Der Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief über Krebs und sein Festspielhaus in Afrika
Von Matthias Heine
In seiner Wohnung im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg empfängt der krebskranke Christoph Schlingensief im Bademantel. Vor einer Woche hat er erfahren, dass sich neue Metastasen gebildet haben. Nun macht er eine Eigenbluttherapie, die Fieber auslöst. Trotzdem ist er gut gelaunt. Gerade sind er und seine Frau Aino Laberenz von ihrer Hochzeitsreise in die Dolomiten zurückgekommen. Vorher war Schlingensief in Mosambik, dem dritten Land, das der Regisseur und Aktionskünstler als Standort für sein Festspielhaus in Afrika ins Auge gefasst hat. Matthias Heine sprach mit ihm, kurz vor seiner Abreise nach Bremen, wo er gestern Charlotte Roches Gast in der Talkshow „3 nach 9“ war.
Die Welt: Wie war es in Mosambik?
Christoph Schlingensief: Mosambik hat eine Riesenküste, an der die Drogen überall rankommen und überall weg können. Da werden wirklich extrem viele Gelder angeschwemmt. Es ist ungeheuer korrupt. Man kann auf dem Marktplatz von Maputo acht- bis zwölfjährige Mädchen praktisch im Schutze der Polizei kaufen. Es fahren Rolls Royce durch die Stadt, und Hugo Boss hatte gerade eröffnet.
Die Welt: Sie haben Henning Mankell getroffen, der seit langem in Mosambik lebt und dort ein Theater leitet.
Christoph Schlingensief: Ja. Wir haben uns in der Berlinale-Jury kennengelernt. Sein Theater liegt in der Innenstadt im Einkaufsbezirk von Maputo. Dort ist alles sehr gesetzt.
Die Welt: Und was hält Henning Mankell von Ihrer Idee eines Festspielhauses in Afrika?
Christoph Schlingensief: Der sagte mir: „Ich finde das Projekt gut, und ich gebe dir Geld.“ Er kommt am Wochenende auch nach München, um sich das Gastspiel meiner Inszenierung „Mea Culpa“ anzusehen. Aber Mosambik ist trotzdem nicht der Ort für das Festspielhaus. Es läuft derzeit auf Burkina Faso hinaus.
Die Welt: Wie war es dort?
Christoph Schlingensief: Ich habe den Studenten in der Uni erzählt, dass wir in Deutschland um zwölf Uhr nachts, wenn keiner es mitbekommt, die Schwarzen abschieben. Ein paar Monate später hatten wir Verhandlungen mit dem Außenministerium wegen des Geldes, mit dem Steinmeier das Festspielhaus unterstützen will. Da gibt es viele Leute, die erst mal abwarten wollen, ob der Westerwelle den Schlingensief auch noch mögen wird. So ein Beamter sagte zu meiner Herstellungsleiterin: „Wir haben einen Brief gekriegt von der Stellvertreterin des Botschafters in Burkina. Darin steht, dass Herr Schlingensief sich sehr negativ über Deutschland geäußert hätte. Das ist doch das reine Spitzeltum.“
Die Welt: Was spricht denn so sehr für Burkina?
Christoph Schlingensief: Vor allem Francis, mein Architekt, ein Häuptlingssohn. Der hat für unser Festspielhaus ein Modulsystem entwickelt: Das sind kleine 16-Quadratmeter-Räumchen, die sich aneinander anschließen wie Bausteine. Viele denken ja, ich setze da ein zweites Bayreuth hin. Aber das ist ja nicht mal im Ansatz die Idee. Es wird Wohnmöglichkeiten geben, eine Filmklasse, eine Fotoklasse und eine Musikklasse.
Die Welt: Die Idee eines Festspielhauses in Afrika klingt für viele nach einem größenwahnsinnigen Plan wie in Werner Herzogs Film „Fitzcarraldo“. Andere sprechen von Kulturkolonialismus und sagen, die Afrikaner benötigen ganz bestimmt niemanden, der ihnen europäische Oper nahe bringt. Wozu könnte Afrika ein Festspielhaus brauchen? Und wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Christoph Schlingensief: Das war, als ich in Manaus in Brasilien inszeniert habe. Dort steht ja wirklich das Opernhaus wie ein Ufo in der Stadt. Und Afrika spielte bei mir immer schon eine große Rolle seit 1993. Damals war ich mit Tabea Braun zusammen. Deren Vater war Missionspriester in Südafrika; der ist ausgewiesen worden, weil er sehr engagiert gegen Apartheid gekämpft hat.
