Der an Krebs erkrankte Regisseur hat noch nicht genug vom Leben. Er plant in Afrika ein Opernhaus.
Ihr Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ist im Tagebuch-Stil verfasst. Wie kam es dazu?
Christoph Schlingensief: Als meine Lungenkrebs-Erkrankung gekommen ist, wurde meine Angst so groß, dass ich damit nicht mehr klar kam. Ich habe mir ein Diktiergerät besorgt und darauf losgeredet. Letztendlich haben mich meine Freunde überredet, meine Aufzeichnungen zu veröffentlichen.
Ihr Tagebuch endet im Dezember 2008, danach hat sich ihr Zustand wieder verschlechtert. Wie geht es Ihnen jetzt?
Schlingensief: Im Dezember sind in dem einem Lungenflügel, den ich noch habe, Metastasen gewachsen. Ich nehme inzwischen neue Medikamente, auf die ich scheinbar gut anspreche. Ich bin zwar sehr oft traurig, aber ich gehe wieder arbeiten. Inzwischen sind die Metastasen, es waren über 100, verschwunden. Der Arzt weiß selbst nicht so genau, warum.
Wie wichtig wird in so einer Situation der Glaube an Gott?
Schlingensief: Ich war immer zufrieden mit meiner Beziehung zu Gott, ich dachte mir, wir sind gut abgestimmt aufeinander. Ich bin Christ und zahle Kirchensteuer. Aber die katholische Kirche hat mir überhaupt nicht geholfen, im Gegenteil. Ich finde, Gott darf nicht zu dem Bild verkommen, dass er wie ein Gerichtsmensch da oben sitzt und nichts Besseres zu tun hat, als uns zu fragen, ob wir Abends gesoffen oder betrogen haben. Das kann doch nicht Gott sein! Und es darf nicht sein, dass die Altherrengesellschaft rund um den Papst die Vertreter Gottes sein sollen. Mir hat geholfen, mit Gott in einen harten Kampf einzutreten. Ich brauche das Gefühl, dass ich nicht verloren bin, wenn ich tot bin.
Haben Sie je daran gedacht, Ihrem Leben ein Ende zu setzen?
Schlingensief: Ich habe mir geschworen, dass ich mein Leben nicht selber beenden werde. Das ist indiskutabel für mich, weil ich auf der Erde noch was zu erledigen habe. Ich habe keinen Bock auf den Himmel.
Reden wir über die Projekte, die Sie jetzt realisieren wollen.
Schlingensief: Man fragt sich, was von einem bleiben soll. Klar, habe ich viele Erfolge gefeiert. Aber ist das wirklich ein Lebenswerk? Ganz tief drinnen habe ich das Bedürfnis, mit meinen Händen etwas zu schaffen, das anderen Leuten in der Zukunft helfen kann. Ich will eine Schule und ein Festspielhaus in Burkina Faso initiieren. Wenn man den Kindern zusieht, mit welcher Begeisterung sie lernen, da merkt man, was Sinn macht. Das ist das größte Glück, dass ich in den letzten Jahren erlebt habe. Und Aino und ich wollen heuer heiraten. Darauf freue ich mich!
Haben Sie eine Interpretation für Ihre Krebserkrankung?
Schlingensief: Es gibt den Satz: „Krebs ist ungelebtes Leben.“ Das habe ich mal in einem Krebs-Forum gelesen, dass der Krebs stellvertretend auch für das stehen kann, was man versäumt hat. Mit dem Ansatz kann ich mich extrem identifizieren. Ich hab mein Leben lang immer gestrampelt für die Anerkennung meiner Eltern und der Öffentlichkeit und wurde immer nur als der Provokateur gesehen. Erst meine Freundin Aino hat mir beigebracht, dass sie mich wirklich liebt.
Wie soll man also mit einem Krebspatienten umgehen?
Schlingensief: Man soll ihn dazu bringen, dass er redet. Und er braucht, professionelle und ehrliche Begleiter wie Ärzte und Onkopsychologen, die einem ehrlich und offen begleiten. Ich zähle nicht die verbleibende Stunden sondern versuche mein Leben als Ganzes zu sehen. Wir wissen alle nicht, wie lange unser Leben dauert.
Das Gespräch führte Isabella Minniberger, tt.com, 28.6.2009