ALLES SO SCHÖN ESOTERISCH (DIE ZEIT)

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In Paris sucht eine große Ausstellung nach den »Spuren des Heiligen« in der Moderne. Doch wie religiös ist die Gegenwartskunst?

Von Wolfgang Ullrich, DIE ZEIT, 15.05.2008 Nr. 21

In schlechten Zeiten, so lautet ein Gemeinplatz, werden die Menschen gläubig. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Denn die in den letzten Jahren oft proklamierte »Wiederkehr des Religiösen« ist auch ein Wohlstandsphänomen: Wer seine täglichen Lebensgrundlagen gesichert hat und sich saturiert fühlt, giert nach Bewusstseinserweiterung. Da wird nicht zuletzt die Kunst zur metaphysischen Verheißung. Bereits im späten 18. Jahrhundert galt sie als Psychotherapeutikum und gesellschaftliches Allheilmittel, und auch heute vermuten manche in ihr gewaltige Ressourcen des Spirituellen.

Traces Du Sacre

So verwundert nicht, dass es in den letzten Jahren wiederholt Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Kunst gab, die von einem spezifisch religiösen Interesse motiviert waren. In Dresden fand 2004 die Schau Die Zehn Gebote statt, die anhand von Werken heutiger Künstler die Aktualität und Berechtigung großer religiöser Themen beweisen wollte. Noch weiter greift eine Ausstellung, die derzeit das Pariser Centre Pompidou zeigt und die im Herbst ins Münchner Haus der Kunst weiterwandert. Unter dem Titel Traces du Sacré (»Spuren des Heiligen«) versammelt sie rund 350 Arbeiten, die dokumentieren sollen, wie Künstler der Moderne auf den Verlust von Glaubensgewissheiten reagiert haben. Wie gingen sie um mit Nietzsches Diktum vom Tod Gottes?

Gerade die Avantgarden verweigerten sich der Entzauberung der Welt durch Aufklärung und Industrialisierung. Sie nutzten das entstandene Vakuum, um eigene metaphysische Weltentwürfe zu lancieren. Viele Heroen der Moderne hielten spiritistische Sitzungen ab, glaubten an okkulte Kräfte oder träumten von einer kosmischen Reinigung der Welt. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde dies von der kunsthistorischen Forschung umfangreich dargestellt, zuerst sehr zum Entsetzen vieler Freunde der Moderne. Sie hingen nämlich der hehren Vorstellung an, dass die Avantgarde klar dem Fortschritt – also dem Rationalismus und den großen Emanzipationsbewegungen – verpflichtet gewesen sei. Die antimodernistischen Bestrebungen der Moderne, ihre esoterischen Motive wurden lange ausgeblendet, gar tabuisiert.

Die Pariser Ausstellung macht diese Motive nun präsent, will dabei aber nicht noch einmal den Glauben an eine rationalistische Moderne erschüttern, sondern bestätigt die mittlerweile allgemein anerkannten Erkenntnisse über die spirituellen Affinitäten moderner Kunst, um diese einem seinerseits spirituell empfänglicher gewordenen Publikum schmackhaft zu machen. In 24 Sektionen wird die moderne Kunst als Ladestation für geistige Energien, als Reflexionsmasse sämtlicher ersten und letzten Fragen gewürdigt.

Deren Erhabenheit verführt jedoch auch zur Grenzenlosigkeit: Es geht um den Neuen Menschen, um Eros und Thanatos, um das Motiv des Tanzes, um den Zufall und um vieles mehr. Oft vermittelt sich trotz gewissenhaft zusammengetragener Exponate nur eine vage Ahnung von dem, was die Künstler umtrieb. So hat man etwa Hugo Balls berühmten Auftritt als magischer Bischof im Züricher Cabaret Voltaire im Jahr 1916 erstmals genau rekonstruiert. Gezeigt wird ein Film, in dem ein Dadaismus-Experte das Lautgedicht Karawane im bischofsähnlichen Fantasiekostüm des Dichters rezitiert. Doch versäumt die Ausstellung, zugleich darauf hinzuweisen, wie stark sich Ball damit auch in gnostische und mystische Traditionen stellte, ja als Erneuerer eines – eigenwillig interpretierten – Katholizismus begriff.

Wenn es schon verwundert, dass manche Sektionen nur einem Jahrzehnt, andere einem Land, wieder andere aber einem Motiv gewidmet sind, dann erstaunt noch mehr, wie stark die Ausstellung eine Kontinuität vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart suggeriert. Vermutlich verleitete aber gerade die aktuelle Renaissance spiritueller Themen dazu, auch den zeitgenössischen Künstlern entsprechende Ambitionen zu unterstellen.

Dabei lässt sich ausgerechnet anhand einiger der eindrucksvollsten neueren Exponate der Ausstellung zeigen, dass sich wichtige Gegenwartskünstler teils cool, teils ironisch von heilsgeilem und esoterischem Gebaren distanzieren. So rekurriert Damien Hirst mit einem 2006 entstandenen Triptychon zwar auf einen Bildtypus sakraler Kunst, zitiert den absolutistischen Impetus eines Malewitsch, Rothko oder Reinhardt, indem er es ganz in Schwarz anlegt, ja er gibt ihm sogar den religiösen Titel Forgive Me Father for I Have Sinned.

