»GOTT IST EIN GESCHEITERTER KÜNSTLER« (KDA)

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Patti Smith und Christoph Schlingensief über Kunst und Religion

Von Elisabeth Noske (KNA)

München (KNA) Beide reden oft über Gott. Am Sonntagnachmittag taten es die amerikanische Rockpoetin Patti Smith und der Allround-Künstler Christoph Schlingensief öffentlich im Münchner Haus der Kunst. Über «Kunst, Spiritualität und Religion» tauschten sich die zwei aus. Es wurde ein sehr persönlicher Talk, moderiert vom Chef des Hauses, Chris Dercon. Beide Gesprächspartner eint, dass ihnen oft ihre Kunst half, Tod, Angst und Krankheit zu bestehen. Die 61-jährige Smith wurde vom Leben gebeutelt. Dem schmal gewordenen Schlingensief (48) steht sein Kampf gegen den Lungenkrebs ins Gesicht geschrieben.

Die Identifikation mit Christus als Leidendem oder Erlöser bestimmt wie etwa bei Joseph Beuys (1921 bis 1986) auch in der Moderne künstlerisches Selbstverständnis. Dazu aber kommt die konsequente Ablehnung bestimmter kirchlicher Praktiken. Woran liegt das? An den
überkommenen Kirchenvorstellungen von Künstlern oder ihrem Bemühen echte Gefühle bildhaft zu gestalten? «Ich habe immer noch Schwierigkeiten mit Jesus und der Kirche», wirft Schlingensief ein. Kirche erinnere ihn allzu sehr an einen «Kostümball».

Lange sei er Ministrant gewesen und habe sich bis zu Beginn seiner Krankheit in der Kirche sehr geborgen gefühlt. Schlingensief fehlt im Alltag der Kirche heute, dass «das Liebesbedürfnis nicht ernst genommen» wird. Seine Theaterarbeit sei ihm Kirche – ein Ort, wo der Schmerz zelebriert, gebannt und möglicherweise verwunden wird. Dort könnten Kunstwerke ihre heilenden, heilsamen Kräfte entfalten. «So schön wie hier auf der Erde, ist es nicht im Himmel», sagt er. Seine größte Freiheit findet Schlingensief heute darin, sich keine Sorgen mehr über äußere Zwänge machen zu müssen. Er will einfach nur leben.

Christoph Schlingensief, 15.12.2008, Haus der Kunst, München

Als Esoteriker wollen beide Künstler nicht gesehen werden. Schlingensief betont seine Mitgliedschaft in der katholischen Kirche. Auch Jesus habe den Prozess des Scheiterns erlebt. Gott sei ein «gescheiterter Künstler, der nicht sterben kann und deshalb den Menschen braucht». Schlingensief sagt, wenn ihm eine Situation früher aussichtslos erschien, habe er gedacht: «Dann bringe ich mich halt um.» Seit seinen Erfahrungen mit der Krankheit weiß er, dass man viel aushalten kann.

«Sterbehilfe» sei eine zu plumpe Sache, aber wenn einer wirklich gehen wolle, müsse man das respektieren, findet er. Schlingensief wünscht sich eine bessere Ausbildung der Ärzte, damit diese die Grenzen der Medikation und des individuellen Lebens genauer wahrnehmen lernten. Gegen ärztlichen Rat will der Künstler wieder stärker aktiv werden und nach Afrika reisen. Dort plant er ein Festspielhaus in der Wüste. Fantasie und Lebendigkeit sollen wachgerufen werden und die Angst nehmen. Zum Schluss erhob sich Patti Smith und sang ihrem Gegenüber zur Genesung ihren Song «Desire». Mehr kann man wohl nicht tun.