Zum 18. Mal verleiht die B.Z. ihre Kulturpreise. Christoph Schlingensief ist einer der Preisträger. Für ihn schreibt Katharina Wagner, Intendantin der weltberühmten Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth.
Von Katharina Wagner
Das „Enfant terrible der deutschen Theaterszene“, der „Berserker“, „Störenfried“, einer, dem nichts und niemand heilig ist, der weder Tabus noch Grenzen kennt, ein wilder und zügelloser „Performer“, ein Filmemacher, Regisseur, Autor, Politiker und Maler.
All diese und weitaus weniger schmeichelhafte Etiketten kleben an ihm, ebenso richtig wie grundfalsch: Christoph Schlingensief.
Er ist gleichermaßen gehasst, bewundert, gefürchtet und begehrt – beim Publikum und in den Medien. Bei allem, was er macht, darf er der gespanntesten und breitesten Aufmerksamkeit sicher sein.
Nun – endlich, möchte ich sagen – erhält er den renommierten Kulturpreis der B.Z..
Und damit wird keine der passgerechten Lichtgestalten des etablierten Kulturbetriebs geehrt, sondern zum Glück einer, der in keine der gängigen Schubladen gehört, einer, der „Darling“ und „Bad Guy“, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, in Personalunion verkörpert wie kaum ein Zweiter.
Kunst ist Christophs Fleisch und Blut
Mag er das alles auch in Teilen oder zeitweise sogar zur Gänze sein, was man ihm nachsagt, vor allem aber ist er eins: ein durch und durch ernsthafter, ernst zu nehmender Künstler, der in allem, was er tut, ganz er selbst ist und sich selbst ganz gibt, mit Haut und Haaren, ohne Schonung und ohne Erbarmen.
Kunst ist für Christoph, scheint mir, weder Surrogat für Leben noch schöne, ästhetisch überhöhte Zutat, vielmehr etwas Elementares, Fleisch & Blut, Schmerz & Scham, Schrecknis & Grauen genauso wie Komik & bitterer Ernst.
Das Machen von Kunst ist ihm weit wichtiger als das Resultat, das „Werk“ wird aufgehoben in seinem Herstellungsprozess. Dadurch verweigert er natürlich jeden liebenswürdigen Konsens zwischen Machern und Rezipienten vollständig, dadurch verliert zum Beispiel eine Theaterproduktion, und ich denke dabei durchaus auch an seinen Bayreuther „Parsifal“, die Eigenschaften eines musikalisch-szenischen Aufbaupräparats und wird fragwürdig – im mehrdeutigsten und abgründigsten Sinne des Wortes.
Dass er damit herausfordert und provoziert, liegt auf der Hand und ist zwar sicher nie Absicht, sondern unvermeidlich.
Dass er provoziert, liegt auf der Hand
In einer chaotischen, undurchschaubaren und wohl in vielem unerkennbaren Welt, die stets gefährdet ist und immer ein bisschen am Rande des Abgrunds taumelt, sieht er sich als Künstler in der Verantwortung, nicht irgendeinen banalen Trost zu spenden oder Ordnung vorzutäuschen, dagegen die unverheilten Wunden ohne Beschönigung zu zeigen und den Menschen eben nicht als human-edles Wunderwerk vorzuführen.
Menschliches ist ihm Kreatürliches bis hin zum Freakigen. Aber er denunziert nichts und keinen. Das Zeigen der Dürftigkeit aller großen Entwürfe und Utopien und zugleich die immense, wolfshungrige Bedürftigkeit des Einzelnen (nach Liebe, Wärme, Zuneigung, Verständnis…), das macht das Bestürzende, das Erschütternde, Berührende seiner Arbeiten fürs Theater aus, das erzeugt Feindseligkeit und Faszination.
Widersprüche bleiben ungelöst, „Erlösungswünsche“ gar verdampfen in Trauer, Tod und Trash, er ist ein Realist ohne übermäßige Hoffnung auf die Wendung zum Guten. Er spürt den chthonischen Seiten des Daseins nach wie kaum ein anderer, findet dazu immer aufs Neue Bilder, die sich einbrennen.
Christoph folgt seinen eigenen Kategorien und sprengt lustvoll wieder und wieder die Grenzen der Genres, bricht sie auf, macht ihre Mechanik und ihr Elend sichtbar.
Ich gratuliere ihm von Herzen zum Kulturpreis der B.Z. und hoffe, dass er uns weiter überraschen, verstören und beunruhigen wird.