Christoph Schlingensief: Der König wohnt in mir
Eröffnung Dienstag 28.10.2008 20 Uhr
Ausstellung 29.10. bis 13.11.2008
Autocenter
Eldenaer Straße 34a
10247 Berlin
Öffnungszeiten:
Do, Fr 16:00-19:00
Sa, 14:00-18:00
zu den jeweiligen Ausstellungen und nach Vereinbarung
www.autocenterart.de
Was haben Sie sich dabei gedacht, Herr Schlingensief?
„Für jeden Wochentag einen Kamin. Keinen für den Sonntag, den siebten Tag – da ist eine Leerstelle. Auch diese Leerstelle jedoch gehört zum Ablauf der Woche, ist also genauso teuer wie jeder Kamin, genauso vergänglich, was in Kaminen brennt. Hier brennt keine Flamme, stattdessen glimmen hier die letzten 16mm- und Videoaufnahmen; es sind Bilder, die ich am 3. Januar 2008 machte, bevor ich eine medizinische Diagnose erhielt. Es waren Bilder, die mein Leben von einem auf den nächsten Tag komplett verändern sollten: Leben oder sterben? Palliativ weitermachen?
Die letzten Tage vor dieser „Offenbarung“ war ich zu Filmaufnahmen in Nepal, Kathmandu, auf dem Land, in Bakthapur. Dort besuchte ich ein Kinderkrankenhaus, welches ein mutiger Mann vor zehn Jahren erbaut hatte, weil es für die Armen bis dahin noch nicht einmal eine Mindestversorgung gegeben hatte und sein Sohn deshalb im Alter von vier Jahren verblutet war. Die Worte, die ich ins Gästebuch schrieb, lauteten: „Auf dass die kreisenden Gedanken endlich wieder einen Grund finden“.
Sechs Filme also: Ein schlafender Baba, dann ein Film, der einen alten grüßenden Nepalesen zeigt, einer über das das Ausweiden eines Schweins, vergammelte, verseuchte Hospizzimmer und die öffentliche und gut einsehbare Verbrennung der Toten am Fluss von Pashupatinath. Zuletzt ich selbst, zwölf Minuten lang als dandyhafter Ethnologe, der im grau-weißen Anzug junge Ziegelarbeiterinnen und -arbeiter vor Kaminen malt, die noch größer sind als diese hier, in Öl. Wieder stellt sich die Frage nach der Vergänglichkeit, die Frage nach der Erlösung, die Frage nach der eigenen Unfähigkeit, der Sinnlosigkeit von Kunst, der Wunsch, zumindest für eine, seine eigene Sache zu brennen.
Aber was soll da eigentlich noch brennen? Wie wichtig ist dieses Sich-Aufzehren, dieses Sich-Infrage-Stellen? Gleich, wie viel Geld jemand mit sich herumschleppt, diese Fragen stellt sich jeder: Für wen oder was habe ich im Leben gebrannt? Bin ich wirklich der, der ich bin, oder der, der ich einmal werden wollte? Diese Arbeit hier steht für einen bedrohlichen Einschnitt in mein bisheriges Leben, in meine bisherige Arbeit, in meine Lust am Leben. Es geht um die Frage nach Gott oder dem verloren gegangenen Tropfen Liebe, der jeden Schmerz erträglicher werden lässt. Verbrennen, um geliebt zu werden? Die Vorhölle, das Fegefeuer schon auf Erden?
Den so genannten Limbus – jenen Aufenthaltsraum für Seelen, die ohne eigenes Verschulden vom Himmel ausgeschlossen sind – hat der Papst 2007 verboten, einfach abgeschafft. Doch ich klebe nicht am Katholizismus. Mit dieser Arbeit möchte ich darauf verweisen, dass der Leidende genauso zum Weltgeschehen beiträgt wie der vermeintlich Aktive. Ich glaube: Man darf auf Erden Gutes tun und darauf hoffen, dass es mit aufs Konto kommt. Dieser Vorgang – ich nenne ihn ab sofort: AB-LEIDEN – ist Menschensache, ist notwendige Vorarbeit zum Tod. Wer dies nicht akzeptiert, hat Gott verloren. Und wer Gott verliert, oder zumindest für Tage und Wochen glaubt, er sei verloren oder sei von Gott vergessen worden, der kommt vielleicht zu sich, kommt zur Ich-Erkenntnis. Aber Erkenntnisse zu teilen, dürfte auch im Interesse Gottes liegen. Mir ist ganz warm. Ich brenne. Die Übermalung, die Veränderung, fand nicht von außen statt, sondern von innen. Mit dieser Arbeit kam ich in die Realität zurück. Die Bilder haben gesprochen. Sechs Kamine und ein freier Tag, die Leerstelle!“
(Christoph Schlingensief in Financial Times Deutschland, 12. September 2008)
Der König wohnt in Mir
Installation von Christoph Schlingensief
Autocenter & Kunstraum Innsbruck
Videos
Kamera: Christoph Schlingensief
Schnitt: Lilli Kuschel, Stefan Schmied
Film Raum II
„Drei Sonnen / Prozession“ (2008)
Kamera: Christoph Schlingensief
Schnitt: Heta Multanen
Fotografien: Aino Laberenz