Porträt der Berlinerin Lori Mai aus Anlaß der „ALS-Gala“ am 3. April im Berlin Marriott Hotel
Von Stefanie Schreiber
Die Berlinerin Lori Mai leidet an der seltenen ALS-Krankheit – und sie war Kandidatin bei „Deutschland sucht den Superstar“.
Es begann mit dieser Taubheit im linken Fuß. Lori Mai dachte sich nichts dabei. „Nichts Schlimmes“, beschied der Gynäkologe der schwangeren Frau, das Baby liege halt ungünstig, drücke auf den Nerv. Doch das Gefühl der Stumpfheit blieb, breitete sich aus. Im Januar 2007, Lori hatte gerade Windeln gekauft, passierte es. Sie ging den Tempelhofer Damm entlang. Es war ein sonniger Tag, Loris Töchter Anouschka (4) und Alenka (1) brabbelten fröhlich im Doppelkinderwagen, als plötzlich, wie ferngesteuert, ihr linkes Bein ausscherte. Sie umklammerte noch den Griff des Kinderwagens. Ließ los. Dann stürzte sie der Länge nach zu Boden.
Damals konnte Lori Mai noch nicht wissen, dass sie einmal auf einer Liege der Charité landen würde. Dass sie oft dort liegen würde. Dass Ärzte Blut aus ihrem Arm nehmen würden, Nervenwasser aus ihrem Rücken und andere Dinge mehr. Dass sie dann als Sängerin ins Fernsehen käme und später – am dritten April – auf eine Spendengala für Kranke. Und dass sie vielleicht diejenige werden könnte, die in Deutschland Aufmerksamkeit erregt für eine Krankheit, so schleichend und gefährlich, dass die Öffentlichkeit kaum Notiz von ihr nimmt, ja selbst geübte Mediziner sie nicht ohne weiteres erkennen, obwohl ihre Diagnose seit 1874 genauestens definiert ist.
Lori Mai durchlitt ein Martyrium aus Untersuchungen, machte sinnlose Krankengymnastik, überstand schmerzhafte Elektromyographien, bei denen die Funktion der Muskeln mit Elektroden geprüft wird – Nadeln, die der Arzt zentimetertief ins Fleisch stoßen muss, um Ströme innerhalb der betroffenen Muskeln zu messen. Nach acht Monaten, sie saß nun im Rollstuhl, war Lori Mai mürbe. „Egal, was es war, ich wollte eine Diagnose.“ Die bekam sie dann auch. Sie hatte auf Borreliose gehofft. Multiple Sklerose wäre okay gewesen. Die Ärzte aber sagten „Amyotrophe Lateralsklerose“ – Amy-was? Lori hatte mal davon gelesen. Sie hatte die Internetseite ganz schnell wieder weggeklickt. So etwas wollte, nein – konnte sie nicht haben: Ein heimtückischer Mix aus fortschreitenden Lähmungserscheinungen und Muskelschwund: kurz ALS.
Und was wird aus meinen Kindern? Sie wollte ihnen etwas hinterlassen. Musik. Ein Musik-Album. Die Hausfrau nutzte ihre Musical-Ausbildung am College in Texas, bewarb sich beim Fernseh-Wettbewerb „Deutschland sucht den Superstar“ und sang – ausgerechnet „Killing me softly.“
Ihr war klar, dass sie da nicht hinpasste. Eine Frau von 29 Jahren, Mutter zweier Kinder, bemüht sich nicht um das Wohlwollen eines Dieter Bohlen. Doch wo hätte sie noch so schnell so viel Aufmerksamkeit bekommen? „Ich hatte ja kaum noch Zeit.“
Es war keine Mitleidsnummer, sagt Lori Mai heute, „Ich habe Spaß gehabt“. Im Fernsehen hat sie es nicht geschafft – im richtigen Leben aber schon: Vergangene Woche hat Lori Mai ihren Plattenvertrag bei der Firma „Music2Gold“ unterschrieben, die unter anderem mit Universal, Sony und einem großen europäischen Musikvertrieb, Edel, zusammenarbeitet.
