der Passion gehen.

Worauf es ankommt

Heute gibt es kein Ereignis mehr, auf das es ankommt, aber es gibt Ereignisse, die viele Leute seltsam ankommen. Zum Beispiel der Unfalltod einer zugeheirateten Repräsentantin der englischen Monarchie. Schlingensief hat in der Schauspielerin Jenny Elvers für die Rolle der Diana eine unerwartete Besetzung gefunden – sie spielt so, als hätte die Prinzessin überlebt, wäre ein wenig gealtert und hätte bei der Wahl ihrer Männer nach Prince Charles und Dodi Al-Fayed auch weiterhin wenig Glück gehabt. Die Stationen ihres Lebens sind auf der Drehbühne nachgebaut: der Tunnel in Paris, die Hochzeit in London. Sie gehen aber unter im Medienlärm und in Rückkopplungen auf Bayreuth, in denen Schlingensief sich selbst als Gesamtkünstler gegen das eigene Projekt hält.

Kaprow City ist nicht nur ein Theaterstück, das den eigenen Ausschluss von sich selbst inszeniert. Es eröffnet zugleich einen Wiedereintritt in die Szene: Man muss nur die Bühne verlassen und sich vom Bühnenpersonal in den Zuschauerraum führen lassen. Dort läuft der Film, der im Inneren gerade gedreht wird – wenn man Glück hat, dann fügen sich die Einstellungen ja zu einem Bio-Pic.

Aber wenn man das sehen will, kann man nicht sehen, was es drinnen zu sehen gibt – die Blickverhinderung auf das Live-Ereignis. Der Film ist übrigens ein Work in Progress. Er wird immer wieder neu geschnitten, und entscheidende Szenen müssen erst noch gedreht werden – on location, in Paris. Weil der Film noch aussteht, gibt es auch kein Stück, über das die Kritiker schreiben können. Einen Versuch über das Theater aber, der den großen Medienexperimenten der Volksbühne ebenbürtig ist, gab es dann doch zu sehen.

Die Leerstelle Diana – Schlingensief demnächst in Lodon

Christoph Schlingensief hat sich wieder einmal viel vorgenommen. Kurz nachdem sein bisheriges filmisches Werk in einer elfteiligen DVD-Edition erschienen ist (filmgalerie451.de), will er nun das Leben von Prinzessin Diana verfilmen.

Er hat inzwischen zu viel über die Geschichte der bildenden Kunst in den letzten vierzig Jahren nachgelesen, um sich einfach auf Trash-Imagination zu verlassen. Deswegen entwickelt er den Film aus dem Theater heraus, wobei die Premiere schon einmal verschoben worden war.

Der Plan ist, die „Leerstelle Diana“ mit Inhalten zu füllen, mit den Inhalten der Menschen nämlich, die sich eine Vorstellung von ihrem Idol machen. Geplant sind aber auch Dreharbeiten an Originalschauplätzen (die im Pariser Ritz schon stattgefunden haben; demnächst folgt London).

Die Diana-Darstellerin Jenny Elvers-Elbertzhagen, die eine Zeit lang mit dem Schauspieler Heiner Lauterbach verheiratet gewesen war, war unlängst in Detlev Bucks Sozialdrama Knallhart zu sehen. Das Diana-Projekt von Christoph Schlingensief steht im Zusammenhang einer Trilogie zu „Transformation, Bilder, Vergessen, Übermalen und Wiederholen“.

18.9.2006