„HERMANN, BIST DU UNGLÜCKLICH?“ (DIE PRESSE)

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Schlingensief persifliert das Fernsehen. Nur Nitsch verweigert sich.

Von T. Vieregge

Hermann Nitsch fühlt sich sichtlich nicht wohl in dieser Atmosphäre des Schrillen, Schrägen. Schon der Auftritt ist dem in sich ruhenden Hohepriester des Aktionismus nicht geheuer. Ein wenig mühselig und unter lärmender Kakophonie erklimmt er die sich fortwährend drehende Bühne im von Sperrzäunen umgrenzten Foyer der Berliner Akademie der Künste unweit des Brandenburger Tors. Behäbig sucht er einen Platz in der engen Runde, deren Mobiliar die Veranstalter aus dem Sperrmüll zusammengeklaubt haben. Hauptsache: trashig.

Und so zwängt sich Nitsch schließlich mit Jonathan-Meese-Double Klaus Beyer auf eine abgewetzte, orange 70er-Jahre-Couch. Was für ein Anblick: der Aktionist im konservativ-strengen Priester-Look, Meese in Trainingsjacke und Wollstrumpfhose. Zum Auflockern genehmigt sich Nitsch einen Schluck aus der Bierflasche, die fortan auf seinem Schenkel ruht. „Ich misstraue der Weinkultur in Deutschland“, ächzt der Hobby-Winzer aus Prinzendorf im Weinviertel.

Immer öfter blickt der Gast verstohlen auf die Uhr, was dem übertourigen Gastgeber nicht verborgen bleibt. „Hermann, bist du unglücklich mit der Sendung?“ Nitsch ist eigens aus Wien zu Schlingensiefs neuestem Streich angeflogen. „Die Piloten“, nennt der Regisseur sein Talk-Format, in dem über alles oder nichts verhandelt wird. Es soll die Bla-Bla-Kultur des Fernsehens persiflieren – den „Sound des Wohnzimmers“ einfangen, wie er sagt. Auf einer Großleinwand läuft derweil die Christiansen-Sendung vom Sonntag.

„Wir drehen eine Sendung, die nie gesendet wird“, erklärt Schlingensief in einer Pause hinter der Bühne. „Und zwar überall: in der Kantine, in der Garderobe. Da finden ja die eigentlichen Themen statt. Da geht es um Fragen wie: Wie waren die Quoten? War ich gut?“ Der deutsch-französische Kultursender Arte soll das „Making of“, die Zusammenfassung der insgesamt sechs Gesprächsstaffeln, ausstrahlen – und nach dem Willen Schlingensiefs soll eine „kosmische Strahlung“ davon ausgehen.

Unter den Schlingensief-Freunden, Kultur- und Szene-Menschen, Selbstdarstellern und Behinderten ragt Nitsch heraus – weil er das Ganze ernst nimmt. „Bei mir wird nicht geschauspielert. Ich habe leider keinen Humor“, sagt er; es klingt nur ein klein wenig kokett, wenn er droht: „Hört’s auf zum Lachen, sonst red i nix mehr.“

Da ist etwa Gisela mit dem weißen Häubchen, Schlingensiefs einsilbige Assistentin, der Alzheimer-Patient, der später als verstoßener Priester auftritt, die kleinwüchsige Karin, die über ihr Sexleben spricht, der Blinde, der nach seinem Auftritt plötzlich wieder sieht, und die verschleierte Muslimin, der Schlingensief das Kopftuch wegreißt. Nach der Werbepause kündigt er Tom Cruise an.

Fake oder nicht Fake, das ist hier die Frage. Zwischendurch plaudert Schlingensief per Handy mit Helge Schneider, dem Hitler-Darsteller aus Dani Levys „Mein Führer“, über die Pein eines Künstlers. „Ich liege in der Badewanne“, enthüllt Schneider – ohne wissen zu lassen, ob mit (wie in „Mein Führer“) oder ohne Kriegsschiff. „Gleich muss ich wieder lustig sein.“ Währenddessen intoniert seine angebliche Freundin ein „Stück für den Weltfrieden“: ein jaulendes Stakkato aus „Shalom“-Rufen. Klaus Staeck, Präsident der Akademie, wirft ein: „Da ist der Frieden eher in Gefahr.“

Rolf Hochhuth redet sich in Rage über das Regietheater (Nitsch: „Niemand hat das Recht, einen Shakespeare zu verhunzen“), Fernseh-Pfarrer Jürgen Fliege echauffiert sich über das Fernsehen, Gotthilf Fischer lächelt vor sich hin, und der Rapper Sido legt ein wenig verschämt los. Sinnfrei plätschert das Gespräch vor sich hin. Und Nitsch fragt sich wohl insgeheim, was er hier zu suchen hat: „Ich wollte nie provozieren.“ Bevor er ins Philosophieren gerät: „Wir gehen weiter, wie ein Wurm, und wissen vielleicht nicht, ob wir vorwärtsgehen oder rückwärts.“

16.1.07