SCHLINGENSIEF TRÄUMT VOM „TRISTAN” IN BAYREUTH (FESTSPIELE.DE)

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Positive Bayreuth-Erinnerungen – Respekt vor Wolfgang Wagner

Bayreuth und die Festspiele haben Christoph Schlingensief Laune gemacht. Und Lust auf mehr. Nach dem „Parsifal” will der Filmemacher und Aktionskünstler, der sich anschickt, irgendwann, irgendwo Theaterintendant zu werden, unbedingt noch „Tristan und Isolde” inszenieren. Irgendwann, irgendwo. Lesen Sie heute Teil zwei des Interviews mit Christoph Schlingensief.

Von Gert-Dieter Meier

Frage: Hat Bayreuth Ihnen geholfen, als Künstler anerkannt zu werden?

Schlingensief: Das kommt natürlich automatisch dazu. Wenn man mal, wie ich, eine politische Partei gegründet hat, ist man ja erst mal unten durch. Nun fühle ich mich da aber auch irgendwie auf einer Ebene mit Wagner. Wobei ich anders als er nie steckbrieflich gesucht wurde. Mir machen diese scheinbaren Parallelen zwischen Wagner und mir durchaus Spaß. Wobei es mir mit der Partei und allen anderen Aktionen immer ernst war. Immerhin hat sich die Partei um Minderheiten gekümmert. Jetzt, wo ich in Bayreuth bin und man plötzlich gemerkt hat, dass das, was ich gemacht habe, wenigstens diskussionswürdig ist, wird man plötzlich ernst genommen. Was mir viel wichtiger ist: Bayreuth hat mir geholfen, mich wieder an meine Ursprünge zu erinnern. Ich komme ja vom Film. Und nicht vom Theater. Ich komme nicht von der Provokation, sondern bin einer, der hinter der Kamera stand. Und die Welt womöglich auf etwas merkwürdige Weise wahrgenommen hat. Und wenn die Welt nicht merkwürdig genug war, habe ich sie halt noch etwas merkwürdiger gemacht. Das ist auch eine Aufgabe von Kunst. Das verbindet mich mit Leuten wie Fassbinder, Schroeter oder Bunuel, Wagner…

Parsifal

Frage: Was würden Sie mit Bayreuth anstellen, wenn Sie Intendant wären?

Schlingensief: Ich habe ja schon öfter gesagt, dass ich Theaterintendant werden will. Und zwar bevor ich in das Alter komme, wo ich froh bin, dass die Rente durch ist. Allerdings habe ich ganz bestimmte Vorstellungen. Nur einen Cocktail aus Kätchen von Heilbronn und Schiller, Goethe, und zwei jüngeren Autoren zu brauen wie der Club der alten Männer, diese Art Intendanz interessiert mich nicht. Da ist Theater auch am Ende. Ich will ein anderer Intendant werden. Wobei es dazu vermutlich nicht kommen wird, weil die Verantwortlichen Angst haben, dass ich ihnen die Finanzen durcheinander haue. Aber ich habe im Moment gute Karten übrigens nicht zuletzt durch die Arbeit in Bayreuth und dem, was danach kam mit Bildenden Künstlern. Von Paul McCarthy bis zu Matthew Barney. Ich fände es toll, diese Leute viel stärker in die Bildersprache, in die Gedankenwelt von Oper einzubeziehen. Es reicht einfach nicht, da Leute einzusetzen, die sich in der Musik auskennen und sagen: Jetzt habe ich noch einen Einfall. Einfälle reichen nicht für die Oper. Übrigens habe ich mich auch nicht von einem Einfall leiten lassen. Ich habe ja den Hasen auch nicht wegen eines schnellen Einfalls auf die Leinwand gebracht, sondern habe mir den von Dürer, von Beuys, von Dieter Roth und aus der Sagenwelt der Afrikaner geholt, als ich nach Erlösungsbildern gesucht habe. Der Hase ist ein Zeichen für Erlösung. Wer beim Hasen, Osterhasen nicht sofort drauf kommt, der war noch nie Katholik. Oder Christ. Das sind Dinge, die mir beim Gedanken, ob ich Intendant werden will, durch den Kopf -gehen. Matthew Barney in Bayreuth das fände ich sensationell. Der müsste hier Bühnenbilder und Kostüme machen. Dann kämen nicht mehr nur Fuzzy-Politiker nach Bayreuth, sondern die besseren Teile der Kunstszene weltweit.

Frage: Finden Sie es eigentlich schade, dass man Ihren Parsifal nicht verfilmt hat?

