Christoph Schlingensief über die Rückkehr seiner Krebserkrankung, seinen Glauben und seine Oper
Der Krebs ist zurück – dennoch ist Christoph Schlingensief voller Pläne. Gerade ist der 48 Jahre alte Regisseur in München zu Gast, wo gestern seine Oper „Mea Culpa“ an der Staatsoper gezeigt wurde. Nächste Vorstellung: heute, 19 Uhr). Wir trafen den an Lungenkrebs erkrankten Künstler, der Anfang des Jahres das Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht hat, zum Frühstück.
„Mea Culpa“ ist der letzte Teil einer Trilogie, in der Sie sich mit Ihrer Krebserkrankung auseinandersetzen. Er gilt als der optimistischste. Was bedeutet Ihnen heute Optimismus?
Es sind zwei Wege. Beim ersten spüre ich innerlich eine Kraft und kann sagen: Ich bin auf einem guten Weg. Dann gibt es noch Zweckoptimismus: Das heißt, man braucht Bilder der Illusion, um sich auf diesen eine Woche, einen Tag, eine Stunde weiterzubewegen. So macht das ja der große Teil unserer Gesellschaft. Und das finde ich gar nicht schlecht. Man braucht Bilder, um optimistisch zu sein. Man muss nur wissen, ob man noch Herr über diese Bilder ist. Man kann nämlich ein super Auto fahren – und trotzdem wird deine Laune nicht besser.
Und „Mea Culpa“ markiert Ihren Stimmungsumschwung nach der OP?
Es ist die Arbeit, bei der ich wieder angefangen habe zu lachen. Ich habe zwar im Krankenhaus schon mal so einen Moment gehabt, aber es war danach immer eher mies. Dabei lache ich ja sehr gerne. Aber damals war eben alles bitter. Bis ich bei der Arbeit für „Mea Culpa“ merkte, wie absurd so ein Menschenleben eben ist, wie absurd der Kampf darum. Und wie absurd muss es dann im Jenseits erst sein, wenn man da sitzt und hofft, dass mal wieder Verwandte vorbeikommen?!
Das klingt fast schon kabarettistisch.
Glaube und Religion will ich nicht lächerlich machen. Das Kabarettistische liegt mir gar nicht. Ich finde den Dadaismus ganz schön. Der war in seinen besten Zeiten etwas Gesellschaftsfähiges, Aufrührerisches. Das war zwar manchmal ein böser Blick auf die Welt – aber immer ein befruchtender. „Mea Culpa“ ist auch so ein Abend.
Das Theater, die Oper als eine Art Religion?
Ich bin im Großen und Ganzen gebunden an die Bilder des katholischen Glaubens, die mir beigebracht wurden. Und eben diese Bilder machen mir vieles kaputt. Sie reduzieren meine innere Lust am Leben, am Überleben und vielleicht auch am Jenseits auf Kreuzwege, auf gebrochene Gliedmaßen, auf Dornenkrone und Menschen, die mit Hundeblicken zum Himmel gucken. Ich bin Katholik, aber ich finde, der Katholizismus macht diese große Sache der Erlösung, die ja viele Fragezeichen hat, klein. Wenn Sie durch Kirchen gehen, sehen Sie nur solche Bilder. Das ist wie im Märchenpark. Früher hat mir das etwas gegeben. Inzwischen kann ich mit diesem Märchenpark immer weniger anfangen – und bin trotzdem noch gläubig. Nur muss ich einen anderen Weg dafür finden. Den Mann mit dem weißen Bart brauche ich da nicht als Bild.
Wie sehen Ihre Bilder dann aus?
Das hat auch etwas mit Optimismus zu tun. Medizinisch gab es gerade schlechte Nachrichten – und zack, war ich an neuen Bildern dran. In meinem Kopf fing es an zu rasen. Ich kann wieder denken – und das ist das Schönste überhaupt. Oper und Theater ist im besten Fall Gedankenbefruchtung. Ich finde, „Denken“ müsste ein religiöser Akt sein.
Bezogen auf Ihre Krankheit bedeutet das?
Ich habe eine Zelle in mir, die unsterblich ist. Das ist Krebs ja. Wäre er es nicht, könnte man ihn in der Therapie einfach wieder ausschalten. Da bliebe dann vielleicht noch ein Knubbel, oder es wäre schmerzhaft – aber es wäre dann auch wieder weg. Da das mit der Krebszelle nicht funktioniert, weil sie unsterblich ist, ist sie so gefährlich. Unsterblichkeit kann töten. Das ist mein Gedanke für die nächste Inszenierung, die ich in Zürich mache. Unsterblichkeit kann töten, bedeutet aber auch: Da es der Anspruch von mir und von Religion ist, Unsterblichkeit anzustreben, kann ich im selben Moment davon ausgehen, dass ich Millionen Menschen auf dem Gewissen habe. Und wer kann nicht sterben? Gott! Unser Allmächtiger ist also auch unsterblich. Interessant.
Birgt diese viele Arbeit nicht auch Gefahren?
