IM GESPRÄCH (ORF)

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Michael Kerbler im Gespräch mit dem deutschen Regisseur Christoph Schlingensief. Der 2008 an Lungenkrebs erkrankte Künstler spricht darin sehr persönlich und berührend über den Umgang mit seiner Krankheit ebenso wie über laufende Projekte, die sich Schlingensief trotz aller Einschränkungen nicht nehmen lassen will.

Der französische Kunsttheoretiker Jean-Luc Nancy, der vor acht Jahren ein fremdes Herz eingepflanzt erhielt und wenig später an Krebs erkrankte, sagte kürzlich: „Ich bin die Krankheit und die Medizin, ich bin die kanzeröse Zelle und das verpflanzte Organ, ich bin die das Immunsystem schwächenden Kräfte und deren Palliative.“

Das Zitat ist als Beleg dafür zu lesen, wie sehr Kunstschaffende in Grenzsituationen versuchen, ihre Souveränität zu verteidigen, und nicht in die Welt geworfen, dem Schicksal oder fremden Mächten ausgeliefert sein wollen. Krankheit, zumal eine Krebserkrankung, die im Bewusstsein der meisten Menschheit noch immer als Todesurteil betrachtet wird, stellt aufgrund der begleitenden Therapien und Operationen eine Extremform des Souveränitätsverlustes dar.

Christoph Schlingensief, der Künstler, Film-, Theater- und Wagner-Opernregisseur, wurde im Jänner 2008 schlagartig mit der Diagnose Lungenkrebs in eine solche Souveränitätskrise gestoßen. Wer – fragt der bis dahin Souveräne – hat Schuld? Und wie wird dieses Weiterleben aussehen, wenn man von einem Moment auf den anderen aus der Lebensbahn geworfen wird, wenn der Tod plötzlich nahe rückt? Fragen stellen sich, brechen aus Schlingensief heraus, der sich kurz davor noch in der Mitte des Lebensalters wähnte.

„Und dann brach plötzlich dieses Weinen aus, kein Weinen, wo man sich bemitleidet, sondern so ein unglaublich trauriges Weinen, so ein Trauerweinen, wo man eine Ahnung davon kriegt, dass das alles ja nicht immer so sein wird, dass das ja vorbeigeht. Und ich lebe doch so gerne.“

Wenige Tage nach der Diagnose beginnt Christoph Schlingensief zu sprechen, mit sich selbst, mit Freunden, mit seinem toten Vater, mit Gott – fast immer eingeschaltet: ein Diktiergerät, das diese Gespräche aufzeichnet.

In einem Tagebuch beginnt Christoph Schlingensief seine Stunden, Tage und Wochen seit der Diagnose der Krebserkrankung festzuhalten. Er entschließt sich, dieses Tagebuch in Buchform zu veröffentlichen und damit die Öffentlichkeit teilhaben zu lassen an seiner eindringlichen Suche nach sich selbst, nach Gott und nach der Liebe zum Leben. Ein Lungenflügel muss entfernt werden, Chemotherapie und Bestrahlungen folgen, die Prognose ist ungewiss – für Schlingensief ein Alptraum der Freiheitsberaubung.

Das Gespräch, das Michael Kerbler mit Christoph Schlingensief führen konnte, führt von Richard Wagners fragwürdiger Gleichung: „Liebe plus Tod gleich Erlösung“ über die ReadyMadeOper „Mea Culpa“ am Wiener Burgtheater bis hin zu sehr persönlichen Gedanken des Künstlers, die – trotz allem – in dem Satz münden: „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“

Gesendet am Donnerstag, 9. Juli 2009, 21:01 Uhr, ORF 1