FEHLGEBURT EINER MONSTEROPER (DIE WELT)

Veröffentlicht am Autor admin

In Bonn verweigert sich Christoph Schlingensief den „Freax“ des Komponisten Moritz Eggert…

Von Manuel Brug

Die Beteiligten hatten es sich so schön ausgemalt. Da ist zunächst Moritz Eggert, 42-jähriger Komponist mit ziemlich mittelmäßiger Begabung, aber vielen Aufträgen. Er weiß gut auf der Medienklaviatur zu klimpern. Einst machte er auf seinem albernen „A*Devantgarde“-Festival viel Lärm, dann gab es eine Liebesoper mit Helmut Krausser bei der Münchner Biennale. Zuletzt vertonte er einen abendfüllend gespielten Altherrenwitz von Hans Neuenfels („Die Schnecke“), vermurkste für Jürgen Flimms Ruhrtriennale ein Fußballspiel zum Oratorium und kondensierte zur Eröffnung der Salzburger Mozart-Festspiele dessen 22 Bühnenwerke zu einer zehn Minuten Schnipsel-Kakophonie.

Nun wollte Eggert, zusammen mit der sich offenbar für eine Literatin irgendwo zwischen Ulla Hahn und Hera Lind haltenden Hannah Dübgen, den lange verbotenen Kultfilm „Freaks“ von „Dracula“-Regisseur Tod Browning für eine Oper ausschlachten. In dem Klassiker von 1932 werden echte Kleinwüchsige und Behinderte gezeigt, die eine intrigante Zirkuskünstlerin selbst in einen Freak verwandeln. Eggert glaubte, hier ein ganz heißes Operneisen anzufassen. Offenbar ist ihm das Behindertenpotenzial – sei es sprachlos, blind, verkrüppelt oder zwergwüchsig – von Opern wie Aubers „Die Stumme von Portici“ (1830) verborgen geblieben, oder von Verdis „Rigoletto“ (1851), Wagners „Ring“ (1851-1874), Tschaikowskys „Jolanthe“ (1892), Schmidts „Notre Dame“ (1914), d’Alberts „Die toten Augen“ (1916) oder Schrekers „Die Gezeichneten (1918).

Als Auftraggeber für „Freax“ kommen nun Klaus Weise und Ilona Schmiel mit ins Opernspiel. Der nicht eben glücklich agierende Bonner Generalintendant, dem die Landesregierung immer mehr Zuschüsse streicht, und die teflonglatte Intendantin des von ihr erfolgreich neu positionierten Beethoven-Festes witterten hier die Chance, die neue Saison mit einem Knaller zu starten – der nun leider ein totaler Rohrkrepierer wurde.

Und das lag nicht nur an Christoph Schlingensief und seiner frohgemuten Behindertentruppe, die man als quasi authentisches Garnierwerk um und in die Opernuraufführung zu arrangieren trachtete. Schlingensief wollte natürlich den von ihm hoch verehrten „Freaks“-Film zur Grundlage seiner Bühnenauseinandersetzung machen (von Inszenierung wollen wir gar nicht sprechen), Eggert die verblasenen Herzergießungen seiner Librettistin. Schlingensief hat zwar die exterritoriale Dramenmaschine Berliner Volksbühne neu befeuert, mit seiner Bilderwalze „Parsifal“ Bayreuth in die Knie gezwungen und eben den brasilianischen Dschungel mit seinem „Fliegenden Holländer“ erobert, von der ihn heiß an ihr geldiges Herz drückenden Kunstwelt ganz zu schweigen. Aber das Tarif-Terrain Deutsches Stadttheater und die im Subventionsgestrüpp wuchernde Möchtegern-Musikavantgarde sind ihm herzlich fremd.
Als höchste mediale Aufmerksamkeit sichernder „Freax“-Bühnenmeister kam er mit dem Stoff kaum zurecht, die Musik überzeugte ihn nicht, er sah darin keine Möglichkeit, seine Geschichte zu erzählen. Eine Augenkrankheit Schlingensiefs und die Sommerpause taten ihr Übriges. Die Premiere fiel aus und fand trotzdem statt: Bonn erlebte nun das Kuriosum einer Uraufführung, die keine war, aber zweieinhalb vergnügliche und einen halben, zum Gähnen faden Akt hatte.
1. Akt: Pressekonferenz im Saal Paris des Bonner Hilton. Die federnumflatterte Schmiel und der total liberale Weise philosophieren über Wege und Werkstatt, das offene Ende des Neuen. Sie wollen, dass der Premierenlappen hochgeht, koste es, was es wolle. Eggert annektiert das Schlingensief-Motto „Scheitern als Chance“ und hofft, dass in der konzertanten Uraufführung, ohne störende Szene, der wahre Wert seiner Musik gewürdigt werde. Außerdem hat er im Programmheft neun (!) Seiten für Biografie, Preise, Auszeichnungen, Ehrungen, wichtigste Werke, öffentliche Funktionen und Ämter bekommen. Schlingensief sagt wenig, philosophiert über die Oper als Freakshow und wedelt mit den Attesten seiner Adeno-Viren, die ihn natürlich sofort auf Adorno bringen.

