Christoph Schlingensief präsentierte gestern sein neues Talk-Format „Die Piloten“ in der Berliner Akademie der Künste – eine Bruchlandung für den Medienzampano.
Von unserem unabhängigen Medienkritiker Daniel Haas
Augen auf beim Moderatorenkauf! Die ARD weiß ein traurig Lied davon zu singen. Noch sind die Klagelaute angesichts des Jauch-Rückziehers nicht verhallt, da dröhnt es schon postmodern heiter aus Berlin herüber: In der Akademie der Künste präsentierte Christoph Schlingensief gestern sein neues Talk-Format „Die Piloten“.
Und wen hat sich die Hauptstadt-Institution geleistet? Einen Medienzampano, der immer noch dort offene Türen einrennt, wo das Publikum längst alle ideologischen Zweifel abgebaut hat: im Fernsehen. Wenn ein Schleichwerbeskandal am Quotenstand des Ersten letztlich so wenig geändert hat wie Klaus Wowereit am Berliner Kulturetat – nämlich gar nichts – steht fest: Der Manipulationsverdacht schreckt heute niemand mehr. Die Glotze lügt – ach, sag bloß.
„Piloten“ knüpft an Schlingensiefs Interviewsendung „Talk 2000“ an, ebenfalls eine Travestie des Fernsehentertainments und der schöne Beleg dafür, dass TV aussehen kann wie die eigene Diashow. Schlingensiefs Minderheitenprogramm verdünne den Filter soweit, „dass das Bild auf dem Schirm kein Artefakt mehr ist, sondern ein Familienphoto“, schrieb damals die Kritikerin Barbara Sichtermann.
Talk mit Augenschwäche
Das war 1997, und heute, ein paar Millionen gefühlte Talk- und Dokusoap-Formate später, ist diese Wohnzimmerästhetik so revolutionär wie eine Gebührenrechnung. Schlingensief hat das letzte Jahrzehnt medienkritisch irgendwie verdämmert, deshalb muss er jetzt die Öffentlichkeit nach alter Knallchargen-Manier aufschrecken.
Zum Stilprinzip gehören nach wie vor ein wilder Gäste-Mix, Trash-Look und die assoziative Hysterie des Interviewers. Gestern, beim Piloten der „Piloten“ getauften Reihe, die Arte im Rahmen einer Schlingensief-Doku zeigen will, tummelten sich auf der Bühne Akademie-Präsident Klaus Staeck, der Dramatiker Rolf Hochhuth; später kamen Jonathan Meese (Kunst-Jungstar), Hermann Nitsch (Kunst-Altstar), Oskar Roehler (Regisseur) und Rolf Zacher (Schauspieler) hinzu.
Weil für Schlingensief die Abweichung die kreative Norm bestimmt, durften auch Behinderte auftreten: Vom Alzheimer-Kranken bis zur kleinwüchsigen Aktivistin verwandelte sich die Drehbühne im Nu in einen Jahrmarkt des Anderen.
So rotierte die Talk-Belegschaft tapfer um Themen wie Schlingensiefs Augenkrankheit, Sex zwischen Normalgroßen und Kleinen, Abgeordnetengehältern und der Rolle des Kritikers im Kulturbetrieb. „Ich habe noch nie einen sehenden Kritiker gesehen“, grummelte Nitsch, die wiederentdeckte Größe der Aktionskunst. Meese, mit Frauenperücke und Strumpfhose die ultimative Mischung aus Drag Queen und Rumpelstilzchen, juchzte: „Ach Hermann, ich versteh dich so gut!“
Aufs Schräge gebaut
Es war dies ein seltener Moment von Intersubjektivität, ansonsten schwadronierte, geiferte und ulkte man aneinander vorbei, angeführt vom Talk-Blaster Schlingensief, der eine Runde demontierte, die von Anfang an keine war. Ein Dekonstruktions-DJ mit nichts als Unfug auf dem platten Teller. Flachsinn im Rhythmus, bei dem man weg muss (der Kritiker der „Süddeutschen Zeitung“ verschwand nach 20 Minuten).
Schlimm ist das nicht, weil der Eingangsbereich der Akademie ebenfalls Blödsinn ist, nur eben architektonischer. Ort und Aufführung wurden also vom selben ästhetischen Konzept bestimmt: Sinn und Strukturen abbauen und dabei möglichst schick daherkommen. In Schlingensief hat das Haus eine emblematische Figur gefunden: So schräg wie die Ebenen im Foyer, die allenthalben Skateboard-Phantasien mobilisieren, nicht kreative Reflexion, ist Deutschlands Vorzeige-Provokateur nach wie vor.
In diesem Sinne passte Staecks Mahnung an den Moderator wie die Faust aufs mediengepeitschte Auge: „Wenn du so weitermachst, wirst du abrutschen.“
SPIEGEL ONLINE, 16.01.2007