Christoph Schlingensief weint noch immer in stillen Stunden über sein Schicksal. Zwei Jahre hat der Arzt ihm 2008 wegen seiner Krebserkrankung gegeben. Er denkt trotzdem nicht daran, die weiße Fahne zu hissen.
Wien – Das hat dem Katholiken auch von kirchlicher Seite schon den Vorwurf eingebracht, seine Krebserkrankung öffentlich „zu inszenieren“. Als ob das Thema „Der Künstler und der Tod“ nicht schon oft Grundlage für künstlerisches Schaffen gewesen wäre. Jetzt hat der 48 Jahre alte Theater- und Filmregisseur („Das deutsche Kettensägenmassaker“) nachgelegt und am Wiener Burgtheater seine neueste Inszenierung „Mea culpa“ herausgebracht, für die er am Freitagabend vom Premierenpublikum, darunter Jürgen Flimm, Nike Wagner und Sepp Bierbichler, in die Arme genommen wurde.
Dabei zeigt Schlingensief mit dem Ensemble seine alte Stärke, auch mal wieder über sich selbst lachen zu können. Dabei haben nicht alle Szenen unbedingt immer zwingende Überzeugungskraft. Langanhaltender, herzlicher Beifall für eine zweieinhalbstündige „Ready-Made-Oper“, wie er sein Bühnenprojekt nennt, „auf dem Rücken von“ beziehungsweise mit Texten und Musik unter anderem von Elfriede Jelinek, Goethe, Nietzsche, Schubert, Bach, Kalman und natürlich vor allem immer wieder Richard Wagner und Schlingensief. Der stand diesmal auch selbst wieder mit auf der Bühne stand – zusammen mit seinem Ensemble wie Margit Carstensen, Irm Hermann, Joachim Meyerhoff, Fritzi Haberlandt, Walter Kogler und Peter Leussink.
„Zurück Richtung Leben mit neuen Vorzeichen“
Nach der „Kirche der Angst“ als „Requiem zu Lebzeiten“ bei der Ruhrtriennale, mit der Schlingensief Anfang Mai auch das Berliner Theatertreffen eröffnen wird, und dem „Zwischenstand der Dinge“ jetzt ein befreiender Schritt nach vorn, in die Zukunft, für die ihm ein Arzt 2008 „noch zwei Jahre“ gegeben hat. „Zurück Richtung Leben mit neuen Vorzeichen“, wie es der Regisseur sichtlich erleichtert nach der Vorstellung nannte. Ein einfaches Zurück gibt es nicht, das weiß auch ein Schlingensief. „Ich will das reine Leiden nicht mehr haben“, betont er, oder mit Richard Wagner zu sprechen „Kinder, schafft Neues!“.
Also weg von der reinen Selbstbespiegelung. Im ersten Akt seiner Neuinszenierung thematisiert der Regisseur zwar noch einmal seine Erkrankung, um sich dann aber zunehmend an die „Macht der Oper“ zu erinnern, denn „wo Tod ist, ist auch Oper“. So lässt er einen Regisseur „C.S.“ mit den Klinikpatienten Wagners „Parsifal“ proben und die Drehbühne im Burgtheater zeigt wieder das Dekorationsarsenal eines Christoph Schlingensief von Türmen, Burgen, Käfigen, Zäunen samt „Krippenspiel“ und afrikanischen „Blumenmädchen“, die auch seinen berühmten Hasen (als Symbol der Fruchtbarkeit) aus seiner Bayreuther Inszenierung, wo er allerdings auf Großbildleinwand zum Entsetzen der Zuschauer detailliert verwesen musste, wieder auf die Bühne bringen.
Über Krankheit, Sterben und Tod sprechen
Der „reale Schlingensief“ kommentiert auf der Bühne Videoeinspielungen seiner früheren Opernarbeiten wie den (Erlösung suchenden) „Fliegenden Holländer“ in der brasilianischen Amazonasmetropole Manaus. „Der Blick ins Jenseits“, wie der 3. Akt überschrieben ist, weist nach Afrika. Auf der Bühne wird schon mal die Eröffnung des Festspielhauses geprobt, die Schlingensief nach eigener Aussage mit Unterstützung des Goethe-Instituts und anderer Partner dort plant. „Der Grüne Hügel von Bayreuth wird ein neues Zuhause finden in den grünen Hügeln von Afrika, die werden in Bayreuth vor Neid erblassen!“
Katharina Wagner will ihn dennoch wieder nach Bayreuth locken, wo Schlingensief gerne den „Tristan“ inszeniert hätte. So endet denn auch seine Wiener Inszenierung mit Isoldes „Liebestod“. Der „Krebs und Bayreuth“ sind Schlingensiefs Lebensthema geworden, er hat sogar den Verdacht, „man geht nach Bayreuth um zu sterben“. Aber in dem Regisseur ist neues Leben erwacht. „Die Erlösung kann mir gestohlen bleiben! Ich will noch nicht in den Himmel. Ich habe den Tod gesehen, und das reicht mir erst einmal.“
Und eins kommt auch nicht infrage, wie es ihm Kirchenleute mit erhobenem Zeigefinger geraten haben: „Sterben ist still, lautlos, wortlos und handlungslos.“ Nein, meint der Regisseur in seinem Krankenhaus-Tagebuch, das im April erscheint (Kiepenheuer & Witsch) und aus dem das Burgtheater zitiert. Er wolle über Krankheit, Sterben und Tod sprechen, so wie es andere Menschen auch tun sollten und die er dazu ermuntern will.
Von Wilfried Mommert, dpa
Der Tagesspiegel vom 22.3.2009