Zeitversetzt: Musik von Eggert, Inszenierung von Schlingensief
VON PETER MICHALZIK
Der kleinwüchsige Franz will die große, schöne Isabella. Isabella will Hilbert, den Showmoderator. Hilbert will den großen Erfolg. Den garantiert der Star der Show: der kleinwüchsige Franz.“ So fasst das Theater Bonn „Freax“ zusammen, die neue Oper von Moritz Eggert, die hier am 2. September uraufgeführt werden soll.
Es geht um Freaks – in diesem Fall Kleinwüchsige, Siamesische Zwillinge und Hermaphroditen: Man braucht die Behinderten für die Show, aber gleichzeitig bleiben sie als Außenseiter auf eine merkwürdig selbstverständliche Weise diskriminiert.
Bei Freaks kennt Christoph Schlingensief sich aus, vor ein paar Jahren hat er den Film „Freak Stars 3000“ gedreht, in seinen Inszenierungen spielen Behinderte tragende Rollen. Da war es der naheliegende Gedanke, Schlingensief nach seinen beiden Wagner-Inszenierungen „Parsifal“ in Bayreuth und dem „Holländer“ in Manaus zu fragen, ob er auch die Eggert-Uraufführung in Bonn inszenieren wolle.
Jetzt ist das Projekt nicht geplatzt, aber sozusagen in seine Bestandteile zerfallen. Schlingensief will in seiner Inszenierung nicht darauf verzichten, wirkliche Behinderte zu besetzen. Eggert will nicht auf wirkliche Sänger verzichten. Da es beides in einem (bisher) nicht gibt (bei Schauspielern gäbe es wenigstens Peter Radtke, mit dem der gestern beerdigte George Tabori gerne zusammengearbeitet hat), haben sich Schlingensief und Eggert nun geeinigt, die Aufführung zu spalten. Eggerts Musik wird konzertant gegeben, Schlingensiefs Inszenierung, oder zumindest ein Teil von ihr, läuft ohne Musik.
Die Vorstellung von der gespaltenen Oper ist apart. Konzertante Opern gibt es ja immer wieder, aber musikfreie Operninszenierungen hat es in der vierhundertjährigen Operngeschichte noch nicht gegeben. Vor ein paar Jahren gab es in Frankfurt einen „Ring“ ohne Musik, aber immerhin mit Worten, es gibt mehr Menschen, als man annimmt, die intensiv von musikfreien Aufführungen des „Rosenkavaliers“ oder von „Cosí fan tutte“ träumen, aber eine Aufspaltung einer Aufführung in Ton und Bild, das ist doch neu.
Letztlich wird es dann aber doch anders aussehen, als man sich eine gespaltene Oper im ersten Moment vorstellt: Es wird darauf hinauslaufen, dass während der Pause der konzertanten Aufführung Schlingensief einen Film zeigen wird, der zum Teil auf der Opernbühne von der Inszenierung gedreht wurde und den die Zuschauer als DVD mit nach Hause nehmen können.
Dazu werden einige Texte der Oper von den Freaks zu hören sein. „Fremdverstümmelung 2007 – Freax – Ein Diskurs über Behinderung in der Oper“ wird das heißen. Nein, Streit habe es keinen gegeben, sagen die Beteiligten. Die Sänger machen bei Schlingensiefs ausgedehntem Pausenprogramm gerne mit. Schlingensief selbst meint, dass es das Thema sei, das sich in diesem speziellen Fall gegen die Oper wende: „Das Problem oder die Eigenart der Oper, dass sie so unglaublich perfekt rüberkommen will, wie ein Diamant, wird durch die Freaks zum Thema“, sagt er. „Große Oper stellt sich hier dem Unperfekten. Es ist dieses Thema, das die Sache killt.“
Für Schlingensief ist es selbstverständlich, dass die Freaks sich auf der Bühne frei (wenn auch mit und innerhalb einer inszenierten Struktur) bewegen können und brüllen dürfen. Schlingensief findet es aber auch keine Katastrophe, dass es jetzt zur Trennung kam: „Eigentlich ist es ein Kampf für die Sache, den wir hier durchstehen“, sagt der Regisseur. Dass man sich, wenn die Uraufführung vorbei ist, noch auf eine gemeinsame Version einigen kann, schließt er auch nicht aus.
Dass dagegen jetzt schon wieder über Schlingensief, den Provokateur, schwadroniert wird, dass man den kalkulierten Skandal wittert und meint, er lasse eben keine Gelegenheit zum Eklat aus, ist dagegen jener Quatsch, der durch dauernde Wiederholung auch nicht intelligenter wird. Mittlerweile zehrt der Kunst- und Nachrichtenmarkt von Schlingensiefs Eigenwilligkeit mehr als dieser von den öffentlichen Reaktionen, die er erzeugt.
Neben den unterschiedlichen Auffassungen von der Aufführung ist es im übrigen eine schwere Augeninfektion, die Schlingensief die Arbeit hat aufgeben lassen.
(Frankfurter Rundschau, 23.8.07)