Katharina Wagner im Gespräch mit Christoph Schlingensief. Aus der Frankfurter Rundschau vom 23.07.2007
Katharina Wagner, Opernregisseurin und Urenkelin von Richard Wagner, inszeniert das erste Mal in Bayreuth. Am Mittwoch haben ihre „Meistersinger von Nürnberg“ Premiere. Die Aufführung wird – auch wegen der offenen Nachfolge für die Leitung der Bayreuther Festspiele, an der die 29-jährige Katharina interessiert ist – mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt werden.
Christoph Schlingensief hat vor drei Jahren in Bayreuth den „Parsifal“ inszeniert, damals eine sehr umstrittene Aufführung. Am Tag vor unserem Gespräch war Schlingensief in der Hauptprobe der „Meistersinger“. Deswegen unterhalten sich die beiden Regiekollegen bereits vor der Premiere über diese Aufführung. Bei Schlingensiefs „Parsifal“ war Katharina Wagner Regieassistentin. So ist es nicht erstaunlich, dass auch diese Aufführung in ihrem Gespräch eine wichtige Rolle spielt.
Unser Fotograf Enrico Nawrath hat von Katharina Wagner aufsehenerregende Modephotos gemacht. Ihm fielen zuerst Schlingensiefs strubbelige Haare auf. Damit begann dann auch das Gespräch.
Protokoll von Peter Michalzik
Schlingensief: Fangen wir doch mit den Haaren an. Das Thema Haare und Aussehen, das ist ja nun auch dein Thema. Und das interessiert die Leute doch am meisten.
Wagner: Ich wollte dich schon immer mal fragen, ob deine Haare echt so wachsen, oder ob du Gel reintust?
Schlingensief: Ich weiß nicht, wie das Zeug heißt, aber es ist kein Gel. Man nimmt ein fingernagelgroßes Stück, es ist wie Staub. Du kannst ja mal reinfühlen, überhaupt nicht klebrig.
Wagner: Stimmt.
Schlingensief: Färbst du deine Haare?
Wagner: Klar habe ich meine Haare gefärbt, das sieht man doch an den Augenbrauen.
Schlingensief: Schön war ja deine Bemerkung, dass du auf deinen Modephotos so gestylt bist, damit man dich auf der Straße nicht erkennt.
Wagner: Es ist doch auch lästig, wenn man auf der Straße angeschaut wird.
Schlingensief: Sonst kennt man Dich ja nur von den Photos vor dem Festspielhaus bei der Eröffnung, auf denen ich dich nicht erkenne.
Wagner: Das ist doch klar, ich laufe privat nicht im Abendkleid rum und schminke mich nie. Da bin ich geschminkt, also kennt mich keiner mehr. Ich finde das voll praktisch.
Schlingensief: Kann es sein, dass dich diese Photos mal richtig ärgern werden? Ich ärgere mich sehr über Photos, die ich mal für die Deutsche Grammophon gemacht habe, wo ich in Lederklamotten aussehe wie Herbert von Karajan, der vor seinem Learjet in Salzburg steht.
Wagner: Nein, ich glaube nicht. Mich ärgern andere Bilder.
Schlingensief: Welche?
Wagner: Im Urlaub mit Sonnenbrand.
Schlingensief: Das gibt’s als Photo von Paparazzi gemacht?
Wagner: Nein, die bekommt niemand in die Hand.
Schlingensief: Ich habe ja nun gestern Deine Hauptprobe gesehen. Ich glaube, dass die Hans-Sachs-Fans dich lynchen werden. Dieser doch von denen so hochverehrte joviale, ausgeglichene, tolle Mensch, der das alles im Griff hat, wird einfach …
Wagner: … der ist – musikalisch gesehen – gar nicht jovial. Wer so einen Stuss als Ansprache singt, der ist kein ausgeglichener Mensch, der die Fäden in der Hand hält. Der hat eine Forderung, die einfach nur pervers ist. Gerade an dem Ort hier, oder?
Schlingensief: Ja, hier ist das noch mal eine Stufe brisanter. Die Szene ist wirklich ein peinlich irritierendes Bild, wo die Puppen tanzen, dann eine Nacktszene kommt und dann das Regieteam verbrannt wird. Das übrigens nur aus Männern bestand, da ist keine Frau zu sehen, wenn das Feuer ausbricht. In dieser Szene kommt das Gefühl in einem auf: Jetzt steh ich auf und mach den Gruß. Das hast Du wirklich gut hinbekommen. Was ich dagegen nicht verstanden hab, ist die Rolle von Stolzing. Ich habe hier in Bayreuth gehört, dass ich das sein soll. Aber er sieht eigentlich mehr aus wie Leander Haussmann. Trotzdem empfand ich das wie eine kleine Liebeserklärung oder eine Hommage, auch wenn ich nicht aussehe wie Leander Haussmann.
