Erst baute er Schlingensiefs Operndorf in Burkina Faso, jetzt ein bewegliches Theater in den Hangars von Tempelhof. Mit seiner Architektur verfolgt Francis Kéré einen Auftrag: Sie demokratisiert das Bauen.
Von Kaspar Heinrich
Francis Kéré, 51, sitzt in seinem Büro in Berlin-Kreuzberg und spricht über sein nächstes Bauprojekt. Auf einem Blatt Papier zieht er eine geschwungene Linie und schreibt eine Zahl daneben. „Das Gebäude ist 1,2 Kilometer lang, wirklich gewaltig.“ Kéré meint die Hangars auf dem Gelände des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Dort soll der Architekt ein mobiles Theater errichten. Der Auftrag kommt von Chris Dercon, dem künftigen Intendanten der Volksbühne.
Als er zum ersten Mal in einem der Hangars stand, imponierten Kéré besonders die Stahlträger an der fast 20 Meter hohen Decke. „Aber man sagte mir: ‚Vorsicht Francis, du kannst da nichts aufhängen.'“ Im Zweiten Weltkrieg habe man Metall aus den Deckenträgern eingeschmolzen, für Munition. Auch der Boden des Hangars sei unantastbar, aus Denkmalschutzgründen. „Das macht die Sache nicht einfach“, sagt Kéré, „aber sehr herausfordernd. Es ist eben kein 08/15-Projekt.“
Das „Satelliten-Theater“ wird als bewegliches Objekt geplant, je nach Bedarf sollen Größe und Standort veränderbar sein. So ist der Raum für 500 bis 1000 Zuschauer konzipiert, wie Ziehharmonikas können die Sitztribünen zusammengeschoben und wieder auseinandergezogen werden. Zudem lässt sich der Theaterraum zwischen Hangar und Rollfeld hin- und herschieben. Die Außenhülle über dem Stahlgerüst soll eine flexible Membran bilden, die sich heben und senken kann.
Dass Kéré einmal auf dem Flughafengelände in Tempelhof bauen, dass er überhaupt ein global agierender Architekt werden würde, schien lange undenkbar. Seine Lebensgeschichte liest sich wie ein modernes Märchen – nur strotzt es nicht vor Wundern, sondern vor Willenskraft.
Mit sieben Jahren lebte Diébédo Francis Kéré in einem kleinen westafrikanischen Dorf ohne Strom und fließendes Wasser, in einem der ärmsten Länder der Welt: Burkina Faso, das damals Obervolta hieß. Sein Vater, Häuptling von Gando, war Analphabet. Die Briefe, die er bekam, konnte er nicht lesen. Also schickte er seinen Sohn zur Schule in die Stadt, um von ihm künftig die Korrespondenz vorgelesen zu bekommen.
Einmal im Monat nach Burkina Faso
Später wurde Kéré in seiner Heimat in das traditionelle Bauen eingeweiht und begann eine Lehre als Schreiner. Mit 20 Jahren, 1985, führte ihn sein Weg dank eines Stipendiums nach Deutschland. Hier machte er das Abitur an der Abendschule und begann zehn Jahre nach der Ankunft in der Fremde sein Architekturstudium.
Heute beschäftigt Kéré in seinem Büro neun Mitarbeiter aus den USA, England, Italien, Spanien, der Schweiz und Deutschland, hat eine Professur inne, hält Vorträge. Dazu fliegt er jeden Monat für mindestens fünf Tage nach Burkina Faso. Wie das zu schaffen ist? „Ich komme morgens um 7, spätestens 8 Uhr ins Büro und gehe nicht vor 22 Uhr nach Hause.“
Kérés Werdegang ist mehr als nur das beeindruckende Beispiel eines sozialen Aufstiegs. Er erklärt vielmehr, was ihn seit jeher in seinem Beruf antreibt. Denn das erste realisierte Bauprojekt, Kérés Diplomarbeit, war eine Grundschule in seinem Heimatdorf. Finanziert durch den eigens dafür gegründeten Verein „Schulbausteine für Gando“, die heutige „Kéré Foundation“. Der Lohn: die wichtigste Auszeichnung für Architektur in der islamischen Welt, der Aga-Khan-Preis im Jahr 2004.
Es folgten Oberschulen in Gando und anderen Orten Burkina Fasos, ein Waisenheim sowie ein Gesundheitszentrum. Für den verstorbenen Theaterregisseur Christoph Schlingensief baut Kéré seit 2010 das „Operndorf Afrika“, in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou soll er das neue Parlamentsgebäude errichten. Kéré plant einen von jedermann begehbaren Bau, auf dessen terrassiertem Dach Landwirtschaft betrieben wird. Eine kleine Revolution in einem Land, das erst vor anderthalb Jahren einen blutigen Militärputsch erlebte.
„Für Einfachheit braucht man viel Planung“
Bei seinen Projekten verbindet Kéré das Wissen um die Bedingungen in seinem Heimatland, etwa die hohen Temperaturen und starken Niederschläge während der Regenzeit, mit den Erkenntnissen des Studiums. So versetzt er das traditionelle Baumaterial Lehm mit Zement, damit es dem Regen standhält. Ausgeklügelte Dachkonstruktionen aus Wellblech und Tonkrügen sorgen in seinen Gebäuden für natürliche Beleuchtung und Belüftung, auf diese Weise bleiben Klassen- und Behandlungsräume kühl.
„Radically Simple“ lautet der Titel der Ausstellung des Architekturmuseums München zu Francis Kérés Werk, radikal einfach. Doch „um Einfachheit zu erreichen, braucht man viel Planung und Know-how“, so Kéré. Seine Arbeiten werden häufig mit dem Label „sozial engagierte Architektur“ versehen. Es meint nicht nur, dass Kéré Bildungsstätten und eine medizinische Infrastruktur schafft, sondern vor allem, dass er Einheimische in die Prozesse einbindet. „Partizipation“ ist das Zauberwort.
Auch in Tempelhof soll das geschehen. Mehr als 700 Geflüchtete leben derzeit in den Hangars, ohne Beschäftigung. „Viele würden gerne was machen“, sagt Kéré, „und wir haben uns gefragt: Was können wir tun, damit ungelernte Arbeiter mit anfassen können?“ Noch ist unklar, wie das konkret aussehen soll, selbst die Finanzierung des Projektes steht noch nicht. Doch wenn im September die Spielzeit beginnt, soll in Kérés Amphitheater das neue Stück des Dramatikers Mohammad al-Attar aus Damaskus aufgeführt werden – mit 40 syrischen Frauen aus Flüchtlingsunterkünften.
Ausstellung: Radically Simple, Pinakothek der Moderne München , bis 26. März 2017
Quelle: SPIEGEL ONLINE vom 2.2.2017