DER WÄRMEKUCHEN STRAHLT WEITER (TIP)

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Christoph Schlingensief eröffnet das Theatertreffen mit „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ – ein Stück, in dem er seine Krebserkrankung radikal zum Thema macht. Wir sprachen mit ihm über Kunst und Krankheit, über sein neues Buch und über die Rat, den ihm Patti Smith im Krankenhaus gegeben hat: Setz die Gespenster an den Tisch und rede Klartext mit ihnen

TIP: Machen Sie in Ihrem Stück „Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ ernst mit der berühmten Forderung von Joseph Beuys: „Zeige Deine Wunde“?

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF: An meiner Wand im Wohnzimmer hängt ein Typoskript von Joseph Beuys, das mir einer aus der Beuys-Gefolgschaft geschenkt hat, als ich im Krankenhaus lag. Der Text von Beuys geht so: „Bühnenstück 1: Der Wärmekuchen wird bei geschlossenem Vorhang mitten auf die Bühne gestellt. Der Wärmekuchen leitet auf offener Bühne seine Last ab.“ Das ist toll.

TIP: Genau das machen Sie ja auch bei Ihren Aktionen und der „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“: Wärme abstrahlen.

SCHLINGENSIEF: Und wenn der Vorhang dann mal zu bleibt, bleibt die Wärme gelegentlich noch etwas länger im Kuchen. In dem Satz von Beuys steckt alles drin, was ich im Krankenhaus selber erlebt habe. Du bist in einem superheißen Zustand, Du bist wie ein glühendes Kohlestück und weißt nicht, ob das jetzt ganz abkokelt oder nicht. Und gleichzeitig bist Du ganz kalt.

TIP: Wie geht es Ihnen jetzt, nach der Chemotherapie, ein Jahr nach Ihrer Operation, bei der Ihnen der linke Lungenflügel entfernt wurde?

SCHLINGENSIEF: Heute geht es mir gut. Aber gefühlsmäßig ist vieles schwerer, immer wieder kommt mir zu Bewusstsein, dass ich einfach nicht mehr diese Leichtigkeit habe wie früher. Die Traurigkeit sitzt in den tiefsten Poren drin. Ich wäre schon verdammt froh, wenn ich abends ins Bett gehen könnte und nur denken müsste, Scheiße, ich habe vergessen einzukaufen. Zur Zeit denke ich, Scheiße, ich muss wieder in die Röhre zur Untersuchung, ob da noch Metastasen sind. Das ist eine Scheißangst. Gleichzeitig sind die Glücksmomente intensiver als früher. Im besten Fall ist das eine Glückseligkeit, dass ich alles umarmen möchte.

TIP: Sie haben im Krankenhaus Ihre Gedanken und Träumen in ein Diktiergerät gesprochen, endlos. Passagen aus diesen Selbstgesprächen tauchen in Ihren neuen Theaterstücken auf, vor allem in „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“. Jetzt versammelt Ihr neues Buch (“So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“) diese Aufzeichnungen. Hat Ihnen das Reden ins Mikrophon im Krankenhaus geholfen?

SCHLINGENSIEF: Total. Diese vor sich hinreden, wenn man mal ganz bei sich auf der Strasse ist, das kennt doch fast jeder. Immer wieder trifft man auf neue Gedanken, man spricht dann vielleicht sogar mit verstellter Stimme. Ich habe Angela Winkler mal beobachtet, wie sie fast 30 Minuten lang durch Duisburg gelaufen ist und sehr ausdrucksstark geredet und gestikuliert hat. Und genau so ein reden war das auch für mich. Es war eine Mischung aus lautem denken, predigen, Angst abbauen, den dunklen Geistern die Ohren zustopfen und ihnen gleichzeitig erklären, dass man kein Interesse hat, dass sie da mitreden! Es gibt Phasen, da erzähle ich immer weiter, noch eine Theorie, und noch eine Gedankenkette, ein riesiges Vervielfältigungsprogramm, das da oben abläuft, vielleicht mit einem Sinn, vielleicht auch nicht. Da oben tut sich was, so entsteht natürlich auch Autonomie. Und im kleinsten in mir gibt es Zellen, die machen das auch, die fahren autonom ihr Programm. Und im Universum passiert genau das gleiche. Jede Zelle fährt ihr Programm. Das ist krank, und gleichzeitig ist es gigantisch und großartig.

