WAGNER IM REGENWALD (3SAT KULTURZEIT)

Veröffentlicht am Autor admin

Schlingensief inszeniert „Der fliegende Holländer“ in Manaus

Im Teatro Amazonas dürfte dieser Auftritt gewiss einmalig sein: Die Bateria einer Sambaschule betritt den Saal, das Orchester verstummt. Brasilianische Rhythmen treffen auf Opernmusik von Richard Wagner, im Regenwald ist alles möglich und bei Christoph Schlingensief sowieso. Er inszeniert den „Fliegenden Holländer“, die Geschichte vom verfluchten Seemann, den nur die Treue einer Frau vom Bann erlösen kann, unter dem Titel „O Navio Fantasma“ / „Das Geisterschiff“ in Manaus.

Es ist ein spannendes Märchen, das wohl überall auf der Welt verstanden wird.Nach dem „Parsifal“ in Bayreuth ist es Schlingensiefs zweite Wagner-Inszenierung. In Manaus sei es vor allem auch der Rahmen, das Haus, die Stadt, die Athmosphäre, die locke, meint Schlingensief. Es sei auch die Mythologie, etwas Geschichtsträchtiges, zu sagen: „Wir waren in Manaus“. „Wenn man hier ankommt, dann sucht man um die Oper herum den Dschungel.“

Viel Wasser und Urwald

Die Millionenmetropole Manaus am Rio Negro bedeutet viel Wasser und Urwald und Menschen, die auch an Mystik und Götter glauben. Vielleicht passt gerade deswegen Richard Wagner so gut hierher in die brütende Hitze der brasilianischen Tropen. Manaus ist ein exotischer, ein besonderer Ort. Bis heute kann man den eigenen Charme dieser Stadt entdecken, den wir aus Herzogs „Fitzcarraldo“ mit Klaus Kinski kennen. Das nimmt auch die „Holländer“-Inszenierung auf. Schlingensief projiziert seine eigenen Bilder vom Amazonas auf die Bühne. Visuell wird bei ihm viel geboten.

Wunderschön und poetisch wirkt das vor allem im Schlussbild, als Sentas Tod die Erlösung des Holländers bedeutet. Opernkritiker Klaus Billand findet: „Das hier war auf jeden Fall noch im Rahmen.“ Wenn man Schlingensief kenne und hingehe, müsse man sich auch nicht aufregen. „Man weiß genau, was für ein Konzept er hat. Das kann nicht mehr überraschen, Ich glaube, auch, dass er sich langsam etwas Neues einfallen lassen sollte. Es war heute für mich schon ein bisschen konventionell.“

Erfahrung mit Wagner

Die legendäre Oper von Manaus hat schon Erfahrung mit Wagner. Vor zwei Jahren zeigte man den kompletten Ring. Zwei Monate probte Schlingensief hier den „Fliegenden Holländer“, oder „Das Geisterschiff“, wie es in der portugiesischen Übersetzung heißt. Er tat es mit Leidenschaft und mit viel Liebe zu Wagner und seiner Musik. Schlingensief schwärmt: „Aber manchmal wird es so lebendig genau in dem Moment, in dem die Musik von Wagner auf ein Orchester trifft, auf Schauspieler, auf Menschen, auf Sänger hier aus dem Ort und auf Techniker, die sichtbar sind und Leben reinbringen, ohne jeden Rhythmus, ohne jede Koordination zur Musik. Sie sind einfach da.“

Bei der Eröffnung des Festivals diente das Opernhaus als Kulisse. Christoph Schlingensief will die Oper öffnen, nicht elitär soll sie sein, sondern für das Volk.Und wenn nicht alles perfekt ist oder auf Anhieb klappt, umso besser.Opernsänger Ricardo Tuttmann ist jedenfalls begeistert, in Manaus singen und mit Schlingensief arbeiten zu dürfen.

Schlingensief ist der eigentliche Star

Und dafür haben sie ihn lieb gewonnen, die Brasilianer. Nicht Richard Wagner, sondern Christoph Schlingensief ist der eigentliche Star von Manaus. Ihm mache es auch mehr Spaß, hier zu arbeiten als in Deutschland, meint dieser, „weil die Leute das wollen. Sie sind nicht nur angestellt, wollen etwas erfüllen und dann wieder Pause. Sie wollen etwas, sie machen das auch
und geben mir sehr viel Kraft“, so Schlingensief. „Ich bin nicht hier, um denen zu zeigen, wie toll wir Deutschen sind, sondern ich habe noch eher zu lernen, wie toll sie sind.“

Wenn er mit Karneval die Oper aus dem Kunsttempel herausholt und populär macht, dann mögen manche Kritiker von Stilbruch sprechen. Aber schön anzuschauen ist das auf jeden Fall. Von ihm wird die Perfomance auch gleich mit seiner Kamera festgehalten als Teil seines Langzeitprojekts „Der Animatograph“. In Brasilien entstehen eine Reihe von Kurzfilmen, die bald in
München zu sehen sein werden.

Christoph Schlingensief will nicht mehr der böse Junge der deutschen Kulturszene sein. „Ich bin leider als Provokateur verschrieen, als Enfant Terrible“, sagt er. Das sei in Deutschland so. „Ich habe aufgehört, das wieder gerade rücken zu wollen. Es bringt nichts, kostet nur Kraft.“ In Brasilien begeistern ihn „die Leute, die Stimmung, auch die Weichheit, die Möglichkeit, einfach mal wieder handgreiflich zu sein. Nicht vier Wochen vor Ende das Schulheft abgeben zu müssen, ist ein Traum und hat mir sehr viel Glück gebracht.““Ich bin weicher geworden“, sagt er. Brasilien hat ihm ganz offensichtlich gut getan.

23.04.2007 / Carsten Thurau für Kulturzeit / hs