Wagner: Es gab eine ewige Diskussion um Stolzings Kostüm. Wobei dieser Typ ja vom Kostüm her total überstylt ist. Das bist du nicht.
Schlingensief: Blöderweise hatte ich gestern auch noch wie Stolzing weiße Turnschuhe an.
Wagner: In gewisser Weise inszenieren wir uns ja auch selbst. Das tut Stolzing auch, da habe ich ja auch von dir gelernt. Aber die Klamotten, die du und ich im Alltag anhaben, die sind halt nicht bühnenwirksam. Dadurch, dass der so nach David Bowie aussieht, fällt er aus dem piefigen „Meister“-Rahmen raus. Im dritten Akt bekommt er dann ja auch diesen piefigen Anzug wie die anderen.
Schlingensief: Da sieht er aus wie Hansi Hinterseer.
Wagner: Klar, der Kommerz, er biedert sich an. Weil er sich seinen schicken Anzug in den ersten beiden Akten vollsaut, dachte ich, das ist Brechung genug. Oder meinst Du nicht?
Schlingensief: Ich hatte das Gefühl, dass das Bild des Künstlers da nicht stimmt. Der Künstler ist im Atelier und und läuft da nicht in diesen tollen Klamotten rum, um sie mit Farbe zu versauen. Das ist so ein Klischee des Künstlers. Da gehört eher die Adidas-Jacke von Jonathan Meese hin.
Wagner: Die Adidas-Jacke ist mir einfach zu wenig bühnenwirksam, deswegen der schöne Anzug und die Sauerei, die er damit veranstaltet. Mich hat dazu übrigens eine Szene mit dir inspiriert, die wir gemeinsam erlebt haben, als du hier in blonder Perücke auf die Bühne raus bist und dich mit grüner Farbe bespritzt hast. Stolzing ist der Künstler, der sich da bewirbt, in seinem Anzug, und dann geht ihm das alles so auf die Nerven, dass er sich beschmieren muss. Kunst kommt bei ihm von müssen, wie bei dir. Das kennst du doch, wenn du was loswerden musst. Dafür ist der Anzug ein Zeichen.
Schlingensief: Aber ich liege nicht in einem Klavier oder male Pril-blumen auf „Hitlerhände“, so wie du den Stolzing charakterisierst. Du hast für deine Inszenierung merkwürdige, gegen den Strich gebürstete Bilder benutzt. Aber wir wollen ja offen reden. Manchmal dachte ich, dass diese Bilder nur für sich stehen. Es kommt eines, dann das nächste. Ich hätte es gut gefunden, wenn du manchmal ein Element aus einem Bild mit in das nächste rübergezogen hättest. So wie Ballast.
Wagner: Das sollte und das wird es auch.
Schlingensief: Ich bin ein Verfechter davon, dass das Festival einer von euch weiterleiten muss. Bayreuth wird nicht größer, wenn es der Familie Wagner nicht mehr gehört. Bayreuth ist der einzige Ort, wo eine solche Familientradition noch besteht. Aber das wird jetzt zur Diskussion gestellt. Wenn das nicht mehr der Fall ist, haben wir hier den Intendantencocktail mit Verdi und Bruckner. Außerdem bin ich der Meinung, dass es ein Junger machen soll. Ich finde es super, was Eva macht, ich finde wunderbar, was Nike sagt, manchmal aber mag ich es einfach lieber, wenn junge Leute in ein Projekt reinrasen. Und du hast mehr als einen Puffer, vor allem in Thielemann. Hast du eigentlich Angst, dass die Leute jetzt sagen: Frau Wagner Junior, da muss jetzt aber noch einiges gelernt werden.
Wagner: Nein, da ist keine Angst.
Schlingensief: Aber es steht viel auf dem Spiel. Oder nicht?
Wagner: Mir ist es egal, ich muss das Stück so erzählen. Ich mache das ja nicht, um mich anzubiedern. Das kennst Du doch genau.
Schlingensief: Die Leute werden behaupten, dass du ausschließlich provozieren willst, dass du einen Skandal willst.
Wagner: Ach, nein.
Schlingensief: Das werden sie machen. Das ist das Prinzip der Presse.
Wagner: Das glaube ich nicht. Die Konservativen werden sagen, das ist die reine Provokation.
Schlingensief: Wird Nike Wagner nicht sagen, das ist nicht wirklich durchdacht, das sind Kindergartenideen?
Wagner: Ja klar, das wird es auch geben.
Schlingensief: Und wer wird es gut finden?
