WIEDERGEBURT MIT TOTENRITUALEN (NZZ)

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Walter Braunfels‘ «Jeanne d’Arc»-Oper in Berlin szenisch uraufgeführt

Von Georg-Friedrich Kühn

Man kann das lesen als persönliche Krankengeschichte des zum Ideengeber reduzierten Regisseurs, man kann es lesen als Komponistenkommentar zu dem in der Oper auch apostrophierten «Tausendjährigen Reich». 1938 bis 1943 dichtete und komponierte der von den Nazis aus dem Amt des Kölner Musikhochschul-Rektors vertriebene und mit Aufführungsverbot belegte Walter Braunfels seine «Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna». Kurz zuvor war er nach Überlingen am Bodensee übergesiedelt. Die Uraufführung von Hindemiths «Mathis der Maler» in Zürich regte ihn an, sich noch einmal mit einer grossen Figur der Geschichte zu befassen. Jeannes Prozessakten, aus denen er zitiert, waren erschienen. In der Zeit der inneren Emigration war das ein Stück «Schicksalsbewältigung», wie Braunfels‘ Enkel Stephan, der bekannte Architekt, sagt. Die «Johanna» war die neunte und letzte Oper des Komponisten, der in den zwanziger Jahren fast so erfolgreich war wie Richard Strauss.

Jeanne D'Arc - Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna - Foto: Thomas Aurin

Die szenische Uraufführung jetzt an der Deutschen Oper Berlin sollte der Regisseur Christoph Schlingensief besorgen. Er ist schwer krank und konnte nur das Konzept erarbeiten. Ein Team um den «Parsifal»- und «Holländer»-erprobten Dramaturgen Karl Hegemann versuchte es umzusetzen. Der Kontakt mit dem Kranken lief per Video, Telefon und SMS. Die filmische Arbeitsweise Schlingensiefs kommt dem entgegen: Es müssen vor allem Abläufe organisiert werden. Vorgänge werden kaum entwickelt, was aber auch eine gewisse Spannungslosigkeit bewirkt. Dicht an dicht reihen sich die Bilder, die meist übervolle Drehbühne mit Totenverbrennungsstätten und Krankenzimmern rotiert, Videoschleifen flimmern allenthalben, gleich zu Beginn Aufnahmen aus dem nepalesischen Pashupatinath, wo Schlingensief Ende Dezember noch filmte und wo Leben, Sterben, Kranksein, Dahinsiechen dicht nebeneinanderliegen.

Ein Pandämonium hinduistischer und christlicher Totenrituale lässt Schlingensief auferstehen, die unheilige Inquisition inbegriffen. Prozessionen kreisen im Raum. Johannas bischöflicher Vater gleitet im Elchtest vorbei. Der Schlingensiefsche Zoo mit Kuh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Hühnern wird aufgeboten. Zwergwüchsige und ein behinderter Tänzer ergänzen das Personal. Vor Schreck hebt Jesus beim Abendmahl ab in den Himmel. Die gefangene, todgeweihte Johanna wird wie ein Praliné mit roter Brustschleife auf der Krankenbahre am Tropf präsentiert. Ihr unverbranntes Herz zirkuliert als Riesenmonstranz. Immer wieder senkt sich eine Riesenlunge ins Bild. Ein Blaubart genannter Satansbruder, Gilles de Rais, im schwarzledernen Biker-Outfit und mit Sternenhelm umkreist Johanna bis zuletzt. Er hat’s mit Kindlein.

Jeanne D'Arc - Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna - Foto: Thomas Aurin

Mit dieser Figur leuchtet das Inszenierungsteam auch in den politischen Subtext der Oper. Johanna trägt ja Züge des unhinterfragten «Heilsbringers» Lohengrin, Gilles de Rais ist auch historisch ein Massenmörder. Er finanzierte Johannas Feldzug und nach ihrem Tod Orgien mit Kindern, die er massenweise auf sein Schloss verschleppte, schändete und tötete. Und dann gibt’s da auch noch den Herzog von Trémouille, einen zynischen Manipulator, der Johanna für seine Ziele benutzt. Braunfels, nach dem Ersten Weltkrieg zum Katholizismus übergetreten, spielt mit diesen Selbstzweifeln auf die Ambiguität nationalreligiöser Feldzüge an, wie Johanna einen initiiert. Oder frei nach Dostojewski: «Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt.» Bei Schlingensief scheitert diese Johanna freilich nicht eigentlich auf dem Scheiterhaufen. Sie verduftet in den Wunderkerzen einer riesigen Geburtstagstorte zur Wiedergeburt. Dieser entsteigt sie am Ende. Menschen wollen Wunder, immer wieder.

Braunfels‘ Musik entwickelt eine sehr eigenständige Kraft, sie changiert zwischen Strauss, Pfitzner und Othmar Schoeck. Auch Anklänge an Kurt Weill kann man entdecken und viel Liturgisches. Ulf Schirmer am Pult steuert sicher durch diese oft herb-düsteren Klangmassen. Eine wunderbar hellstimmige Johanna ist Marry Mills, Morten Frank Larsen ihr satanischer Begleiter Gilles. Paul McNamara gibt den naiven Künder himmlischen Heils, Saint Michel. Und auch wenn es schwer ist, auf Anhieb sich in diesem personenreichen Stück und der verschlungenen Inszenierung zurechtzufinden, die Musik lohnt es allemal. Am Ende gab es einhelligen Beifall von einem Publikum mit Glamour-Faktor, wie es sich Intendantin Kirsten Harms neuerdings so sehr wünscht.

2.5.2008