Man hätte ihn verfilmen sollen: Christoph Schlingensiefs „Parsifal“ dreht seine vierte, leider letzte Bayreuther Festspielrunde. Die Inszenierung bekam den Spitznamen „Hasifal“, weil darin Meister Lampe als Fruchtbarkeitssymbol dient. Eine Inszenierung die den Mythos Bayreuth ehrt und in Frage stellt.
DIE WELT
Eigentlich sieht es auf der Habenseite der Bayreuther Festspiele Wolfgang Wagners nicht so schlecht aus: Nach dem „Arbeiter-Tannhäuser“ von Götz Friedrich (auch seinen „Parsifal“ im ungestürzten Gralstempel sollte man nicht ganz vergessen) und dem „Jahrhundert-Ring“ Patrice Chéreaus von 1976 wurde Harry Kupfers „Holländer“ als Sentas Traum eine Wegmarke der Rezeptionsgeschichte.
Ebenso der romantikverliebte nazarenersüße „Lohengrin“ Werner Herzogs als antiintellektuelle Utopie, dem wiederum der traumkühl abstrakte Heiner-Müller „Tristan“ Kontra bot. Auch die noch roh behauenen „Meistersinger“ Katharina Wagners haben dem Stück gerade eine neue, interessante Dimension als Kunstdiskurs zwischen Anpassung und Aufbruch gewiesen, zudem den Sachs so radikal wie nie demontiert. Welches andere Opernhaus weltweit könnte auf eine solche Liste verweisen? Sicher, ein neue überzeugende „Ring“-Sicht vermisst man besonders nach dem Dorst-Flop schmerzlich am Hügel-Horizont. Und dann war da noch der heiß diskutierte „Parsifal“ Christoph Schlingensiefs von 2004.
Schlingensief weiß mehr als mancher Wagner-Profi
In seiner finalen Wiederaufnahmerunde (bereits nächsten Sommer folgt eine neue Gralssuche unter Stephan Herheim) wurde er wiederum mit viel Buh, aber mit noch mehr Bravo bedacht. Und man möchte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn diese inzwischen exemplarisch gewordene Aufführung etwa als Gastspiel bei der Documenta oder der venezianischen Biennale gezeigt worden wäre, statt unter Fastausschluss der Öffentlichkeit vor einem stockkonservativen Wagnerianer-Publikum, das diese ungeliebten Karten im Losverfahren erhalten hat.
Man hätte diese Inszenierung verfilmen müssen, man hätte sie weiter verkaufen können, oder wenigstens durch Live-Übertragung in Kinos von Berlin bis Paris und New York wirklich interessierten Menschen zugänglich machen sollen. Doch es scheint bei den Festspielen keiner gemerkt zu haben, wie diese, wegen des am Ende dominanten, dabei universellen Fruchtbarkeitssymbol eines verwesenden Hasen „Hasifal“ genannte Tat der Subversion die Bayreuther Szene wohl auf immer verändert hat.
Sieht man die Aufführung jetzt zum ersten Mal seit der Premiere wieder, wird deutlich, dass augenblicklich einzig Christoph Schlingensief die Demut eines Lehrlings besitzt und Bayreuth in seiner früheren Bedeutung als Werkstatt begriffen hat. Bei seinem „Parsifal“ weiß er inzwischen sehr genau, was er wann tut, was er wie beleuchtet oder im Dunkeln lässt. Ob Schlingensief wirklich ein Regisseur ist, mag weiterhin dahingestellt bleiben; jedenfalls kann er eine Bühne gestalten und gliedern, und in seiner Mischung aus Naivität und Abgefeimtheit weiß er über den „Parsifal“ inzwischen mehr als mancher Wagner-Profi.
Mit dem Mythos Bayreuth spielen
Die vielfach kreiselnde, aber eben auch stoppende Drehbühne ist entrümpelt, der Symbolwust wurde durchforstet, die Bewegungsvorgänge sind entschlackt. Die Videos sind kanalisiert worden, es findet jetzt auch Personenregie statt. Viele Kostüme wurden geändert, im letzten Akt ist Kundry keine exotische Schwarze mehr, sondern ebenfalls in Weiß – wie Parsifal und Amfortas. Sie scheint, obwohl nach der Taufe entseelt zu Boden gegangen, auch im Schlussbild auf, bevor wiederum Parsifal mit seinem Bischofsstab als heiligem Speer in einem Lichttunnel schreitet.
Es ist alles da: ein Gralstempel, eine Aue (mit Kinderschaukel), sogar ein Kelch und eine Wunde. Kundry wäscht Füße (andere auch), eine Titurel-Puppe liegt in dessen Sarg. Die Verführungsszene zwischen Kundry (im Schleifenkleid) und Parsifal ist immer noch ein Schwachpunkt. Obwohl sie jetzt in einem freudianischen Praxis-Ambiente auf einer Couch stattfindet. Schlingensief zeigt alle Requisiten, aber er ist sich auch einig mit Gurnemanz: was ist der Gral? „Das sagt sich nicht“.
So viel Ausdeutung und so wenig Erklärung gab es vor Schlingensief in Bayreuth nie. Glücklicherweise wird das auf der Bühne und im Graben mitgetragen. Adam Fischer dirigiert dienend, fast neutral, schafft diesen Bildern eine klangliche Hülle. Die inzwischen stark tremolierende Evelyn Herlizius ist trotzdem eine starke Kundry, Alfons Eberz ein manchmal schneidend lauter Parsifal, Robert Holl ein gütiger, aber störrischer Gurnemanz, Jukka Rasilainen ein biestiger Amfortas, Carsten Mewes ein auch vokal düsterer Klingsor. Sie alle stehen im Dienst dieser eigenartigen, aber großartigen Aufführung. Die sich dem Mythos Bayreuth würdig erweist – und ihn gleichzeitig in Frage stellt.