Wagner: Leute, die das Stück kennen. Und die bereit sind nachzudenken, und die nicht dämliche Konventionen haben. Das kennst du doch selbst am besten.
Schlingensief: Mein Vater ist dieses Jahr gestorben, wie du weißt. Da wurde mir bewusst, dass ich vieles nicht gemacht habe, weil es meine Eltern in Oberhausen verletzt hätte. Sie mussten in ihrer Umgebung ohnehin vieles aushalten. Wo kommt dein Mut her, das zu machen? Ist das ein innerer Zwang? Ein Versuch eine Grenze zu ziehen? Wenn du da so Sachen machst wie Wagner mit Pimmel, hast du da nicht das Gefühl, dass dein Vater darunter leiden könnte, was du da machst.
Wagner: Dann hätte er mich nicht engagiert, glaube ich. Dann hätte er auch dich nicht engagiert.
Schlingensief: Du weißt, was bei mir los war. Da haben schon kleinste Sachen ein Riesengezeter erzeugt.
Wagner: So ist er immer, so ist er auch bei mir. Aber letztlich weiß ich, dass er auch bei dir im Zuschauerraum sitzt und sagt, der Junge, der hat Phantasie. Er findet das anregend. Und bei mir regt er sich auch auf.
Schlingensief: Was machst du dann? Sitzt er dann unten drin und brüllt dich an? Oder wartet er, bis ihr zu Hause seid?
Wagner: Er sagt es teilweise schon sehr laut. Du kennst ihn ja. Weißt du, ich habe über alles nachgedacht, was ich mache. Dann sage ich zu ihm, ich mache das aus dem und dem Grund. Naja, wenn du meinst, dass es richtig ist, sagt er dann. Natürlich regt es ihn trotzdem auf. Ich glaube, es würde ihn echt aufregen, wenn er merkt, ich mache es, um zu provozieren.
Schlingensief: Das stimmt. Das Anschreien von ihm war zwar eine wirkliche Erschütterung bis ins Mark. „Machen Sie doch Ihre Scheiße alleine. Das interessiert mich nicht mehr. Sie haben künstlerische Freiheit.“ Das waren seine drei Sätze. Aber dann hatte er diese Neugierde und kam nach zehn Minuten wieder. Das fand ich das Größte, was passieren konnte. Gestern bei der Probe habe ich trotzdem gedacht, ist das jetzt geschmacklos gegenüber deinem Vater, weiß der das überhaupt?
Wagner: Letztlich ist es bei dir auch so. Ich fand seinen Satz ganz prägnant, als du die Kirche angemalt hast und zu ihm hin bist und gesagt hast, schauen Sie mal, Herr Wagner, das ist Kunst. Und er sagte: „Na, wenn Sie meinen.“ Ich glaube, so ähnlich ist das auch bei mir.
Schlingensief: Das ist so ähnlich wie in meinem zweiten Jahr, wo er nach einer Viertelstunde der Proben gesagt hat, das ist noch schlechter als letztes Jahr. Und dann den ganzen Tag in der Probe saß.
Wagner: Klar, es interessiert ihn nämlich, was du machst.
Schlingensief: Wie kam das eigentlich, dass ich hierher gekommen bin? Darf ich das mal fragen?
Wagner: Klar. Er hat Listen von Leuten, die er gerne einladen würde. Da fragt er mich auch. Bei dir war er in Vorstellungen und sagte, ich könnte mir vorstellen, dass der was macht, das noch nie jemand auf eine Opernbühne gestellt hat. Ich fand deine Arbeit auch nicht schlecht, kannst du dir ja denken.
Schlingensief: Und wie kam ich zum „Parsifal“? Das ist ja ein Glücksfall für mich.
Wagner: Er überlegt sich, wer zu welchem Stück passt.
Schlingensief: Wir hatten abends beim Essen dann vor allem über Wohnmobile geredet. Dein Vater ist Wohnmobil-Fan. Deine Mutter sagte, dass sie die immer gehasst hat. Gestern habe ich eine halbe Stunde mit deinem Stolzing über Wohnmobile geredet. Der fährt ja so ein Riesending, 7,4 Tonnen und steht auch hier auf dem Campingplatz, wo wir gerade wohnen. Seid ihr denn auch mal zusammen in Urlaub im Wohnmobil gefahren. Deine Eltern und du?
Wagner: Ich glaube nicht, ich mag Wohnmobile nicht. Es gibt ja gewisse Leidenschaften von Menschen, da gehören bei mir Wohnmobile nicht dazu.
Schlingensief: Was hast du für Leidenschaften?
Wagner: Ich muss jeden Tag laufen, sonst werde ich krätzig.
Schlingensief: Wann hast du mit dem Laufen angefangen?
