Ein Bad in der Menge für Regisseur Schlingensief: Vier Jahre wurde seine Inszenierung des „Parsifal“ nun auf dem Grünen Hügel gespielt – als am Sonntag die letzte Vorstellung gegeben wurde, feierte das Publikum das Stück mit stehenden Ovationen.
Ganz Bayreuth lag sich in den Armen, als am Sonntag nach vier Festspiel-Jahren der definitiv letzte Vorhang über Christoph Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung auf dem Grünen Hügel fiel. Der 46-jährige Regisseur und sein Sängerteam badeten in Ovationen. Schon vor dem letzten Akt war ein Beifallssturm aufgebrandet, als Zuschauer Schlingensief in der 16. Reihe entdeckten. Im Publikum befanden sich diesmal auch Vertreter ausländischer Richard-Wagner-Verbände wie der von Chicago und Los Angeles. Nach all den Aufregungen seit der heftig umstrittenen Premiere des „Parsifal“ (2004) mit seinen Fruchtbarkeits- und Multi-Kulti-Symbolen nun also Jubel und das Bad in der Menge.
„Es war ein großartiges Erlebnis“, meinte ein sichtlich erleichterter und glücklicher, seit Wochen auch mit einer infektiösen Augenkrankheit kämpfender Schlingensief auf dem anschließenden Künstlerempfang zu seinen Mitstreitern. „Ich habe schon den Eindruck, daß unser Parsifal Bayreuth verändert hat. Und ganz bestimmt hat Bayreuth uns verändert. Ich nehme eine Riesenkraft mit von hier, und vielleicht kommen wir mal alle wieder hier zusammen.“ Denkbar wäre das, zumal wenn „Kronprinzessin“ Katharina Wagner tatsächlich in naher Zukunft mehr Einfluss auf dem Grünen Hügel erhalten sollte. Schlingensiefs „Parsifal“-Engagement geht nicht zuletzt auf ihre Fürsprache zurück. Und dass der Theaterregisseur und Filmemacher nach seinem „Fliegenden Holländer“ am Amazonas nun vom „Tristan“ träumt, ist ein offenes Geheimnis.
Der von Traditionalisten als Skandal beschimpfte „Parsifal“ hat inzwischen Kultstatus erlangt. „Die Bilder werden bleiben“, malte der Regisseur in Großbuchstaben auf eine seiner vielen Tafeln und Stellwände auf der Bühne. Eine Aufzeichnung für die Nachwelt kam trotz Schlingensiefs Drängen nicht zustande, angeblich wegen komplizierter Rechteverhältnisse und sicher auch wegen mangelnden Interesses der Musikindustrie. Und ob die amtierende Festspielleitung sich hätte derart ästhetisch verewigt sehen wollen, stehe dahin.
So schlecht gelitten die Inszenierung anfangs war, sowenig sie das zuletzt von Festspielchef Wolfgang Wagner persönlich dominierte „Parsifal“-Bild des Grünen Hügels bedient hat, so sehr hat Schlingensief Bayreuth verändert. Schon im vergangenen Jahr wurden kritische Stimmen laut, die Wagners hätten überstürzt und panisch gehandelt, als sie bereits für 2008 den nächsten „Parsifal“ planten und einkauften. Ob dieser die gängigen Erwartungen besser erfüllen wird, dürfte ebenfalls fraglich sein: Regie führt der junge Norweger Stefan Herheim, am Grabenpult steht der Italiener Daniele Gatti.
Auch die designierte Festspielleiterin und diesjährige Bayreuth-Debütantin Katharina Wagner zeigte sich von Schlingensiefs letztmaligem „Parsifal“ begeistert: „Wenn man den Applaus in der letzten Vorstellung gehört hat, da ist schon klar geworden, dass das ein ganz wichtiger Beitrag zu den Festspielen war. Egal, was man von der Inszenierung hält – er hat es geschafft, eine extrem neue Bildersprache in die Oper zu bringen. Ich glaube, dass Schlingensief und die Festspiele sehr voneinander profitiert haben. Bayreuth konnte sehr viel lernen von Schlingensief. Er hat ästhetisch einen Horizont eröffnet, den wir noch nicht hatten. Das ist auch ein Weg, mehr jüngeres Publikum für die Festspiele zu gewinnen.“
Christoph Schlingensief macht sich derweil erst einmal auf den Weg nach Bonn, wo am kommenden Sonntag Moritz Eggerts Oper „Freax“ uraufgeführt wird. Konzertant, wohlgemerkt, und Schlingensief erzählt in der Pause, was ihm zu Behinderten und „Fremdverstümmelungen“ in diesem Zusammenhang so alles eingefallen wäre.
Der Tagesspiegel, 27.8.07