Die DDP über Schlingensiefs neues Talkshowprojekt „Die Piloten“
Den Kosmos des Christoph Schlingensief bevölkern Kleinwüchsige, Behinderte, gecastete Laiendarsteller, aber auch der eine oder andere Promi. Während in seiner letzten großen Arbeit «Kaprow City» Ex-Partygirl Jenny Elvers-Elbertzhagen ganz groß raus kam, versammelt der einem Theaterskandal nie abgeneigte Regisseur Schlingensief in seiner neuen Talkshow Schauspieler und Intellektuelle, Behinderte und Hilfspersonal, einen Mediziner und einen «gemieteten» Künstler Jonathan Meese. Am Montagabend startete Schlingensief zehn Jahre nach seinem erfrischend provokanten «Talk 2000» eine neue Ausgabe der Show in der Berliner Akademie der Künste.
So professionell dürfte es bei Kerner & Co. ebenfalls zugehen: Eine richtige Showband im T-Rex-Glitter-Look («gefördert von der Akademie der Künste mit jährlich 280 000 Euro», preist Schlingensief) macht Krawall, wenn die Gäste angekündigt werden, und natürlich auch, wenn der Starmoderator, ein aufgekratzter Schlingensief in Jeans und Pullover, die Bühne betritt oder etwas vermeintlich besonders Lustiges gesagt hat. Ein sich ständig drehender Kreis transportiert die Talkgäste, die in plüschigen DDR-Sesseln, auf trendigen Bauhaus-Sitzen oder einem Designer-Stuhl von Philippe Starck Platz genommen haben.
Unter muffigen Wohnzimmer-Stehlampen und verstaubten Zimmerpflanzen finden sich zur ersten Talkshow der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, der Dramatiker Rolf Hochhuth, Regisseur Oskar Roehler, die Schauspieler Rolf Zacher und Katharina Schüttler, Künstler Hermann Nitsch, ein Augenarzt, das Meese-Double, eine verschleierte Frau, deren Namen sich der Moderator nicht merken kann und allerlei sonstige Personen aus dem Schlingensief-Universum ein.
Nach ein Paar Alibi-Fragen («Warum hast Du eigentlich den Job als Präsident der Akademie übernommen, Klaus?»; «Kommt Dir als Kleinwüchsige Berlin nach der Wiedervereinigung jetzt wirklich größer vor?») geht es rasch zum eigentlichen Thema des Abends: Krankheit. Genauer gesagt zum Thema Krankheit des Christoph Schlingensief.
Sein vermeintliches Augenleiden («Drusenpapillen») muss nun alle in der Runde interessieren – ob sie wollen oder nicht. Ein Mediziner muss ausführlich erläutern, was es mit dieser Krankheit auf sich hat und dass Schlingensiefs Angst, daran zu erblinden, doch recht unbegründet ist. Währenddessen dreht sich der Präsentierteller mit den Talkgästen immerzu und Leute wie Roehler, Staeck und Hochhuth («Du darfst hier nicht alles wörtlich nehmen, Rolf», beruhigt Staeck den konsternierten Hochhuth) würden auch gerne mal über was anderes reden. Keine Chance: Nur um die Drusenpupillen dürfen sich die Gäste drehen.
«Children of the revolution» spielt die krachend-laute Showband zum Abschied der plötzlich beendeten turbulenten ersten Talkrunde. Neu erfunden hat Schlingensief in diesem Durchgang die Talkshow-Kritik nicht. Aber unterhaltsam ist sie dennoch.
16.1.07