Christoph Schlingensief über Kunst als Auffangbecken, Adorno, Wagner, Beuys – und Fuzzie, der Banditenschreck
DIE ZEIT, Okt. 2006
Die ZEIT: Was fehlt Ihnen, Herr Schlingensief?
Christoph Schlingensief: In meiner Sammlung fehlt mir schon seit Jahren der Kaktus von Adorno, der ihn ja ganz im Sinne Allan Kaprows als das Klarste, Trivialste und somit auch Wichtigste in seinem Leben erwähnt hat. Mir geht es eigentlich nicht um den Schinken oder das beste Filet, sondern um einen mystischen Abgrund im Sinne Richard Wagners, zu dem ich mich aber nicht traue. Vielleicht wirke ich deshalb auch manchmal so zwiespältig, weil ich mich für keinen Politiker oder auch keinen Kritiker entscheiden kann. Wie ein Sammler, der auf das passende Bild wartet. Deshalb sehe ich aber noch lange keinen Weg ins Unpolitische. Ganz im Gegenteil! Im Kunstbetrieb fehlt mir das Ende der Privatmythologie, weil die Verfilmung der eigenen Fußnägel langweilt. Man will doch Dinge sammeln, die einem fehlen, weil sie nicht zusammenpassen. Das wäre konsequent, denn ehrlich gesagt, passt einem die eigene Nase nicht, und die Ohren nicht zum Hemd.
Die Dinge fehlen mir, wenn sie da sind, und sie sind da, wenn sie nicht mehr kommen.
Die ZEIT: Was haben Sie als Kind gesammelt?
Schlingensief: Das waren Normal- und Super-8-Filme. Godzilla, Jerry Lewis, Dick und Doof, Edgar Wallace, Vier Fäuste für ein Halleluja, Pat und Patachon, Fuzzie, der Banditenschreck, dazu kamen dann Klebepressen, Super-8-Kamera und Projektor, Filmbücher: „Wie man Filme macht“, Filmgestaltung leicht gemacht, Tricks der UFA … Vielleicht hört sich das im Zusammenhang mit der Frage etwas komisch an, aber ich durfte bereits 1968 im Alter von acht Jahren den ersten Doppel-8-Film drehen. Ich komme vom Film und habe immer alles, was damit zusammenhing, gesammelt. Es gab zwar noch eine Ritterburg aus Plastik, aber die ging im nächsten Film in Flammen auf.
Die ZEIT: Ihr Sofabild?
Schlingensief: Ich besitze kein Sofabild, sondern mehr ein Regal mit verschiedenen Dingen: eine Flasche Porto von 1968, ein ausgestopfter Piranha aus Manaus, eine riesige Lupe, ein Wasserbehälter für Buschmänner, ein Beuys-Hase, eine Lithophanie, eine Daguerreotypie und darüber ein Foto mit Margit Carstensen und Fassbinder aus der Bochumer Zeit.
Die ZEIT: Der überschätzteste Künstler?
Schlingensief: Nach seinen Äußerungen über den 11. September müsste es Stockhausen sein, nach seiner Äußerung über Trisomie 21 Joseph Beuys, nach dem 1000-jährigen Reich zu urteilen: Adolf Hitler. Also ich merke gerade, dass ich mich da innerlich verweigere.
Die ZEIT: Der unterschätzteste Künstler?
Schlingensief: Da würde ich gerne Mohammed nennen, und das wirklich aus vollem Herzen. Er wollte kein Abbild von sich. Das ist zukunftsträchtig und das größte Kunstwerk aller Zeiten. Aber umgekehrt sind es die Einwohner von Knossos. Was die alles sichtbar gemacht haben: das älteste Mosaik, die älteste Steinstraße, das älteste Theater, die älteste Wasserleitung (9 km lang), die erste Toilette mit Wasserspülung und die erste Badewanne. Da können wir alle mit unseren permanenten Selbsterfindungen, die nichts anderes als die Rückführung zu Staub bedeuten, einpacken. Aber vielleicht ist das Bekenntnis zu dieser Auflösung ein erster Flug ins Bild.
Die ZEIT: Ihr Traum-Museum?
Schlingensief: Ein Museum der Unübersichtlichkeit und Nichtverdichtung! Kunst redet immer von Verdichtung und Schlüssigkeit. Das ist nervtötend und verlangsamt ohne Grund. Nichts gegen Demut und Qual. Auch Selbstzerstörung ist gut, aber bitte nicht, um nachher als Molekül auf dem Museumstisch zu landen, vom Kurator betreut und beerdigt. Ich habe noch nicht so viele Erlebnisse im Kunstbereich, aber er besteht sehr oft aus Angst, unendlicher Langsamkeit und selbstkastriertem Dasein. Mir scheint die Kunst mittlerweile das Auffangbecken für all diejenigen zu sein, die noch nie einen Nagel in die Wand geschlagen haben. Und gerade deshalb wäre mein Ideal: ein Museum der kuratorischen Unmöglichkeit. Das Unpädagogische, der Tod der Sache. Ein Museum der Falschpräsentation. Nach so viel Dreck und Vermüllung, Fake und Überlagerung gäbe es endlich wieder Kontakte zur Formelwelt der Mathematik. Und dann wüssten wir wenigstens, was das Museum gekostet hat.