TIP: Habe Sie das schön früher gemacht, den eigenen Gedanken und Assoziationen zuhören und alles in ein Diktiergerät sprechen?

SCHLINGENSIEF: Mit 22 habe ich einen Selbstversuch mit LSD genommen und dabei auf einer Kassette gesprochen: „Dies ist ein Selbstversuch, wir haben soundsoviel Uhr, ich nehme jetzt das Löschpapier.“ Und dann kommt erst mal immer: „Ich merke keine Veränderung.“ Nach einer Stunde oder so sage ich dann: „Ich habe das Gefühl, dass die Wand eine Delle bekommt, da ist noch eine Wölbung, da scheint sich was zu tun.“ Und am Ende hört man nur noch, wie ich auf einer Yamaha-Orgel immer einen Ton drücke, damals habe ich zusammen mit Thomas Meinecke Musik gemacht. Ich drücke immer diesen einen Ton, endlos, immer wieder. Bis heute habe ich die Überzeugung, dass das die größte Komposition war, die man überhaupt machen kann (lacht). Das war sensationelle Musik, so gut habe ich nie wieder komponiert (lacht).

TIP: Wie waren die Selbstgespräche im Krankernhaus?

SCHLINGENSIEF: Das war meistens abends, das war wie ein warmes Gefühl: Man rollt sich im Bett ein und erzählt die ganze Geschichte. Als würden sich die Geister, die sich so ab 17 Uhr auf mich drauf gelegt hatten, sich verziehen, weil sie das nicht hören wollen. Das hat auch Patti Smith gesagt, als sie mich im Krankenhaus besucht hat: Ich soll die Gespenster, die man ja selber produziert, an den Tisch setzen, die Ängste. Ich soll sagen: so, jetzt reden wir, was willst Du mir sagen, welche Angst ist das. Hol ´alle Gespenster an den Tisch, hat Patti Smith gesagt. Das habe ich gemacht, das war die Befreiung. Ich hatte am Anfang auch komische Träume. Da habe ich immer stolz meine Narbe gezeigt. Und da war da vorne vor der Brust noch ein Eisernes Kreuz, völlig verwirrende Bilder. Mein Vater war da, aber der war eigentlich schon tot, ich habe gekotzt, außenrum waren Zuschauer – typische Theaterszenen aus Deutschland (lacht).

TIP: Wie verändert diese Krankheitserfahrung Ihre Arbeit?

SCHLINGENSIEF: Ich will bei den Proben nicht immer sofort auf die Bühne stürmen und vorspielen (lacht). Wenn ich in Zukunft arbeite, was ja wichtig und gut ist, muss ich gar nicht mehr meine eigene Geschichte erzählen. Ich glaube, wenn man in andere Geschichten eintritt, wird man das ganz anders erzählen, das läuft durch einen durch.

TIP: Man wird durchlässiger, auch für das Leiden der anderen?

SCHLINGENSIEF: Absolut, und zwar teilweise nicht nur in einem guten Sinn. Es gab Zeiten nach der Operation, da bekam ich einen Heulkrampf, wenn im Fernsehen ein Mädchen bei Heidi Klum ausgeschieden ist (lacht). Ich glaube, ganz wichtig ist, seine Autonomie zu behalten. Wir wollen eine Internetseite machen: „Autonom und krank“ oder „Geschockte Patienten“. Die Adresse ist: www.krankundautonom.de. Man muss den Leuten in den ersten vier Wochen nach der Krebs-Diagnose helfen. Das ist der Schockmoment, wo der ganze Wahnsinn ausbricht. Man muss eine neue Zeitrechnung akzeptieren, alles bricht weg. Und man muss alles festhalten, was gut für einen ist. Das ist so schwierig, weil es für diesen GAU keinerlei Vorübung gibt.

