Christoph Schlingensief verabscheut weichgespülte Talkshows. Vor zehn Jahren zeigte er mit „Talk 2000“ seine Vision einer Redeshow. Jetzt zeichnet er in der Akademie der Künste sechs weitere Folgen mit dem Titel „Die Piloten“ auf.
Seine Sekretärin ruft an: Ob es noch ein bisschen Luft gebe. Christoph Schlingensief stecke noch im Gespräch mit einer Schauspielerin. Klar gibt es dafür Zeit. Als der „Berufsprovokateur“, wie er gern genannt wird, mit fünfminütiger Verspätung anruft, ist er bester Laune und von ausgesuchter Höflichkeit.
Ein abstürzender Kranich ist das Symbol seiner Talkshow-Reihe „Die Piloten“, die er am 15., 19. und 26. Januar jeweils um 18 und 20.30 Uhr in der Akademie der Künste am Pariser Platz aufzeichnet. Für ungekünstelte Bruchlandungen im Fernsehen hat Christoph Schlingensief eine Vorliebe. Darum mag er auch Johannes B. Kerner nicht.
WELT.de: Günther Jauch hat der ARD abgesagt, Ihre Chance als Talkmaster?
Christoph Schlingensief: Jetzt macht wahrscheinlich die Christiansen doch weiter und bekommt 100 Millionen und der Jauch nur 30. Aber das ist nichts für mich. Ich mag meine Zähne!
WELT.de: Vor zehn Jahren haben Sie mit „Talk 2000“ Ingrid Steeger im Fernsehen zum Heulen gebracht. Warum nun wieder eine Rede-Show?
Schlingensief: Ich liebe die Momente, wenn man vielleicht gar nicht mehr weiterweiß, wenn alles in sich zusammenbricht und der Schweißausbruch kommt. Weil ich das auch schon selbst in Talkshows erlebt habe: Da habe ich mich vorbereitet, wollte jemanden in der Sendung niederstrecken, und dann fiel mir gar nichts mehr ein, ich wusste nicht, wie ich reinkomme ins Gespräch und brach in mir zusammen. Oder es solidarisierten sich Leute mit mir, mit denen ich gar nichts zu tun haben wollte.
WELT.de: Wer hat sich mit Ihnen solidarisiert?
Schlingensief: Kann ich ganz schwer sagen, weil er auch in meine Sendung kommt. Sage ich Ihnen nach der Sendung. Am ersten Tag kommen Rolf Hochhuth, der Regisseur Oscar Roehler, Hermann Nitsch, Gotthilf Fischer, Sido, Klaus Staeck, Bazon Brock, Corinna Harfouch, Katja Riemann und Claus Grossner, der Mann, der den Suhrkamp-Verlag gekauft hat. Eine ziemliche Überfüllung.
WELT.de: Und was ist anders als damals?
Schlingensief: Meine Haare sind grauer, ich renn nicht mehr so viel, einige Körperteile funktionieren nicht mehr so gut.
WELT.de: Die Sendung wird in der Akademie der Künste aufgezeichnet. War Akademie-Präsident Klaus Staeck darum ein Pflicht-Gast?
Schlingensief: Wir brauchen einen Präsidenten pro Sendung.
WELT.de: Dann kommt Bundespräsident Horst Köhler auch bald?
Schlingensief: Köhler ist mir zu provokativ. (lacht lange und dreckig)
WELT.de: Haben Sie jeden Gast bekommen, den Sie wollten?
Schlingensief: Für manche ist es auch eine Genugtuung, mir abzusagen. Aber auch das sind alles gute Vorgänge, und die werden auch archiviert. Wer in der Show sitzt, ist nicht unbedingt mein Feind.
WELT.de: Mal daran gedacht, Kollegen wie Johannes B. Kerner einzuladen?
Schlingensief: Von Kerner weiß ich, dass er 100-prozentig, sogar 1000-prozentig nicht kommen würde. Ich habe ihm seine letzte Sendung bei Sat.1 versaut. Ich war Gast, und Kerner hat einen Blinden hereingeführt und vorgeführt wie einen Hamster. Und da habe ich nur gesagt: Das finde ich ziemlich zum Kotzen hier. Dann hat er mich ausgelassen und gleich mit Jürgen Fliege weitergemacht.
WELT.de: Haben Sie nach einer solchen Aktion nie ein schlechtes Gewissen?
Schlingensief: Ich kann nicht abstreiten, dass ich obrigkeitshörig erzogen worden bin, und immer mal wieder, wenn ich die Klappe aufgerissen habe, danach darunter gelitten habe.
WELT.de: Warum machen Sie es dann?
Schlingensief: Es ist schon ein bisschen schizophren. Denn eigentlich greift man beim anderen das an, was man bei sich selber nicht mag. Und manchmal gibt man dem anderen extrem recht, weil man damit nichts zu tun haben will.
WELT.de: Gibt es keinen TV-Talker, den Sie gut finden?
Schlingensief: Maischberger bei N-tv war großartig, ich mag das wirklich, wie sie umschmeichelt und dann zusticht. Auf dem Sofa im Ersten ist das leider auch nicht mehr so richtig toll. Aber wen ich richtig gut finde, das ist die Illner. Die bleibt am Ball, stoppt auch mal und ist dabei knuffig.
WELT.de: Ihre ideale Talkshow?
Schlingensief: Gäste wie Klaus Kinski sind toll. Jemand, der vielleicht aus seiner Verzweiflung heraus falsch handelt. So entstanden große Momente, wo Talkshows danach monatelang versagen konnten, weil man immer hoffte, es passiert noch mal. Aber mittlerweile ist die Absicherung zu groß. Aber mein großer Traum ist eine Talkshow, die nicht gesendet wird, sondern nur das Making of Talkshow. Es ist viel spannender, was vor oder nach der Sendung in den Warteräumen stattfindet – es gibt Alkohol, und einige Gäste haben da schon ziemlich rote Backen und Nasen – die kriegen dann besonders viel braunes Make-up.
WELT.de: Was muss das TV anders machen?
Schlingensief: Man müsste die Öffentlich-Rechtlichen mit allen Konsequenzen zwingen nach dem vielen Anbiederungsschrott und Seichtsendungen ab zwölf Uhr auch mal wieder was von z.B. Werner Schroeter zu zeigen. Oder jede Nacht um drei Erstlingsfilme zu zeigen. Aber die Redakteure wollen heute schon beim Drehbuch wissen, wo die Mercedes-Werbung geschaltet werden kann oder wie der Schluss ist. Das muss man nicht immer wissen im Fernsehen. Fernsehen hat ja auch kein Ende.
14.1.07