NAVIO FANTASMA – ÓPERA FANTÁSTICA

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Schlingensief inszenierte Wagners Fliegenden Holländer in Manaus. Mit Erfolg. Im Tópicos-Interview verrät er: “Bis ich Klaus Kinskis Wahn erreicht habe, braucht es noch ein paar Brasilienbesuche. Auf die freue ich mich!”

INTERVIEW: MARTINA MERKLINGER

25 000 Menschen kamen am 20. April zur Eröffnungsfeier des 11. Amazonas-Opern-Festivals in Manaus. Erwartet hat sie dort ein einmalig buntes und mehrgängiges Happening, für das sich kritische Stimmen schon mal das Wort Opernspektakel erlaubten, im Grunde aber eine passende Bezeichnung erst noch gefunden werden muss. Rund um das berühmte Teatro Amazonas inmitten der Stadt Manaus herrschte Wagner-Stimmung. Man trug sie in Form von einer Prozession an das Ufer des Rio Negro, Schiffe setzten sich in Bewegung, es wurde gesungen, getanzt, gefilmt – alles Teil eines Gesamtkunstwerkes des Allroundkünstlers Christoph Schlingensief.

Schlingensief inszeniert Wagners Fliegenden Holländer in Manaus

Tópicos: Welchen Stellenwert hat die spektakuläre Eröffnungsfeier im Vergleich mit der eigentlichen Aufführung des Fliegenden Holländers zwei Tage später auf der Bühne des Teatro Amazonas?

Christoph Schlingensief: Eröffnungsfeier und Holländer lassen sich gar nicht voneinander trennen. Der Übergang war fließend. Da trafen zwei Ströme aufeinander, Rio Negro und Rio Solimões. Einerseits die Oper, die endlich aus ihren krustigen Strukturen und ihren Häusern ausbrach, und andererseits die Bürger von Manaus, die mit dem Holländer in die Oper gespült werden sollten. Der Auszug der Oper, die von den Unsterblichen handelt, ins schwüle und stickige Leben, und der Einzug der Sterblichen in die genauso stickige Oper. Das war ein großartiges Erlebnis und bestimmt in Wagners Sinn.

Zuerst Parsifal bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth (2004), jetzt der Fliegende Holländer in Manaus – was fasziniert Sie an Richard Wagner, und welche Bedeutung hat der jeweils sehr „aufgeladene“ Ort für Ihre Inszenierungen?

Wagner sehe ich als Wanderer zwischen den Welten, der sich der Vereinnahmung entzogen hat, sowohl biographisch als auch musikalisch. Da war der Freiheitskämpfer, der auf die Barrikaden geht, und der Verfasser antisemitischer Schriften, der Komponist beinahe biederer Opern wie Meistersinger und transzendenter Opern wie Parsifal oder auch Holländer. Die Widersprüche machen Wagner interessant, nicht das Gerede über Gesamtkunstwerke oder Deutungshoheiten. Seine Aufladung erfährt er durch den Widerspruch. Der deutsche Wagner nach Reinheitsgebot und Manaus unter seiner Dunstglocke, das passt nicht, das stößt sich – und ist gerade darum Energie pur.

Schlingensief inszeniert Wagners Fliegenden Holländer in Manaus

Luiz Fernando Malheiro, der mit Wagners Ring schon das Rheingold am Rio Negro zum Glänzen brachte und damit weltweit Beachtung fand, übernahm auch dieses Mal die musikalische Leitung. Wird es beim nächsten Amazonas-Festival eine weitere Wagner-Oper geben?

Auf dem Kulturgebiet zuverlässige Aussagen zu machen, die über den heutigen Tag hinausgehen, ist reine Kaffeesatzleserei. Ob sich etwas Ähnliches, d.h. wiederum etwas völlig anderes binnen eines Jahres hier wieder auf die Beine stellen ließe, weiß ich nicht. Was ich weiß ist: Manaus und die vielen helfenden Hände und Köpfe haben mich extrem angefixt. Und Wagner auch, glaube ich. In irgendeiner Art wird man sich wiederbegegnen. Man trifft Wagner immer zwei Mal im Leben. Unter dem Eindruck der Leute in Manaus hat Wagner für mich wieder ein ganz anderes Ausmaß angenommen als noch in Bayreuth. Ich finde auch, man sollte nicht mehr von der Wagner-Werkstatt Bayreuth sprechen. Wagner-Werkstatt Manaus, das passt.