Doch unterläuft Hirst jegliche metaphysische Sehnsucht damit nur umso effektiver. Die Bildtafeln bestehen nämlich aus toten, in Kunstharz getränkten Fliegen, taugen also nicht zum Symbol für Transzendenz, sondern zeigen profan-ekle Sterblichkeit. Dieses Triptychon neben Bilder von Caspar David Friedrich und August Strindberg zu hängen, wie es in Paris geschieht, verkehrt seinen im wahrsten Sinn schwarzen Humor in eine düstere Sakralität und stellt es in die Tradition, die es persifliert.

Gerade Damien Hirst aber ist repräsentativ für eine Kunst, die genauso wie die neue Suche nach Spiritualität als Wohlstandsphänomen gelten darf. Es handelt sich dabei um eine demonstrativ eiskalte Luxus-Kunst, die sich nur leisten kann und will, wer sorglos in gesicherten Verhältnissen lebt und genügend Vitalität besitzt, um sich sogar über die Heilsbedürfnisse anderer zu amüsieren – und zu erheben. Es wäre lohnend, diese freche Abkehr wichtiger zeitgenössischer Künstler vom »Geistigen in der Kunst«, die demonstrative Diesseitigkeit eines Takashi Murakami oder den gut gelaunten Materialismus eines Richard Prince im Kontext der Ausstellung zu erörtern.

So fällt auf, dass der Kunstmarkt gerade diese Künstler mit Preisrekorden verwöhnt – dass den Werken also allein durch das viele Geld, das für sie gezahlt wird, wieder eine Aura von Geheimnis zukommt. Schafft der Markt, so wäre zu fragen, eigene Sakralitäten? Provoziert die profanste Kunst den stärksten Willen zur Verzauberung? Ist es vielleicht gar nicht möglich, dem allgemeinen Bedürfnis nach Metaphysik zu entgehen?


Abendmahl

Foto: A. Burger

Andere zeitgenössische Künstler greifen zwar nach wie vor gern bedeutungsstarke religiöse Sujets auf, doch erscheinen ihre Werke so schalkhaft-freizügig, dass sie damit ihre Unabhängigkeit von Glaubenssätzen aller Art, ihr postmetaphysisches Bewusstsein unter Beweis stellen. So mischt Christoph Schlingensief in seiner Skulptur Abendmahl (2007) den Propheten Mohammed unter die Jünger Christi, missachtet deren Anzahl und lässt insgesamt neun Figuren vor vierzehn Tellern sitzen und in einen Bildschirm glotzen, auf dem eine Fledermaus mit einem Fisch kämpft. Das ist feinste Absurdität, gerät aber in der Ausstellung nicht etwa in die Sektion Blasphemie, sondern in die Abteilung, die sich dem Motiv des Opfers widmet, in direkte Nähe zu Hermann Nitsch und Marina Abramović. Wieder wird so das Wesen einer zeitgenössischen Arbeit merkwürdig verkannt.

Man kann den Kuratoren aber dankbar dafür sein, dass sie auf viele Varianten religiöser und spiritueller Kunst verzichten, die nur noch aus längst konfektionierten Heilsversprechen bestehen. So sind etwa Anselm Kiefer, A.R. Penck oder Wolfgang Laib nicht in der Ausstellung vertreten. Doch vermisst man andererseits auch eine Analyse jener Orte, an denen der spirituelle Habitus unserer Gesellschaft entwickelt und zelebriert wird.

Gerade weil die Ausstellung sich als kulturgeschichtliche Expedition versteht, hätte sie untersuchen können, inwieweit mittlerweile manche Formen der Wellness-Industrie das Erbe der Avantgarde-Kunst angetreten haben und dieser damit näherstehen als Künstler wie Hirst und Schlingensief. Auf Spuren des Heiligen trifft man heute am offensivsten in der Vermarktung von Mineralwasser, bei Duftkerzen, Tees und in Tourismusprospekten. In den oft exotisch anmutenden Wellness-Anwendungen leben Archaismen und Paradiesvorstellungen fort; beschworen wird eine Ganzheit von Seele, Geist und Körper, und viele lassen sich auf magische Substanzen und ritualisierte Übungen ein. All das gründet genauso in antimodernistischen Affekten wie ehedem die Esoterik der klassischen Moderne. Das mag diese wieder interessant machen, aber man sollte deshalb nicht gleich die gesamte Kunst darauf reduzieren, esoterische Fantasien zu befriedigen.

Der Autor ist Professor für Kunstwissenschaft in Karlsruhe; zuletzt erschien von ihm im Wagenbach-Verlag »Gesucht: Kunst! Das Phantombild eines Jokers«

Noch bis 11. August 2008, Centre Pompidou, Paris

http://www.centrepompidou.fr