SCHLINGENSIEF-OPER: „WIR SIND EINS“ (DIE PRESSE)

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Christoph Schlingensiefs Ready-made-Oper„Mea Culpa“ schenkt im Burgtheater die Chance eines außergewöhnlichen Einblicks in Leben und Leiden eines kulturell Euphorisierten.

Es führt ein Landesteg vom Zuschauerraum auf die Burgtheaterbühne. Am Ende des zweiten Akts wird hier endgültig die Realität in die davor schon mehrmals gebrochene Theaterillusion eindringen und Christoph für kurze Zeit „Christoph“ ablösen, also Christoph Schlingensief den Schauspieler Joachim Meyerhoff, der in dessen Ready-made-Oper „Mea Culpa“ sein Alter Ego darstellt. Ziemlich gut übrigens, die sich manchmal vor Begeisterung überschlagende Stimme erkennt man sofort, trotzdem ist Meyerhoff keine Kopie, sondern setzt mit Hornbrille und raspelkurzen Haaren einen seltsamen Akzent in Richtung Schniegel-Schlingensief. Das hier soll eben nicht der charismatische Selbstdarsteller sein, sondern ein Allerweltstyp, jeder Todkranke, jeder derart unvorbereitet mit einer Krankheit schuldlos schuldig Gewordene.

Suche nach Heilung. Dementsprechend blass wandert dieser „Christoph“ auch als naiver Tor auf der Suche nach Heilung durch die biografisch inspirierten Szenen aus Schlingensiefs Leben, von der Ayurvedaklinik, ins Krankenhaus, in seine Träume von einem Festspielhaus in Afrika. Auf einer mächtigen, mit einer Kulissenstadt angeräumten Drehbühne ziehen die Bilder vorbei, vorwärts, rückwärts, langsamer, schneller. Ähnlich rastlos wechseln die Gefühlslagen, von schrill bis komödiantisch bis melodramatisch bis tragisch, am Ende ist man zu Tränen gerührt und darf dann doch noch einmal lachen.

Aus Dutzenden musikalischen, literarischen, philosophischen und popkulturellen Versatzstücken lustvoll zusammengeklaut, komponiert im Sinne von zusammengesetzt, ist diese „Readymade-Oper“ Schlingensiefs zugänglichste Arbeit der jüngeren Zeit. Ein Volksstück ohne Moral, das faszinierend das schafft, was Schlingensief so einzigartig macht: die Durchdringung der Genres und die Auflösung der Grenzen zwischen Spiel und Realität. Film, bildende Kunst, Theater, soziales Engagement, Alltag fließt hier zusammen, in eine publikumsgerecht übersetzte Lebenszusammenfassung eines kulturell euphorisierten Zeitgenossen.

Das Festspielhaus in Afrika etwa, immer wieder taucht es auf, als Kulisse, Modell, Sehnsucht: Schlingensief will es wirklich errichten, in Burkina Faso soll es die seiner Meinung nach untergehende Kultur Europas mit der aufsteigenden Afrikas verbinden. „Das ist deine persönliche Meinung“, protestiert eine Schauspielerin auf der Bühne. Klar, ist auch sein Leben, sein Stück.

Traum von Afrika. Die zweite dominante Spur durch dieses zweistündige Lebensspiel ist das Ereignis, durch das Schlingensief „eine Grenze überschritten hat“, wie er sagt, seine Bayreuther Inszenierung des „Parsifal“, die sich als traumatisch herausstellt. Die von Laien wie Sängern gleichermaßen mit Todesernst vorgetragenen Passagen daraus sind ein Bekenntnis zum Scheitern, eine Zelebrierung des Unvollkommenen. Alles, was Schlingensief damals nicht sein konnte, als er sich an seinen Ansprüchen zerrieb. Durch seine Krebserkrankung versucht er zu erkennen – ist alles nicht mehr so wichtig.

Nie kommen derartige Weisheiten aber selbstmitleidig daher, sondern immer distanziert, mit der Möglichkeit versehen, das Geschehen auch ironisch zu verstehen. Wenn etwa ein schwarzes Glitzer-Revuegirl im Vorbeilaufen demonstrativ das berühmteste Requisit der Bayreuther Schlingensief-Inszenierung, den toten Hasen, ins Publikum hält. Und Kundry (Mira Partecke) ihren Auftritt verhaut: „Hallo, ich bin die Kundry“, platzt sie mitten in die Afrikavision des zweiten Aktes. „Ich hab’s verpatzt. Dabei wollte ich zum ersten Mal sagen, was ich wirklich denke.“ Dann schießt sie sich in den Mund.

Umgeben vom Rudel. Bald darauf geht Schlingensief selbst auf die Bühne, führt sich ins Geschehen ein, indem er seine projizierten Filme erklärt, die wichtigen „Dunkelphasen“. Das „Sich-Zurückziehen“ aus dem Licht. „Ich bin da nicht alleine.“ Nein, ist er nicht. Er ist umgeben von seiner Truppe, seinem Rudel – Karin Witt, die einen großartigen kleinwüchsigen Bischof spielt, das christliche Heilsversprechen anführend. Die Fassbinder-Schauspielerinnen Irm Hermann und Margit Carstensen, die u.a. als strenge Ärztinnen, esoterische Kurleiterinnen, Hysterikerinnen oder mütterliche Freundinnen erscheinen. Eine großartige Fritzi Haberlandt spielt die Freundin der sterbenden Künstler, heißt er jetzt Christoph oder Jörg Immendorff. Ihre Monologe, in denen sie Privates offenbart, sind nie peinlich, in ihrer Intimität aber schwer zu ertragen.

Isoldes Liebestod. Gegen Ende wird es immer melodramatischer, wenn Christoph seinen verstorbenen Papa trifft, ihn aber wieder zurück auf die Wolke schickt. Alles gipfelt aber in einer Szene, die unglaublich kitschig sein könnte, wäre sie schon je zuvor so auf einer Bühne zu sehen gewesen, an dieser porösen Schnittstelle zwischen Kunst und Leben: Da singt eine alte Frau, Elfriede Rezabek, in schneeweißem Divenkleid vor dem roten Vorhang des Festspielhauses in Afrika, Christoph sein Lieblingslied, Isoldes Liebestod. Und sinkt zu Boden. Hinter ihr erscheint erwartungsvoll die ganze Truppe. Doch Christoph will nicht: „Das war so schön, ich dank euch so sehr, aber ich mag noch nicht, ich mag einfach noch nicht.“ Und zieht den Vorhang zu. Keine Erlösung. Nur eine Erkenntnis noch, vorgetragen von einem Gesicht, das sich aus dem Vorhang schiebt: „Ich liebe mich im anderen. (…) Ich erkenne mich selbst im anderen. Wir sind eins. Tschüüs.“

(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 22.03.2009)