Schlingensief: Willkommen im „Parsipark“!
DER STANDARD vom 6. September 2005
von Joachim Lange
Neuhardenberg – Es gab Zeiten, da hat Christoph Schlingensief vor der Bundestagswahl eine Partei gegründet und mit dieser Chance 2000 genau die Chance genutzt, die er nicht hatte. Heute beschränkt er sich tagespolitisch auf Zwischenrufe – in Interviews, die untrennbar mit seinen Aktionen verbunden sind. „Fahnenflucht 2010“ müsste eine solche Partei heute heißen, sagte er kürzlich, bleibt mit seiner mobilen, gerade in Köln stationierten Church of Fear, der „Kirche der Angst“, mit einem Fuß dann doch in der Politik, zumindest an ihren unterirdisch sprudelnden mentalen Quellen. Und lädt in den Wald nach Neuhardenberg.
Das liegt räumlich zwischen Berlin und Frankfurt/Oder, historisch liegt es zwischen preußischer Überlebensreform, finaler Weltkriegsschlacht, DDR-Regierungsflughafen und intellektuellem Nobel-Nachwenderefugium in der Regie der Sparkassenstiftung. Im Universum des Christoph Schlingensief aber lag es an den beiden letzten Wochenenden irgendwo zwischen Bambiland-Burg, Parsifal-Bayreuth und Odin-Island, heißt Animatograph, ist begehbar und besteht rigoros auf der Autonomie von Kunst. Inklusive ihrer Selbstbezüglichkeiten und Grenzüberschreitungen, die bei allem, was Schlingensief macht, zu den Essentials gehören.
Bevor die Busse vom Schloss zum Flugplatz fuhren, sammelte sich die Fan-Gemeinde wie zur Klassenfahrt. Viele kamen aus Berlin – und sogar die Rock-Ikone Patti Smith war da. Man freute sich über die persönliche Begrüßung durch den gut aufgelegten Meister und seine Erläuterung des Lageplans für seine begehbare Installation im märkischen Wald, einem Panoptikum der Selbstzitate und Assoziationswürfe, in dem er sich immer noch selbst am besten zurechtfindet.
Hinter den Hangars dann rief der Muezzinlautsprecher vom Schornstein-Minarett zum Dauer-Angstquieken beim Schweineschlachten aus dem Unterholz, sprangen Comicnazis unter den Einweisern herum, spendeten schaurig schöne Wohnzimmerstehlampen Licht an den preußischen Waldwegen und konnte man in Bruchstücken der Bayreuther Parsifal-Installation herumklettern, inklusive „Gastspiel“ der schwarzen Urmutter zu voll dröhnender Erlösungsmusik in der miefigen Barackenruine.
Mit Projektion des verwesenden Hasen, versteht sich, und mit Filmschnipseln von der Götter- und Mythenexkursion nach Island, einem Hitler-Stalin-Porno und einer zerhackerten Adorno-Ansprache und mit einem Klingsor, der in der Nasa-Garage an seiner Zauberreich-Auflösungsrakete werkelt. Wer „richtiges“ Theater will, musste es schon selber machen.
Wer noch nie etwas von Schlingensief gehört oder gesehen hat, könnte dieses „Ende des wohltemperierten Theaters und Beginn der animatographischen Befreiungspolitik“ (so ihr Erfinder) für einen Waldspaziergang mit Geisterbahnschabernack halten. Wer sich aber mit kindlicher Naivität oder als Reisebegleiter der Karawane Schlingensief auf diesen zwei-, dreistündigen Ausflug einließ, der hört in diesem „Parsipark“ den deutschen Wald rauschen. Das klingt dann so wie der Erlösungszauber aus Wagners Parsifal.