Christof Schlingensief war ein Glücksfall für Bayreuth. Ästhetisch hat er – noch entschiedener als Claus Guth („Holländer“) oder Christoph Marthaler („Tristan“) – nach lange zurückliegenden, exemplarischen Öffnungen, längst wieder verschlossene Türen aufgestoßen.
VON JOACHIM LANGE, FR
Als jetzt die letzte Wiederaufnahme dieses ästhetisch nicht nur für Bayreuth grenzgängerischen „Parsifal“ den ersten Festspielzyklus des laufenden Jahrgangs abschloss, gab es immer noch ein deutliches Pro und Contra, als der sympathisch strubbelige Weltenkunstbummler vor den Vorhang trat und entspannt den sich durchsetzenden Bravo- und den gegenhaltenden Buhrufern zuwinkte. Doch selbst dem Contra fehlte inzwischen die fanatische Penetranz, die man der Gemeinde gerne nachsagt. Man hat sich nicht nur aneinander gewöhnt.
Subversive Versuchung
Schlingensiefs Bühnenlandschaft sieht nicht nur so aus – sie ist ein Basislager für eine subversive Versuchung der Assoziationslust der Zuschauer. Mit ihren projizierten Überlagerungen der Hütten, Türme, Zäune und Geländer durch die Zeichen, Rituale und Sequenzen des Lebens schlechthin. Wer sich darauf einlässt, der kann im pulsenden, emotionalen Mahlstrom der Bilder erkennend sehen, nachdenkend ahnen oder auch autonome Chiffren hinnehmen. Eine offene Form, an der sich zudem die Werkstatt Bayreuths beispielhaft bewährt hat.
Er habe hier, sagt der an seiner Bayreuth-Erfahrung spürbar gewachsene Christopf Schlingensief in der Pause, unter luxuriösen Bedingungen viel gelernt und jedes Mal auch ausgesprochenes Glück gehabt, wenn der Dirigent oder einzelne Darsteller wechselten.
Allerdings hat er sich auch selbst ernsthaft auf die jährliche Rückkehr nach Bayreuth eingelassen und nachgearbeitet. Diesmal hat er weiter entrümpelt, verschlankt, konzentriert. Freilich auch die zuletzt vorgenommene Zuspitzung auf den Islam, bei den Wandlungen Kundrys und ihres Umfelds, teilweise wieder zurückgenommen und wieder die Vielfalt der Religionsstruktur quer durch Raum und Zeit betont.
Der Filmfreund Schlingensief hat – mit Gewinn für Klarheit und partielle Durchblicke – die Beleuchtung nachjustiert und die Videos abgedunkelt. Es sei überhaupt jene Ausweitung der Dunkelphase zwischen den Bildern, die er vom Film her kenne und die ihn an Wagners Musik fasziniere, sagt der Regisseur, der ja mittlerweile seinen „Holländer“-Ausflug nach Manaos hinter sich hat und ganz enthusiastisch wirkt, wenn vom „Tristan“ die Rede ist….
Bei „Parsifal“ jedenfalls kommt in diesem Jahr auch eine musikalische Überzeugungskraft im Graben und auf der Bühne hinzu. Sowohl der markante Jukka Rasilainen als Amfortas als auch Alfons Eberz als strahlkräftiger Parsifal profilieren stärker das Leiden. Ebenso überzeugen Evelyn Herlitzius als Kundry und der neue Klingsor Karsten Mewes mit stimmlichem Gestaltungswillen und ihrem spielerischen Einlassen auf Schlingensiefs Bühnenaktionen.
Entspannter Gurnemanz
Selbst Robert Holl, von Beginn an der ins urige Fell gewickelte Gurnemanz, hat mittlerweile zu einer geradezu locker entspannten Spielweise gefunden.
Der vierte und letzte Jahrgang dieses „Parsifal“ ist tatsächlich sein bester. Was natürlich auch an Adam Fischer liegt, für den der verdeckte Graben offenbar kein Problem ist und der sich als hochsouveräner Erbe der Einstudierung von Pierre Boulez erweist. Das Festspielorchester ist nach der Vorbereitung mit „Meistersinger“, „Tannhäuser“ und „Ring“ ganz bei sich und seinem magischen Anspruch des Besonderen an diesem besonderen Ort.