Sehen und gesehen werden. 10 Jahre nach „Talk 2000“ lässt Christoph Schlingensief seine Quasselbude noch einmal wiederauferstehen: „Die Piloten“ in der Akademie der Künste. Und die Referenzhölle frisst ihre Kinder
Von René Hamann
Das Fernsehen ist am Ende. Die wesentlichen Ereignisse spielen sich im Internet ab, eine Tatsache, die mittlerweile sogar bis zur GEZ vorgedrungen ist. Um das Kapital und den gemeinen Bürger jedoch darüber hinwegzutäuschen, dass das Fernsehen längst Geschichte ist, werden schnell noch neue technische Formate erfunden und in den Sendeschemas graduelle Veränderungen vorgenommen.
So gibt es seit Montag mit Comedy Central endlich einen Kanal, in dem rund um die Uhr Sitcoms laufen. So meldete am selben Tag Sat.1 die Wiederkehr der Laura zu „Verliebt in Berlin“. Und am Abend dieses Montags durfte Christoph Schlingensief im Foyer der Akademie der Künste am Pariser Platz noch einmal das nachspielen, was er vor zehn Jahren, 1997, schon einmal gemacht hat – Talk 2000 Reloaded, jetzt „Die Piloten“ geheißen. Sechs Folgen turbulenter Egotrip mit Gästen.
„Ich bin das Thema, und ich war auch schon“, sagt er dann auch in der ersten Folge. Vor zehn Jahren war das Konzept der Sendung: prominente Köpfe einladen, sie und ihren politisch-intellektuellen Diskurs so weit dekonstruieren wie möglich. Dazu kam ein wenig Selbstreferenz, Theaterkritik und tatsächlich ganz viel Theater, indem man auch möglichst ruhmferne und lächerliche Gestalten (vor allem Behinderte, die man möglichst unkorrekt behandelt, um auf die allgemeine unkorrekte Behandlung hinzuweisen!) auf die Bühne brachte – tatsächlich spektakulär. Das war aufstörend und provokativ, weil Schlingensief die Ebenen so gut es ging durcheinander brachte: Hochkultur wurde Trash und Trash wurde Hochkultur, und das alles auf dem Hintergrund der aufkommenden politischen Korrektheit.
Kein Wunder, dass Harald Schmidt damals den besten Auftritt hatte, indem er den schlingernden Schlingensief noch einmal überbieten konnte. Und wenn es nur im irren Schwafeln war.
Und heute? Heute wirkt das alles albern und angestaubt, irgendwie ungut ambitioniert und langweilig. Die Prominenten sind halt die Prominenten, elende Selbstdarsteller, die mal den einen, mal den anderen Unsinn von sich geben, ob sie nun als Gäste oder als Thema da sind. Natürlich wird in Schlingensiefs sich drehender Quasselbude jedes Thema, das im letzten Jahr kurrent war, halbironisch abgehandelt: Grass, Hitlerismus, der Papst, der Islam, die Gazprom. Darüber hinaus geht es ums Sehen, das Thema der ersten Folge, in der sogar ein Augenarzt geladen ist, aber vor allem ums Gesehenwerden.
Es ist viel von Schlingensiefs Drusenpapillen die Rede, von Blindheit, von blinden Flecken in der allgemeinen Wahrnehmung, um die „Gesellschaft in ihrer Selbstverschmutzung“, die Blindheit der Kritik usw. ad infinitum. Nur Wesentliches wird dabei nicht vermeldet, allerhöchstens kurz angerissen. Aber um Erkenntnis, Sichtung, Licht geht es bei Schlingensief schon lange nicht mehr. Schade eigentlich, denn eine Kehrung hin zum vermeintlich Ernsthafteren würde sein Eventtheater vielleicht noch einmal vorm eigenen Verschwinden retten.
„Umgebungsblind“ nennt das der greise Rolf Huchhuth, auch einer, der mit dem alten „Hitler sells“-Trick noch einmal um Aufmerksamkeit bettelt. Apropos Umgebung: Die wird natürlich ebenfalls hineingeholt in den Schlingensief’schen Verwertungskosmos, in diese sich selbst verdauende Referenzhölle. Der Pariser Platz sieht zum Beispiel aus wie aus Marzipan. Klaus Staeck wird befragt, wie viel er als Präsident der Akademie der Künste verdiene (weniger als ein MdB), dann wird sich kurz über kulturelle Förderung lustig gemacht, und zwischendurch wird verraten, warum das alles: natürlich wegen dem Geld, das es für das Sendeformat gibt. Von Arte, wo die sechs Folgen bald zu sehen sein werden. Die Sendetermine entnehmen Sie bitte der üblichen Fernsehbeilage Ihrer Zeitung.
17.1.07