Brasiliens Kaiser Dom Pedro II. war ein „louco por Wagner“, ein eingefleischter Wagnerianer, der 1876 nach Bayreuth reiste, um dort den Ring des Nibelungen zu erleben. Auch heute reisen die „loucos por Wagner“ um die ganze Welt, um sich der guten Wagner-Interpretation zu vergewissern. Kamen diese – oft recht bildungsbürgerlichen – Wagnerianer auch zu Ihnen nach Manaus?

Das haben sie wohl getan, sowohl die, die eigentlich nur ihren Richard gelten lassen, als auch die, die richtig aufatmen, wenn sie mal einen anderen Wagner zu sehen kriegen. Wagnerianer sein, das ist heute Hochleistungssport. Ob das immer ganz ohne Doping über die Bühne geht, ich habe da meine Zweifel. Aber wer sich extra aus dem aufgeklärten Europa hierher einfliegen lässt, um anschließend zu sagen: „Ich hab´ den Schlingensief in Manaus ausgebuht, furchtbar, grauenvoll…“, den muss etwas anderes treiben als nur Richard Wagner. Hier in Manaus sind sie in der Masse der einheimischen Zuhörerschaft ja dann auch etwas untergangen.

Schlingensief inszeniert Wagners Fliegenden Holländer in Manaus

Dennoch sehen Sie ja Ihre Inszenierungen volksbühnenhaft bürgernah. Tatsächlich zählte man etwa 25 000 Gäste bei der Eröffnungsfeier, die durchaus einen Volksfestcharakter hatte. Zwei Tage nach der Festivaleröffnung gab es dann im Opernhaus die Premiere, die während des Festivals noch einmal wiederholt wurde. Beide Aufführungen fanden vor jeweils rund 1 000 Menschen statt – so groß bzw. klein ist eben dieses Haus. Für wen haben Sie diese Oper inszeniert, und ist dieser Plan aufgegangen?

Für die Leute vor Ort, weil man nicht “für sie”, sondern “mit ihnen” diesen Holländer stemmen konnte. Und für mich, weil ich in Sachen Wagner immer noch Suchender bin und auch bleiben will.

Ihre Oper vereinigt viele Bereiche des künstlerischen Schaffens. Momentan sind Sie im Münchner Haus der Kunst mit der großen Installation „18 Bilder pro Sekunde“ vertreten. Mit was oder besser: als was kommen Sie wieder nach Brasilien?

Dass ich hierher zurückkomme, daran habe ich keine Zweifel. Womit ich zurückkomme, das lässt sich jetzt unmöglich sagen. Im Moment zehre ich noch dermaßen von den Eindrücken und Erfahrungen, die wir hier gemacht haben, dass man sich eigentlich gar nichts mehr vorstellen kann. Aber das kommt. Bis ich Klaus Kinskis Wahn erreicht habe, braucht es noch ein paar Brasilienbesuche. Auf die freue ich mich!

Im Oktober kommen Sie ja wahrscheinlich mit dem Fliegenden Holländer auch nach São Paulo. Handelt es sich dabei lediglich um eine Wiederholung vom 22. April, oder gibt es Veränderungen? Wie sind dann Ihre Erwartungen hinsichtlich des Ortes, nämlich einer Stadt, die nicht einmal annähernd etwas von der amazonischen feuchten Schwüle hat, geschweige denn von der norwegischen Küste, wie es in der Oper
vorgesehen ist?

Runterleiern werden wir den Holländer in São Paulo bestimmt nicht. Ich gehe fest davon aus, dass er sich angesichts der veränderten Örtlichkeiten und Umstände quasi auch von selbst verändert. Das ist mein Anspruch an jede Arbeit, auch an jeden Wagner: Dass sie an sich weiterarbeiten, sich vielleicht sogar verselbständigen. Es braucht auf jeden Fall mehr als nur eine Wagner-Werkstatt.