Schlingensief: Nicht nur schade, das ist ein echtes Versäumnis. Und ich prophezeie, dass man sich in ein paar Jahren sehr ärgern wird, dass das nicht als Film vorliegt. Man hätte ja nicht die ganze Oper dokumentieren müssen; aber mit drei High Definition-Kameras aus drei Perspektiven vielleicht 45 oder 60 Minuten einzufangen, das hätte ich mir schon gewünscht. Ist aber wohl nicht möglich, wie es heißt. Aber vielleicht können wir die letzte Vorstellung ja doch noch aufzeichnen. Ich denke, dass das auch Herausforderungen für die zukünftige Intendanz sein werden, die Arbeit in Bayreuth besser zu dokumentieren und sie auch öffentlich zugänglich zu machen.

Frage: Würden Sie andere Werke in Bayreuth spielen?

Schlingensief: Ich halte nichts davon, dass man nur ‘nen schönen Cocktail an Werken mixt. Bayreuth lebt sehr stark von seiner Exklusivität (der Programmgestaltung). Mozart oder Verdi oder Vivaldi brauche ich hier doch nicht zu machen! Das ist albern. Lasst das doch so laufen! Die anderen machen schon genug Kuddelmuddel. Allerdings finde ich es schade, dass man in Bayreuth das Thema Exklusivität irgendwie falsch zu verstehen scheint. Eher im Sinne von Beschränkung. Ich würde den Leuten viel lieber sehr viel Material zur Verfügung stellen Bilder, Filme, Schriften, Aufzeichnungen. Ich würde Künstler einladen, um über aktuelle Inszenierungen zu diskutieren. Und vielleicht findet man auch auf Premiere noch irgendeinen Kanal, in dem man etwas andere Bayreuth-Filme zeigt. Ich denke, es würde auch die jungen Leute interessieren, wie der Chor dirigiert wird, wie die Leute hinter der Bühne agieren und so weiter. In der Formel 1 kann man schon beim Rennen ins Cockpit von Schumacher reinschauten. Warum nicht mal Bayreuth aus der Sicht von Parsifal erleben?! Warum immer nur von vorne gucken? Da gibt es noch viele Möglichkeiten. Auch wenn das nicht ganz so ernst gemeint ist. Da gibt es sicher wichtigere Dinge. Ich fand es beispielsweise mehr als wichtig, dass wir mit dem Nordbayerischen KURIER zwei „Parsifal”-Beilagen machen konnten. In denen wir auch einiges erklären konnten. Ich finde, das wäre eine Perspektive auch für die Zukunft dass man begleitende Maßnahmen wie diese Beilagen macht.

Frage: Bayreuth ­ war‘s das? Oder kommen Sie wieder?

Schlingensief: Ob ich wiederkomme? Klar! Ich war mir ja auch schon sicher, dass ich eines Tages hierher kommen würde.

Frage: Was würde Sie denn noch reizen?

Schlingensief: „Tristan!” Ich will den zwar auch noch woanders machen. Aber den hier zu machen das ist eine ganz große Herausforderung für mich. Aber dafür muss ich noch ein paar Jahre lernen. Und ich brauche Vorlauf. Denn um die richtigen Bilder zu schaffen, muss ich überall auf der Welt Material sammeln. Das wird dann alles in Koffer gepackt: Partituren, Knochen aus Afrika und vieles mehr. Zu „Parsifal” gibt es drei Koffer, insgesamt habe ich schon sechs Koffer mit Material für meine Arbeit.

Frage: Danksagungen?

Schlingensief: Unbedingt, gleich vier: Zum einen meinem ganzen Team von 2004 bis heute. Ohne diese Leute hätte ich das nie hinbekommen. Und dann vor allem der gesamten Bühnentechnik, allen Werkstätten, dem technischen Direktor, seinem Vizechef, den von allen geliebten Kostümleiterinnen und ihrer wahnsinnigen Abteilung, der für alles offenen Maske, der unschlagbaren Requisite, der unglaublich genau und einfühlsam arbeitenden Inspizienz, den Weltmeistern des Lichts, der Souffleuse, der Videoabteilung, Chorleitung, Chor, den Blumen, Orchestervorstand, Orchester, usw., usw… Kaum möglich alle zu nennen. Schließlich Wolfgang Wagner. Ein Wahnsinn, wie er es auch mit seiner fränkisch-störrischen Art hingekriegt hat, diesen Laden immer wieder zu beatmen. Wenn er mich angeschrien hat, war das zwar hart, aber es war auch schön. Und wenn er mal sagte: „Machen Sie doch Ihren Scheiß, mich interessiert das nicht mehr”, dann war er zehn Minuten später wieder da. Das hat mir immer gut getan. Weshalb ich ihn auch nie verflucht habe. Das waren andere Leute, die mich extrem geärgert haben. Vor Wolfgang Wagner habe ich immer Respekt gehabt. Und dann muss ich noch mal ganz laut sagen: DEN SÄNGERN! Es war die helle Freude, wie wir in den letzten Jahren weitergearbeitet haben. Wie Evelyn Herlitzius und Alfons Eberz mit voller Leidenschaft und Bewegung ein wunderschönes „Kundry/Parsifal-Paar” geworden sind. Oder Robert Holl, von dem ich sehr viel gelernt habe. Und Karsten Mewes, der sich ohne mit der Wimper zu zucken in die Nachfolge von John Wegner geworfen hat. Und Jukka Rasilainen, der den Amfortas in diesem Jahr aus seinem Selbstmitleid in den Wahnsinn eines Sterbenwollenden übertragen hat. Also eigentlich würde ich gerne allen danken… naja.. fast… fast allen.