Am 3. April wird Lori Mai also wieder singen: auf der ALS-Gala im Berliner Marriott-Hotel. Schirmherr ist Christoph Schlingensief. Mai wird neben Unterhaltungs-Profis wie Moderator Johannes B. Kerner oder Wladimir Kaminer auftreten. Ziel der Veranstaltung: So viel Spenden wie nur möglich sammeln, für die ALS-Ambulanz der Charité.
Es ist das größte und wichtigste deutsche Behandlungszentrum für ALS. Der Leiter des Zentrums, Thomas Meyer, hatte 1992 noch amerikanische ALS-Zentren in San Francisco bestaunt. Zehn Jahre später gründete er selbst eines und ist heute einer von kaum 10 Ärzten, die sich in Deutschland auf ALS spezialisiert haben. 400 Patienten behandelt das Zentrum im Jahr. „ALS ist neben Aids und Krebs eine der schwersten Erkrankungen überhaupt“, sagt Meyer, „wir brauchen noch mehr spezialisierte Zentren, um sie zu behandeln.“
Die Krankheit verläuft schleichend, lähmt Arme und Beine, Schluckreflex und Atmung. Den Patienten bleiben nur wenige Jahre, für ihre Behandlung bedarf es absoluter Spezialisten, die alles über Physiotherapie wissen. Alles über künstliche Ernährung. Alles über künstliche Beatmung. Doch wenn es solche Zentren schon gibt, warum brauchen sie dann Geld?
„ALS ist in Deutschland noch nicht so präsent“, sagt Meyer, wie etwa für die Amerikaner die „Lou-Gehrig-Krankheit“. Sie haben ALS nach den deutschstämmigen Baseball-Star benannt, der seine Diagnose im Stadion der Yankees verkündete und damit die Aufmerksamkeit einer ganzen Nation gewann. In Deutschland sieht das anders aus. Für die ärztliche Beratung eines ALS-Kranken zahlen deutsche Krankenkassen 65 Euro im Quartal. Ein ernst zu nehmendes Patientengespräch sei, so Meyer, „finanziell nicht abgebildet“. Deutlicher: Die Kassen lassen die Opfer einer der schlimmsten Krankheiten im Stich, auch die Forschung lahmt. Von 100 000 Menschen erkranken jährlich drei, mit 1500 Toten im Jahr ist ALS in Deutschland eine relativ seltene Krankheit – ein problematischer Markt für Pharma-Unternehmen, die mit ihrer Forschung auch Gewinn anstreben.
Also müssen die Kliniken selbst forschen. Im Dezember zum Beispiel pflanzten Charité-Chirurgen einem ALS-Patienten den ersten Schrittmacher für das Zwerchfell ein. Die Geräte waren anfänglich für Querschnittsgelähmte gedacht – nun unterstützen sie die Atmung eines ALS-Kranken. Auch bei Medikamenten tut sich etwas: Derzeit läuft eine Studie mit dem Medikament Olanzapin. Ursprünglich als Mittel gegen Schizophrenie gedacht, erforscht die Charité nun, nachdem das Patent ausgelaufen ist, eine attraktive Nebenwirkung des Medikaments: Olanzapin macht „dick“ – eine Hoffnung für ALS-Patienten, deren Muskelschwund zu lebensbedrohlichem Untergewicht führen kann. 40 Teilnehmer machen mit, mehr als 100 000 Euro kostet die Studie. Mittel, die von Privaten gespendet werden müssen.
Der Düsseldorfer Maler Jörg Immendorf, der an ALS starb, hat eine Stiftung für die Charité eingerichtet. Die Spendengala im April soll dem Zentrum weitere Schritte ermöglichen, und vielleicht bringt Lori Mai dann auch ihre ältere Tochter Anouschka mit. Die Vierjährige will einmal Ärztin werden. Vielleicht behandelt sie ja wirklich einmal die „Lori-Mai-Krankheit“, so wie die Amerikaner es mit den Leidensgenossen von Lou Gehrig tun.
Die ALS-Gala findet am 3. April im Berlin Marriott Hotel statt. Karten und Informationen erhalten Sie im Internet unter www.charity-for-charite.de und unter Tel. 450 57 05 02. Das Album von Lori Mai ist ab Mai im Handel erhältlich.
Welt am Sonntag, 23.3.2008