TIP: Und dabei soll Ihre Internetseite Betroffenen helfen?

SCHLINGENSIEF: Sich selber helfen. Autonom bleiben. Auch die Freunde bitten, sich zu kümmern. Ab der Diagnose braucht man Geborgenheit, Zuwendung, eine liebevolle Versorgung der Seele, die sich plötzlich aufzulösen scheint. Diese Internet-Seite werde nicht ich machen, sondern der Kranke oder seine Bekannten, Freunde, Familie selber. Keine Horrorgeschichten über Operationen, oder Prognosen, wie lange man noch lebt. Solche Internetseiten gibt es schon genug und es ist der reinste Horrorgarten. Schon bevor das Buch erschienen ist, bekam ich jeden Tag ein dutzend Mails von Krebskranken oder ihren Angehörigen. Ich kann nur sagen: Wo war der Moment, wo Sie doch noch mal gelacht haben oder glücklich waren? Ich musste im Krankenhaus zum ersten mal wieder lachen, als eine verwirrte Patientin vor meine Tür gekackt hatte. Diese Momente muss man jeden Tag sammeln. Wie die Regeln in der Kindheit: Morgens Zähneputzen. Das soll auf dieser Seite stattfinden, ein Forum, das den Kranken hilft, ihre Autonomie zu behalten. Und wenn ich Lust habe, dann werde ich mich an dieser Seite beteiligen.

TIP: Sie machen Ihre Krankheit öffentlich. Müssen Sie sich jetzt nicht davor schützen, in eine seltsame Guru-Rolle gedrängt zu werden, der Schmerzensmann, der stellvertretend für die anderen leidet?

SCHLINGENSIEF: Das kann ich nicht. Das ist auch falsch. Ich kann nicht für alle da sein, ich bin jetzt für mich da. Ich hatte in diesen Wochen eine Erfahrung mit einem Mann, der ALS hatte. Der hat mir Mails geschrieben, er konnte nicht mehr, der wollte nicht mehr leben, und er ist dann auch gestorben. Ich habe einfach gespürt, wie mir das wieder unter die Haut geht. Ich kann jetzt nicht als Pate auftreten und sagen, ich bin nur noch für andere da.

TIP: Ursachenforschung ist bei dieser Krankheit immer fatal, weil dann alles zum Vorzeichen uminterpretiert wird. Trotzdem ist der Gedanke gespenstisch, dass Sie sich lange vor Ihrer Erkrankung in Ihrer Arbeit immer wieder mit Krankheit beschäftigt haben, vom ALS-Stück „Krankheit als Chance“ bis zu dem „Parsifal“, in dem es für Sie um eine Nahtoderfahrung geht.

SCHLINGENSIEF: Ich habe diese Krankheit am Anfang fast als eine Installation betrachtet. Das war eine Beleidigung. Ich dachte, mein Vater war schuld, alle möglichen waren schuld, Bayreuth war schuld. Das hat sich gewandelt. Bayreuth spielt gar keine Rolle mehr, ich habe keinen Bezug mehr zu dem ganzen Verein. Trotzdem habe ich in Bayreuth den „Parsifal“ gemacht, das hat auch etwas bewirkt im Denken über diese Wunde und diese Nahtoderfahrung. Dann löst sich das plötzlich auf eine ganz komische Weise ein. Aber diese Gedanken kommen mir mittlerweile mehr als absurd vor. Ich brauchte das damals, um Distanz zu schaffen. Wenn man sich selber die Schuld gibt, dann ist man auch schnell bei katholischer Schuldbearbeitung, und die hat noch keinem geholfen. Der Mensch ist sehr liebenswert. Dass er an sich selber zweifelt, spricht für seine Stärke selbst in der Schwäche.