Frage: Ihr Regiekollege Philippe Arlaud hat erklärt, er wolle in Bayreuth ein Off-Festival ins Leben rufen. In Ergänzung zu den großen Festspielen, aber ohne diesen schaden zu wollen. Was halten Sie davon?

Schlingensief: Da muss man den -Tourismusverband fragen, nicht mich! Ich habe da eher die Sorge, dass das zu einer Art Mischmaschverein ausartet. Nur damit sich der Intendant nachher noch rausreden kann, weil er ja auch noch die Stelzenläufer aus Australien hat. Mich interessiert so etwas nicht. Um junge Leute ranzuholen, braucht man diesen Firlefanz nicht. Da braucht man nur die Tür in Bayreuth aufzumachen. Das ist wie Cape Canaveral. Die lassen ja auch nicht jeden Tag eine Rakete starten. Wenn nicht‘s fliegt, kann man da trotzdem reingehen, Geschichten hören, Reste gucken oder Filme schauen. Oder zukünftige Astronauten vorbereiten, prüfen, beim Lernen zuschauen. Das wär‘ interessant.

Frage: Zurück zum „Parsifal”. Man hatte den Eindruck, dass vor allem jüngere Leute mit Ihren Bildern, mit der Verwendung von Bewegtbildern, mit der Art Ihrer Inszenierung besser zurecht gekommen seien wie Ältere. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Schlingensief: Nach der diesjährigen Generalprobe gab es ja fast schon Standing Ovations, als wir vom Regiepult aufgestanden sind. Da kamen drei Vertreter von großen Opernhäusern, nicht nur aus Deutschland, und haben nachher gefragt, ob wir mal reden könnten. Sie fänden den „Parsifal” überhaupt nicht überfrachtet. Einige andere sprachen davon, das der „Parsifal” in diesem Jahr viel klarer geworden wäre.
Also die vier Jahre haben beiden Seiten gut getan. Dieses zu lange Gucken auf statische Opern-bilder hat die Leute in den Opernhäusern viel blinder gemacht als unser Parsifal. Dazu kommen noch viele Briefe, die von eigenen Erfahrungen berichtet haben, und nicht von kollektiven Erregungen. Gar keine Beschimpfungen übrigens, sondern Briefe, die einen tief bewegt haben. Menschen, die in diesem Abend -keinen Erweckungsgottesdienst ge-feiert haben. Zum Beispiel ein Ehemann, dessen Frau in ein Hospiz sollte, und der sich nach diesem Bild , und das hat er genau so geschrieben, „dem Bild des verwesenden Hasen, aus dem neues Leben entsteht, egal wie schön oder auch wie hässlich es sein möge…(…)”, dazu entschlossen hat, seine Frau bis zum Tod zu begleiten. Ganz nah, jede Sekunde… Ich weiß, dass es Leute gibt, die solche Momente nicht mögen. Die so blind sind, dass sie keine Metaphysik mehr zulassen können, und dabei völlig übersehen, das Wagner doch ständig auf der Suche nach dem Echo der Schöpfung war.
Reaktionen wie diese haben mir gezeigt: Die Arbeit hat sich gelohnt. Und schon die waren es wert, diesen „Parsifal” zu machen.

Frage: Sie wollten, vor Jahren, Bayreuth mal ins All schießen…

Schlingensief: Nicht, damit es weg ist. Ganz im Gegenteil. Das wäre dann so ein kosmisches Rauschen. Der Schöpfungsknall ist vorbei, aber der Nachhall wird uns noch lange beschäftigen. Ich würde es jedem gönnen, diese Akustik im Festspielhaus zu erleben. Und dazu das Nachbild der eigenen Dunkelphase zu „sehen”. Ganz im Sinne Richard Wagners. Das erleben zu dürfen, möchte ich niemals mehr missen.

Festspiele.de – 26.07.2007