Umbruch in Bayreuth – Und Christoph Schlingensief als stiller Gewinner im Hintergrund
VON STEPHAN MAURER, Stuttgarter Zeitung
Auf den ersten Blick ist alles wie immer bei den Bayreuther Festspielen: Auf dem Dach des Festspielhauses weht die weiße Wagner-Flagge mit dem roten W, in den Pausen stehen Herren in Smoking und Fliege an nach Bratwürsten und Bier, ehe Bläser vom Balkon aus die Wagner-Gemeinde mit Fanfaren zum nächsten Akt rufen.
Und doch ist diese Saison, deren Premierenreigen am Donnerstagabend mit einem überraschend positiv aufgenommenen „Parsifal“ von Christoph Schlingensief abgeschlossen wurde, anders als jede zuvor. Wie ein Schatten liegt die Frage nach der Zukunft der Festspiele über dem Grünen Hügel. Der bevorstehende Umbruch ist deutlich zu spüren.
Über den Gesundheitszustand des fast 88-jährigen Festspielchefs Wolfgang Wagner gibt es viele Gerüchte. Tatsache ist, dass Wagner in der Öffentlichkeit wohl noch nie so wenig präsent war. Zum Defilee der Ehrengäste erschien er zwar mit Ehefrau Gudrun und Tochter Katharina an der Pforte des Königsbaus. Doch beim anschließenden Staatsempfang fehlte er ebenso wie zwei Tage später bei der Versammlung der Mäzene „Freunde von Bayreuth“. Auch Interviews gab er nicht. Wer auf dem Grünen Hügel die Macht in der Hand hält, muss einen schwierigen Spagat vollführen: Einerseits die Festspiele mit neuem Leben erfüllen, andererseits aber die treue und als Geldgeber wichtige konservative Wagner-Gemeinde nicht verprellen. Wolfgang Wagner konnte diese Spannungen mit der Autorität des Wagner-Enkels ausbalancieren. Nun entsteht ein Vakuum, das auch Tochter Katharina, die mögliche Nachfolgerin, noch nicht füllen kann. Die 29-Jährige hat bei ihrem Bayreuther Regiedebüt mit einer respektlosen „Meistersinger“-Inszenierung immerhin viel Staub aufgewirbelt. Zweifellos bringt sie schon jetzt frischen Wind auf den Grünen Hügel.
Unterdessen nimmt einer fast unbemerkt Abschied, der für eine Reformierung der Festspiele möglicherweise mehr getan hat, als bisher deutlich ist: Christoph Schlingensief. Sein „Parsifal“ aus dem Jahr 2004, das umstrittenste Bayreuther Werk seit Jahren, geht nach dieser Saison vom Spielplan. Bei der Wiederaufnahme erntete der Regisseur für seine assoziations- und bilderreiche Inszenierung zwar wieder erboste Buhrufe, erhielt aber deutlich mehr Beifall als noch in den vergangenen Jahren. Auch viele Bravorufe waren zu hören, als der Theaterprovokateur zum Abschied ins Publikum winkte. Schlingensief baute die mit Projektionen und Filmeinspielungen bereicherte Inszenierung nochmals um und reduzierte die Aufbauten auf der Drehbühne. Musikalisch bot Dirigent Adam Fischer eine genaue Interpretation und stellte sich einfühlsam auf die Sänger ein. Hier imponierten besonders Evelyn Herlitzius als wandlungsfähige Kundry und Jukka Rasilainen als leidender Gralskönig Amfortas. Alfons Eberz agierte als Parsifal kraftvoll, Karsten Mewes gab einen dämonisch-drohenden Klingsor. Robert Holl sang den Gurnemanz, Artur Korn den Titurel.
„Die Bilder werden bleiben“, gab Schlingensief seinem Publikum ironisch als Graffiti-Botschaft mit. Er hat in Bayreuth viele Widerstände überwunden und sicher eine Tür für künftige mutige Regiearbeiten geöffnet. Unverkennbar ist auch sein Einfluss auf Katharina Wagner. Sollte die 29-Jährige im Herbst, wenn der Stiftungsrat der Festspiele über die Nachfolge berät, tatsächlich zum Zuge kommen, so könnte Schlingensiefs Traum wahr werden: Er möchte in Bayreuth den „Tristan“ inszenieren.