Im letzten Moment trennte sich Regisseur Christoph Schlingensief von Moritz Eggerts Oper „Freax“. Als Torso übrig blieb die konzertante Uraufführung der Oper – und getrennt davon Schlingensiefs Filminstallation „Fremdverstümmelung“…
VON RAINER NONNENMANN
Dass sich ein Komponist von der Inszenierung seiner Oper distanziert, kommt vor. Wohl einzigartig ist, dass der Regisseur den Komponisten fallen lässt, weil sich herausstellt, dass beider Auffassungen unvereinbar sind. Mit vollen Segeln sind jetzt Theater Bonn und Beethovenfest auf eine solche Kollision zugesteuert – und kläglich gekentert. Im letzten Moment trennte sich Regisseur Christoph Schlingensief von Moritz Eggerts Oper „Freax“. Als Torso übrig blieb die konzertante Uraufführung der Oper – und getrennt davon Schlingensiefs in der Pause im Opernfoyer ablaufende Filminstallation „Fremdverstümmelung“, mit der er einen eigenen Zugang zur Vorlage von Tod Brownings Film „Freaks“ über Schwerbehinderte von 1932 realisierte.
Die Intendanz hätte wissen müssen, dass zwischen diesen Künstlern keine Zusammenarbeit möglich ist. Der eine ist die Fehlbesetzung des anderen. Indes ist Scheitern ein zu großes Wort für die Unverfrorenheit, mit der man das eigentliche Ziel verfolgte: mit Hilfe von „Skandalregisseur“ Schlingensief mediale Aufmerksamkeit für die erste Uraufführung am Bonner Stadttheater seit zehn Jahren zu erzwingen.
Schlingensief brachte das Debakel mit der Frage auf den Punkt: „Warum hat man mich nicht früher rausgeschmissen?“ Indes verwundert auch die Fehleinschätzung des Regisseurs, mit was für Musik er es hier zu tun bekommen würde. Trotz Beteuerungen, seine Inszenierung sei in erster Linie durch eine Infektion seiner Augen vereitelt worden, klangen die ästhetischen Differenzen durch. Der Hinweis, für die Regie in der Art eines Ausstattungsmusicals von Andrew Lloyd Webber hätte man jemand anderes suchen müssen, ließ ahnen, was Schlingensief von Eggerts Musik hält – zu Recht übrigens.
Eggerts „Freax“ ist eine Handlungsoper, wie sie konventioneller nicht ausfallen könnte. Sie reiht Gassenhauer, Märsche, Walzer, Jazz-Combos, Chansons bis hin zum Beethoven-Jubel „Freude schöner Körperformen“. Die Musik gleicht dem Kuriositätenkabinett, in dem früher verstümmelte Menschen zur Schau gestellt wurden. Kongeniale Entsprechung zur Musik fand der Killmayer-Schüler im phrasen- und kalauerreichen Textbuch der Librettistin Hannah Dübgen.
Wer dachte, die Hollywood-Schnulzen seien Parodien auf die Geldgier, Bosheit und Verlogenheit, mit der die schöne Sängerin Isabella (strahlend Julia Rutigliano) den zwergwüchsigen Franz (souverän in großer Partie Thomas Harper) hintergeht, wurde eines Anderen belehrt. Eggerts eindimensionale Musik macht keinen Unterschied zwischen der Rahmenhandlung und den Show-Nummern, mit denen die „Freax“ auftreten. Alle pathetischen Chöre und Arien sind ernst gemeint. Neben den Opernsängern ist kein Platz für die echten Behinderten, mit denen Schlingensief seit 1993 an der Berliner Volksbühne arbeitet.
Stattdessen macht sich die Musik auf Kosten geschundener Kreaturen mit dem Showbusiness gemein, das sie zu kritisieren vorgibt. Das zeigten ein Duett der Siamesischen Zwillinge über ihre jeweils „bessere Hälfte aus einem Ei“ und ein Liebesduett, das ein ständig zwischen Bariton und Counter-Tenor wechselnder Hermaphrodit mit sich selbst singt. Der Szenenapplaus, den Hege Gustava Tjönn, Barbara Schmidt-Gaden und der überragende Otto Katzameier für diese „komischen“ Einlagen erhielten, verschmolz mit den Lachern aus dem Off, die sonst die Auftritte der „Monster“ wie bei einer Comedy-Show quittierten.
Schlingensiefs „Fremdverstümmelung“ zeigt Momentaufnahmen von Bühnenproben unter der sicheren Leitung von Wolfgang Lischke sowie Texte von Adorno, Erving Goffmans „Stigma“ und ihm selbst, die dem traditionellen Opernbetrieb eine klare Absage erteilen: „Das Takten nach Noten ist wie das Malen nach Zahlen.“ Hinter halb durchsichtiger Filmleinwand stellten behinderte Schauspieler als lebendes Bild die Hochzeitstafel aus Brownings altem „Freaks“-Film nach. Der sich damit überlagernde, teils erschütternde Film gipfelte in der Kreuzigung eines Verkrüppelten, während schrilles Dauerläuten zum zweiten Akt rief; als gälte es, sich zwischen Schlingensief und Eggert zu entscheiden.
Den Verbeugungen vor dem in Buh- und Bravo-Rufer gespaltenen Publikum blieb Schlingensief fern. Warum, das zeigte die so eindringliche wie verständliche Bitte seines Films: „Please! No Music!“
Kölner Stadt-Anzeiger, 4.9.07