Wenig aufgeklärt, eher verwirrt begibt man sich in die Oper zum 2. Akt, der von Akt Zweieinhalb unterbrochen wird. Auf der Bühne ist ein dreistöckiger Aufbau zu sehen. Unten sitzen neben einem Krämerladen mit Waage in zwei Zimmerchen Pianisten und eine Tanzkapelle. Darüber steht der Chor in bunten, Oscar Schlemmers Triadischem Ballett nicht unähnlichen Kostümen. Man kann ihn wegdrehen, dann sind da wieder drei Räume, mit Bügelbrett und Weihnachtsbaum. In der dritten Etage laufen hinter Jägerzäunen und Plastikgeranien Probenfilme aus den Zimmern im Erdgeschoss. Vor dem Orchestergraben sind die Sänger im Kostüm aufgereiht, im halb überbauten Parkett lauern zwei Schauspieler auf einem Jägersitz und einem Wachturm. Die stammelnden Texte und Bühnenanweisungen gibt es zum Mitlesen.

Zum Hören gibt es eine überinstrumentiert drittklassige, von Wolfgang Lischke und dem Beethoven-Orchester gleißend aufgeschäumte Musik zwischen Rummelplatz und Gekreisch, die sich in ihren besseren Momenten anhört wie durch den Zwölftonfleischwolf gewursteter Weill. Obwohl oftmals sängerunfreundlich geschrieben, können wenigstens Otto Katzamaier mit einer Hermaphroditen-Ballade à la Lloyd Webber sowie Hege Gustava Tjönn und Barbara Schmidt-Garden als siamesische Zwillinge in einem Koloratur-Irrlauf punkten.
Eingerahmt von ungerührtem Sektgläserklirren führt Christoph Schlingensief in der Pause seinen szenisch-filmischen, auch als DVD verteilten Kommentar „Fremdverstümmelung, 2007“ auf. Weil hier die eingebürgerte Vorstellung von Oper, „also die Vorbelichtung des Gehirns“ gescheitert sei. Eingerahmt von sechs Monitoren spielt schemenhaft auf einer Bühne hinter einem Gazevorhang die Schlingensief-Familie offenbar Thomas Bernhards Behindertenparty „Ein Fest für Boris“. „Eine Torte, eine Torte“, schreit eine, „ich liebe nur Operette“, eine andere. Über sie hinweg projiziert werden ein dirigierender Torero, Probenausschnitte und eine Kreuzigung – samt Zitaten von Pirandello, Erving Goffman bis zu Adornos Furunkel. Dann folgt, leider, der zweite Opern-Teil.

Nach der Vorstellung geht es ins chinesische Restaurant hinter der Oper, Schlingensief und Familie. Man futtert fröhlich Ente süßsauer. „Den Sängern zuliebe“ wechselt er dann doch noch auf die offizielle Premierenfeier. Und denkt noch einmal darüber nach, die vom WDR live gesendete Eggert-Musik über den Tod-Browning-Film zu legen und auf YouTube zu stellen.

Die Welt, 4.9.07