Ich habe immer gern gearbeitet. Meine Eltern waren früher teilweise der Meinung, ich sollte jetzt mal Pause machen. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass ich Pause machen muss, weil ich nie das Gefühl hatte, dass ich zu viel arbeite. Wenn man mir das wegnähme, wäre das furchtbar für mich. Deshalb habe ich auch große Solidarität für Leute, die ihre Arbeit verloren haben. Das muss für viele – nicht für alle – furchtbar sein.
Wie verkraftet Ihr Körper die Arbeit?
Mein Arzt sagt: „Solange sie positiven Stress haben, ist alles toll. Wenn sie sich aber genervt fühlen, dann müssen sie das unterbrechen.“ Das mache ich jetzt auch häufiger: Ich gehe etwa öfter nach einem Gespräch schneller weg, bleibe nicht mehr endlos sitzen. Oder ich gehe abends allein früher ins Bett, und meine Frau bleibt noch auf oder trifft Freundinnen. Früher habe ich bei Inszenierungen oft, weil ich zu viel Zeit hatte, zu lange überlegt – und habe die Sachen dann vielleicht zerstört. Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, hatte immer Angst, dass ich vor der Premiere alles kaputt mache – aus Langeweile. Weil ich eigentlich fertig war, noch Zeit hatte und dann angefangen habe, alles noch mal zu bügeln.
Sie sprachen von Ihrer Zeit an der Volksbühne. Inwiefern hat sich Ihr Blick auf Ihre zurückliegenden Arbeiten seit der Krebsdiagnose geändert?
Gehen Sie heute kritischer mit Ihrem bisherigen Werk um? Ich kann heute öfter mal zugeben, wenn etwas nicht so gut war. Ich ärgere mich zum Beispiel richtig über mich, dass ich vor vier Jahren, als ich für mein Projekt „African Twin Towers“ in einem Slum in Namibia einen Animatographen aufgebaut habe, den nicht dort gelassen habe. Aber ich dachte damals: „Das ist Kunst, das muss ich irgendwo zeigen.“ Das war nicht effektiv. Das muss ich mir heute eingestehen. Manchmal habe ich nur getrommelt, um hörbar zu sein.
Ist der Aktionismus, der Zorn des frühen Schlingensief einer neuen Zufriedenheit gewichen?
Das kann sein. Vielleicht freue ich mich heute manchmal mehr – weil die Situation drumherum halt nicht so ideal ist. Meine Krankheit ist ja auch für meine Frau Aino wahnsinnig belastend. Dann versuchen wir, uns eine Illusion, eine Hoffnung auszumalen. Die geht aber wieder kaputt. Das ist nicht leicht. Aber wütend werde ich heute auch noch – vor allem, wenn es um Ignoranz geht. Das habe ich jetzt bei der Flut in Burkina Faso erlebt: Da sitzen die Entwicklungshelfer im Hotel rum, fahren nicht raus zu den Leuten, schauen sich die Situation auf Handy-Videos an – und überlegen sich, wie man eine Wasserpumpe anschaffen kann! Bis die mal in die Puschen kommen! Da werde ich wütend – wenn ich merke, dass es um Selbstgefälligkeit geht, Leute die nur um sich selbst kreisen. Die eigentlich Entwicklungshelfer sind, aber die ganze Zeit auf einen Job mit bequemem Sessel in Berlin spechten.
Sie planen ein Opernhaus für Ouagadougou in Burkina Faso.
Dabei geht es nicht darum, dass ich den Leuten dort Bayreuth beibringe und zeige, was Wagner ist. Meine Herangehensweise ist eine andere: Das, was dort bereits vorhanden ist, muss sich kennenlernen, um zu begreifen, wie es sich entwickelt hat und in Zukunft weiterentwickeln kann. Deshalb fängt mein Projekt eben mit einer Schule an. Das entwickelt sich gerade wie von selbst und gibt mir sehr viel Kraft.
Zurück nach Deutschland: Ende des Monats ist Bundestagswahl. Früher haben Sie den Wahlkampf mit Aktionen, gar der eigenen Partei „Chance 2000“ begleitet.
Ich bin immer noch so politisch wie früher. Nur fahre ich nicht mehr auf Plakatwände ab. Ich habe vor Kurzem ein wunderschönes Plakat aus der „Chance 2000“-Zeit gefunden, da lautete der Slogan: „Kein Konsens“. Das ist eine zentrale Forderung an Politik und an den Wähler.
Was erhoffen Sie sich vom Wahlausgang?
Dass ein Außenminister Guido Westerwelle nicht stattfindet. Die Neoliberalen haben doch immer propagiert, dass der Markt sich schon selber regelt und die Banker das im Griff haben – denen möchte ich den Braten jetzt nicht geben. Denn in vier Jahren wird doch sowieso ganz anders regiert, dann kommt die Rot-Rot-Grüne-Koalition. Dann wird es mal wieder hart in Deutschland, dann knallt’s mal wieder. Aber bis dahin müssen wir die nächsten vier Jahre überstehen. Und die verschenken wir bitte nicht an einen Typen wie Westerwelle, der nicht authentisch ist.
Merkur Online vom 14.09.2009, das Gespräch führte Michael Schleicher.