Wagner: Vor sechs Jahren. Ich mache jetzt seit sechs Jahren jeden Tag Sport.
Schlingensief: Daher muss auch kommen, dass du im ersten Jahr, als wir zusammengearbeitet haben, zwar schon powermäßig warst, es aber jetzt noch viel stärker bist. Man denkt, Wagner, da kommt so eine Mimose, aber das bist du ja überhaupt nicht. Du bist eher deftig.
Wagner: Ja, ich bin deftig. Es ist so.
Schlingensief: Wie würdest du mich beschreiben?
Wagner: Was ich bei dir so Wahnsinn finde: Du kommst rein und bist total wohlerzogen und mittendrin, wenn du irgendetwas siehst oder aufnimmst, musst du daraus etwas machen, musst du Kunst machen. Diese beiden Zustände, obwohl ich mich auch als Künstler definiere, kenne ich gar nicht. Das inspiriert und fasziniert mich total. Wo viele sagen würden, der hat doch eine Meise, wenn du dir eine Perücke aufsetzt und dir grüne Farbe draufhaust. Bloß hast du keine Meise.
Schlingensief: Deswegen war das wahrscheinlich vor drei Jahren auch so schwierig zu vermitteln, dass ich das nicht gemacht habe, um das Haus kaputt zu machen und zu provozieren. Die Härte, die hier herrschte, war wirklich extrem. Dieses Jahr ist da eine echte Veränderung. Aber vor drei Jahren war bei jeder Kleinigkeit schon wieder ein Fax für mich an der Rezeption in meinem Hotel. Das war dann sofort öffentlich, das wurde gelesen. Da hast du viel vermittelt.
Wagner: Das muss man miterleben. Wenn ich nicht gemerkt hätte, dass du diese Sachen machst, weil du es musst, hätte ich da nie vermittelt.
Schlingensief: Was sich auch extrem verändert hat, sind die Arbeitsmöglichkeiten auf der Bühne. Man konnte vieles gar nicht ausprobieren, meinetwegen das Licht mal zurückzufahren und auf der Bühne zu träumen. Man hatte schon bei der Bühnenorchesterprobe kaum eine Möglichkeit mehr, etwas zu ändern. Was in diesem Jahr für eine Flexibilität ist, ist schon erstaunlich.
Wagner: Da profitiere ich auch von dir. Weil du eine ganz andere Arbeitsweise hast, wie sie ein Opernhaus gewöhnt ist.
Schlingensief: Tut gut, das zu hören, das war ein ganz schöner Kampf. Auf beiden Seiten. Und nun wird es fast schon harmonisch hier. Die Leute verstehen es allmählich nicht mehr als Provokation. Und trotzdem begegnen mir immer wieder Leute, die darüber erstaunt sind, dass ich weiterhin an Opern interessiert bin. Das erstaunt mich wiederum. Ich finde, dass der Bilderorganismus des „Parsifal“ zum Organismus der Musik doch seine Berechtigung hat.
Wagner: Natürlich. Der entscheidende Punkt ist dabei der folgende. Du hast einen verdammt intuitiven Zugriff, und das merkt man. Du hast nicht den Zugriff: Aha, da ist in der Partitur dieses Motiv, also muss das und das entstehen. Deine Sprache ist eine seltene Opernsprache. Nun besteht die Schwierigkeit darin, zum Teil ist das ja schon bei mir so, dass wir es hier mit Sängern zu tun haben. So ein Glück, wie wir hier beide haben, werden wir nicht so oft haben. Da habe ich Angst für dich, wenn du an ein Repertoirehaus gehst und Sänger hast, die keinen Spaß an deiner Arbeit haben, dass du dann extrem gehemmt wirst oder ausrastest. Aber du musst es weitertreiben. Man bekommt sonst nie so eine Bilderwelt in der Oper.
Schlingensief: Da wäre es doch richtig, wenn ich die Bilder zusammendenke und mir vorstelle, wie du mit deiner Halbschwester Bayreuth leitest. Eva Wagner-Pasquier ist doch eine Halbschwester von dir. Hast Du Kontakt mit ihr?
Wagner: Nein.
Schlingensief: Gab es jemals das Bedürfnis?
Wagner: Weißt du, es ist problematisch, die Damen sind ja nicht zimperlich in ihrer öffentlichen Wortwahl. Ich erwidere nie etwas darauf. Ich würde mich nicht verwehren, wenn sie auf mich zukämen. Aber bei der Wortwahl sind sie es, die auf mich zukommen müssten.
Schlingensief: Und dann gibt’s was zu Essen. Was isst die Familie Wagner denn am liebsten, wenn man zu dritt zusammensitzt?
Wagner: Schweinebraten mit Klößen.