TIP: In „Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ sieht man ein Video: Sie liegen im Krankenbett und schreien immer wieder „Nicht berühren, nicht berühren jetzt…“ Es ist ein fürchterlicher Moment und natürlich für den Zuschauer ein extrem berührender. Wie geht es Ihnen selbst, wenn Sie das jetzt wieder sehen?

SCHLINGENSIEF: Eigentlich achte ich viel mehr auf Geräusche, die musikalische Struktur. Die Rhythmen sind anders, weil ich wahrscheinlich auch mehr auf Distanz bleibe und nicht gleich mittrommeln will. Das Musikalische hält mich in dem Raum, und nicht mehr der Gedanke, ich mach´ Euch jetzt auf der Bühne mal richtig den Abend heiß und kotz Euch gleich in den Zuschauerraum oder sonst was. Das alles nur als Aufbereitung dieser Phase oder was weiß ich zu sehen, wäre mir zu psychologisch, das zu wiederholen kommt mir inzwischen fast überflüssig vor. Am meisten interessiert mich das musikalische, die Stimme von Angela Winkler wieder zu hören, Margit Carstensen mit ihrer Stimme, das „Dankeschön!“, das Horst immer dazwischen brüllt… Das kann ein lustiger Abend werden.

TIP: Hat es Ihnen geholfen, auch in der Krankheit weiter zu arbeiten und nicht einfach mit allem aufzuhören und zu sagen, ich bin krank und sonst gar nichts?

SCHLINGENSIEF: Das war sehr wichtig. Und jedes Projekt war eine Unmöglichkeit mehr, die man gemacht hat. Irgendwann haben meine Verlobte Aino und ich rumgesponnen und überlegt, sollen wir daraus nicht einen Spielfilm machen, eine völlig durchgedrehte Krankenhaus-Komödie, Margit als irrer Chefarzt, Patienten, die rumkacken. Aber das fanden wir dann auch doof. In „Mea Culpa“ in Wien klappt das, dass man wieder lachen kann, da gibt es ein Panoptikum von Ayurveda-Patienten, dass man sich an den Kopf fasst, das ist so super.

TIP: Eine Vorstufe der „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ war eine Inszenierung im Maxim Gorki Theater, „Zwischenstand der Dinge“. Das war zuerst nur eine geschlossene Veranstaltung, eine Arbeitsskizze ohne Publikum. Wie kam das zustande?

SCHLINGENSIEF: Dass das möglich war, war ein Geschenk von Armin Petras, das ich ihm nie vergessen werde! Das war einfach unglaublich großzügig und großartig von ihm, unbezahlbar. Das war ein Rantasten, ein Abend für Freunde, ich wollte da kein Publikum und keine Kritiker. Aino hat mich ein paar mal auch dahin getrieben. Ich habe kein Selbstvertrauen mehr gehabt, ich wusste nicht, ob ich so etwas überhaupt noch machen kann, ob die Bilder noch kommen. Man hat keine Kraft mehr, kein Selbstvertrauen. Bis die Eigenliebe wieder kommt, das dauert. Ein paar Mal mussten wir auf halber Strecke auf dem Weg ins Theater umdrehen, weil ich wieder kotzen musste. Dann haben wir in der Wohnung geprobt. Dass ich das bis zum Schluss durchgezogen habe, hat mir geholfen. Mit dieser Arbeit im Gorki hat wirklich wieder alles angefangen. Es ist so schön, Blödsinn zu machen, dass einfach nur das Leben da ist. Ich will, dass diese Krankheit abhaut, dass sie von der Erde verschwindet. In zwanzig Jahren lacht man da drüber.

Interview: Peter Laudenbach

Erschienen auf TIP-BERLIN.DE am 27.04.2009