MOZART UND DIE BURKA (TAGESSPIEGEL)

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Die Ankunft der Oper in der Gegenwart / Von Christoph Schlingensief

In Mozarts „Idomeneo“ geht es um das gleichberechtigte Nebeneinander der Religionen. Jesus, Poseidon, Buddha und Mohammed landen in Neuenfels’ Inszenierung alle im Sack. Da opfert ein Vater seinen Sohn, aber die anderen Religionsstifter und Poseidon als mythischer Gott sind mit dabei. Ein Gott wird geopfert, ein Sohn wird geschlachtet, aber die anderen auch. Alle werden wieder aus dem Sack herausgenommen: Das ist ein Akt der Gleichberechtigung, des Respekts vor den anderen Religionen. Und es ist ein echter Einstieg in die Diskussion.

Eigentlich hinkt die Institution der Oper ja der Gegenwart hinterher. Wenn ein Figaro auf dem Motorrad über die Bühne fährt oder Kundry auf dem Eisblock liegt, freuen sich alle oder regen sich auf und reden von Aktualisierung der Klassiker und vom Klimaschutz. Mit „Idomeneo“ ist die Oper endlich in der Gegenwart angekommen, ohne jeden Aktualisierungswahn. Es ist schade, dass wir die Ankunft von Mozart in der Realität ausgerechnet im Mozart-Jahr nun nicht sehen können, das wäre sehr spannend gewesen.

Statt die Chance zum offenen Diskurs zu nutzen, macht sich die Oper lieber zum Inselstaat und verweigert jede Möglichkeit, mit dem Boot wenigstens am Strand anzulegen und dem 21. Jahrhundert zu begegnen. In Bayreuth gibt es Sondervorstellungen für die Gewerkschaft, weil man sich immer mehr nach ihr richten muss. Hier heißt die Gewerkschaft nicht Verdi, sondern Islam. Warum lädt die Deutsche Oper die heutige Islamkonferenz nicht zur Sondervorstellung ein?

Es ist nicht leicht mit der Freiheit der Kunst. Beim Karikaturenstreit konnte ich nachvollziehen, dass Muslime sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Wenn das Gebot sagt, dass man sich von Gott kein Bildnis machen soll, und dem Propheten wird eine lange Nase verpasst, fühlen viele sich angegriffen. Wir können von einer Kultur, die 500 Jahre jünger ist als das Christentum, nicht verlangen: Burka aus, Minirock an, bitte schnell. Ich kenne das aus Afrika: Es gibt Bevölkerungsgruppen, die nicht die Möglichkeit haben, sich bei allen Diskussionen einzumischen, sich dabei autonom abzugrenzen und den eigenen Standpunkt dabei auch wieder zu relativieren.

Jeder Prophet mag es, wenn er Hunderttausenden predigen kann. Wenn nur vier Leute zuhören, ist er bestenfalls ein Säulenheiliger. Der Papst will möglichst viele erreichen, die Imame auch. Und sie predigen Leuten, von denen viele nicht gleich überprüfen können, was der Papst denn nun wirklich in Regensburg gesagt hat. Ich als Christ muss nicht mehr beichten gehen. Es genügen ein paar Weihwasserspritzer, ich kann relativieren, so viel ich will, das ist selbstverständlich für uns. Man muss akzeptieren, dass das für Muslime in vielen Ländern anders ist. Es geht nicht um Bevormundung oder Überheblichkeit oder darum, dass wir jetzt auch kein Schweinefleisch mehr essen. Religionen kann man nicht zusammenlegen, wir wissen nicht, wie es unter der Burka aussieht.

Jetzt stellen sich CDU und CSU hin und sagen, die Oper darf nicht abgesetzt werden, es muss alles gezeigt werden, jetzt machen wir richtig Volldampf. Das ist so, wie wenn der Nachbar sagt, mach bitte die Musik leiser, und ich drehe sie erst recht auf, stelle auch noch den Fernseher an und den Radiowecker. Wir wollen doch mal sehen, wem hier die Wohnung gehört. Das ist die falsche Reaktion, die Argumentationskette muss anders laufen: Diskussionsstoff ja, Vermittlung ja, Einfühlsamkeit ja, aber Mitleid gibt es nicht. Nicht für uns selbst, nicht für andere.

Dass die Oper von Störungen unterbrochen wird, danach kann sie sich nur sehnen. Es ist oft gut, wenn sie mal mittendrin Schluss macht, nicht weil gerade Champagner ausgeschenkt wird, sondern weil es um etwas Metaphysisches geht. In meinem Bayreuther „Parsifal“ haben wir dieses Jahr Hölderlin ins Arabische übersetzt und Klingsor in ein islamisches Reich geschickt, auch bei den Blumenmädchen sind im dritten „Parsifal“-Jahr Musliminnen dabei. Im Vorfeld waren wir nicht sicher, was Wolfgang Wagner davon hält, aber diese Änderungen in der Inszenierung wurden im Haus ohne Diskussion akzeptiert. Und der Pförtner des Festspielhauses, ein Moslem, half uns bei den Übersetzungen.

Bei Wagner geht es um den Ewigen Juden. Jetzt geht es um den Ewigen Moslem. Im zweiten Akt fragt Kundry Parsifal: Hast du überhaupt eine Ahnung, was in mir vorgeht, was ich ertragen muss? Du kümmerst dich nur um deine Sachen. So stelle ich mir ein Streitgespräch zwischen Jesus und Gott vor oder zwischen Liebenden. Kundry trägt eine schwarze Burka, im dritten Akt nimmt sie Parsifal seine Gewänder ab, und er streift ihre Burka ab. Das ist vielleicht Kitsch, aber darum geht es: dass Menschen ihres Auftrags entkleidet werden und einander als Menschen begegnen.

Religion wird immer wichtiger, weil wir Relikte brauchen, Relikte vom Metaphysischen: einen Splitter vom Kreuz oder auch nur den Bierdeckel, auf dem Kardinal Ratzinger mal seinen Humpen abgestellt hat. Die Welt schreit nach Außerirdischen, nach dem Mehr an Bedeutung, das nicht greifbar ist. Das verteidigen wir, darum streiten wir jetzt.

Christoph Schlingensief, 45, lebt als Theater- und Opernregisseur in Berlin. 2004 gab er sein Bayreuth-Debüt mit der Inszenierung von Wagners Bühnenweihfestspiel„Parsifal“.

Tagesspiegel vom 27.9.2006 zur Opernabsetzung in Berlin