Christoph Schlingensief war schwer krank, jetzt ist er wieder da und mischt mit: Streitbar wie eh und je kritisiert er den Bochumer Kulturdezernenten, die Intendanten insgesamt und die Kulturhauptstadt sowieso.
In einer äußerst erfolgreichen Inszenierung für die Ruhr Triennale hat er gerade seine schwere Krebserkrankung verarbeitet: Christoph Schlingensief. Im Herbst bewarb er sich als Intendant für das Schauspiel Bochum – und wurde es nicht. Gudrun Norbisrath sprach mit ihm über seine Motive und neue Pläne.
Was reizt Sie an Bochum? Sie sind doch Regisseur.
Schlingensief: Nicht nur. Ich habe die Hälfte meiner Aktionen und Filme selber geplant und co- oder ganz produziert. Eine Intendanz habe ich mir öfter zugetraut, vor allem, weil ich oft mitansehen musste, in welcher Bequemlichkeit die Herren Intendanten landauf, landab ihre Kohle abziehen, ohne Elan, ohne wirklich diskussionswürdige Ideen. Und natürlich ist Bochum genau der richtige Ort. Eine Ikone.
Sie hatten sich gemeinsam mit Armin Petras beworben.
Schlingensief: Ja, er sollte der Intendant sein und ich künstlerischer Direktor. Armin ist Intendant des Berliner Gorki-Theaters, er hat mir sehr geholfen während meiner Krankheit und gesagt, ich kann sofort bei ihm arbeiten. Ich hatte auch ein Angebot von der Volksbühne, aber das Gorki ist anders, eine ganz weiche, sehr familiäre Angelegenheit.
Wie lief die Bewerbung ab?
Schlingensief: Ich hatte ein Gespräch mit dem Bochumer Kulturdezernenten und dann hat Armin mir erzählt, dass er angefragt worden sei. Es war seine Idee, dass wir das zusammen machen sollten, und ich fand auch, dass wir ein Superteam wären. Wir hätten uns fantastisch ergänzt und ich hätte Kollegen angesprochen, die gern mit mir arbeiten, Martin Wuttke oder Rene´ Pollesch wollten dabei sein, und Bierbichler, Minnichmaier, Angela Winkler, Pucher. Fragen Sie mal Zadek, der fand die Idee auch ganz toll und richtig; Bondy, Breth, Marthaler, alles Freunde. Aber es ist dann sehr merkwürdig gelaufen, ich kriegte nicht mal einen Anruf.
Was wollten Sie in Bochum verwirklichen?
Schlingensief: Ich wollte die Aufbruchstimmung nutzen. Nach dem Absturz der Weltwirtschaft gibt es wunderbare Möglichkeiten, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Kunst hat mehr Reserven, als die Politik je haben wird. Stattdessen holt man ein zwölf Kilometer entferntes Erfolgsmodell. Warum? Anselm Weber macht gute Arbeit, aber dass er an einem Verschiebebahnhof Gefallen hat, wusste ich nicht. Andererseits muss ich zur Kenntnis nehmen, dass man mich im Wanderpark Ruhrgebiet nicht haben will. Schade.
Was bedeutet Ihnen das Ruhrgebiet?
Schlingensief: Ich komme aus Oberhausen, war aber in den letzten Jahren nur als Durchreisender hier. In Duisburg bei der Triennale habe ich wieder gemerkt, wie viel Kraft in der Region steckt. Das wird nicht genutzt, stattdessen werden nachts Industriestätten für viel Geld beleuchtet.
In Essen wird demnächst eine renommierte Intendantenstelle frei. Bewerben Sie sich?
Schlingensief: Ich habe mit dem Ruhrgebiet nicht abgeschlossen, aber ich glaube nicht, dass ich mich bewerbe. Den Bochumer Vorgang finde ich sehr schade, er zeigt wieder mal die eingeschränkte Sichtweise von zugereisten Kulturmachern, die wohl eher durch Zufall in diesen Job gerasselt sind. Das gleiche gilt leider auch für die herumeiernde Kulturhauptstadt.
Warum die?
Schlingensief: Sie kommen nicht wirklich zu Potte. Die Sponsoren haben keinen Bock, die Ideen sind teilweise brillant, aber oft an den Haaren herbeigezogen, einfach zu blöd. Sie machen dicke Bücher voller Visionen, aber der Reflex auf das, was das Ruhrgebiet wirklich ist und was es in Zukunft treiben sollte, fehlt.
Was war Ihr Vorschlag?
Schlingensief: Kein großer, aber ein werbewirksamer! Ich wollte etwas machen, das auch Leute in anderen Bundesländern auf dieses Kulturereignis auf spielerische Art und Weise hinweist. Etwas, das seinen Charme und auch seine Absurdität spiegelt. Ich wollte ans höchste Gut des WDR: nämlich einen ganz merkwürdigen Tatort drehen. Er sollte den Mythos Ruhrgebiet aufnehmen, mit verdrehten Kommissaren und Verfolgungsjagden, ein Sinnieren über das Weltgeschehen, amüsant und unkompliziert. Aber seit einem ersten Treffen vor anderthalb Jahren gab es nur noch die Hoffnung, zahlreiche Versuche von Herrn Pleitgen, aber der zuständige Redakteur hat wahnsinnig viel um die Ohren und muss gucken, dass das ganze Geld schön bei Colonia Media landet. Die müssen das produzieren, damit das alles gleich aussieht und der WDR seinen Omastil behalten kann.
Was machen Sie stattdessen?
Schlingensief: Meine größte Angst während der Krankheit war, dass ich nicht mehr gebraucht würde. Aber jetzt habe ich mehr Möglichkeiten als früher. Ich entwickle mit dem Architekten Stephan Braunfels einen Opern-Neubau mit völlig neuen Ansätzen – ein Haus, für das die Musik noch komponiert werden wird. Dann arbeite ich wieder an der Burg, drehe einen Spielfilm und hoffe, dass ich mit dieser Arbeitsfreude noch lange leben bleibe.
Erschienen in der WAZ, Kultur, 26.11.2008, Gudrun Norbisrath