Die Welt: Manche sagen, das Festspielhaus sei die Erlösungsidee eines kranken Europäers …
Christoph Schlingensief: Ich mache das nicht, um mich noch mal zu verwirklichen. Oder um gesund zu werden. Allerdings spüre ich in Afrika manchmal Kräfte, die ich hier nicht habe. Ich möchte, ganz pathetisch gesagt, auch etwas zurückgeben: Ich habe immer Flächen bekommen, auf denen ich etwas ausprobieren konnte. Selbst bei dem alten Wolfgang Wagner, wo man dachte, der hat ja nicht alle Tassen im Schrank, als er mich in Bayreuth den „Parsifal“ inszenieren ließ – und dass er mich geholt hat, war ja auch der Beweis für seinen Zustand (lacht). Aber ich verspüre natürlich stärkeren Zeitdruck als früher. Das ist die Scheiße: Ich würde gerne noch mal einfach in den Tag hinein leben.
Die Welt: Warum unterstützt der Bundesaußenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier Ihr Projekt?
Christoph Schlingensief: Er kam bei der Berlinale an meinen Tisch. Steinmeier wollte wirklich mal wissen, was das für eine Idee ist. So ähnlich habe ich das mit Horst Köhler auch schon erlebt. Der kam in einer Aufführungspause meiner Operninszenierung „Die Heilige Johanna“ auf mich zu. Als ich ihm von den Afrikaplänen erzählte, hat er mir zwei Leute gegeben, die wir jetzt immer kontaktieren, wenn wir Fragen haben.
Die Welt: Müssen Sie jetzt SPD wählen?
Christoph Schlingensief: Ich habe keinerlei Verpflichtungserklärung unterschrieben, dass ich jetzt im Wahlkampf mit Steinmeier und Günter Grass irgendwo winken muss. Allerdings habe ich keine Skrupel zu sagen: Das Wichtigste ist, dass man einfach diese FDP wegjagt. Ich mag diese Partei nicht, weil dort viele Leute genau die neoliberale Marktwirtschaft propagiert haben, die den Dreck angerichtet hat, in dem wir jetzt stecken. Und dass diese Leute jetzt zusammen mit der CDU das Sagen haben sollen – das gönne ich ihnen einfach nicht. Ich will nicht sehen, wie Guido Westerwelle als Außenminister in Israel herumläuft. Der hat schon so viel Scheiße gebaut – diese Aktion 18, das ging einfach gar nicht. Es sollen doch bitte nicht die Leute darauf reinfallen, die jetzt glauben, wenn sie die FDP wählen, zahlen sie fünf Prozent weniger Steuern.
Die Welt: Sie waren mit der Berlinale-Jury auch bei Angela Merkel im Kanzleramt eingeladen.
Christoph Schlingensief: Das war erschreckend. Da sitzen ihr Henning Mankell und Tilda Swinton beim Kaffeetrinken gegenüber, und sie stellt keine Fragen. Da wird nur gefragt, ob man noch ein Stückchen Kuchen möchte. Im Büro zeigte sie uns so eine potthässliche Marmorplatte mit Kamelen an der Tränke, die ihr irgendein Ölscheich geschenkt hatte. Das mussten wir uns alle angucken. Und als ich mal auf das Adenauer-Porträt von Kokoschka zuging, was wirklich ein schönes Bild ist, dann sagte sie nur: „Ja, aber machen Sie es nicht kaputt, Herr Schlingensief, ha, ha, ha.“ Mankell, Tilda und Wayne Wang haben hinterher unabhängig voneinander gefragt: „Ist die immer so?“
Die Welt: In Ihrem „Schlingenblog“ ist ein Video zu sehen, das Sie als Michael-Jackson-Imitator zeigt. Was hat es damit auf sich?
Christoph Schlingensief: Als Michael Jackson gestorben ist, kam ich in den Frühstücksraum vom Juliushof in Wien, und die Schauspielerin Margit Carstensen saß total geknickt da: „Michael ist tot.“ Daraufhin habe ich beschlossen, abends in der Vorstellung von „Mea Culpa“ den Jackson zu machen. Bei der Probe habe ich während des Tanzens vergessen zu atmen. Als ich nach gut einer Minute hinter die Bühne bin, habe ich gedacht, ich sterbe. Dann kam die Feuerwehr mit dem Beatmungsgerät. Abends hat das Publikum getrampelt, und Margit hat mich angestrahlt und war völlig begeistert. Das macht ja große Laune zu sagen: „Jetzt lachen wir mal wieder alle und jetzt hören wir mal auf, traurig zu gucken.“
Die Welt: Wie geht es Ihnen denn gerade?
Christoph Schlingensief: Das Körperliche ist besser geworden. Durch die Wanderungen habe ich mehr Lungenvolumen bekommen. Und ich wiege auch fünf Kilo mehr als in meiner tiefsten Zeit mit 69 im September 2008 während der Proben zu „Eine Kirche der Angst“. Der Körper überrascht einen: Zum Beispiel habe ich durch die Medikamente Löckchen bekommen. Mit Francis und dem Team witzele ich immer: Nun kriege ich wegen Afrika auch noch Löckchen.
Die Welt: Umso schlimmer muss Sie die Rückkehr des Krebses getroffen haben?
Christoph Schlingensief: Wir haben nicht damit gerechnet. Wir haben nach dem Urlaub soviel Energie gehabt. Da merkst du auch, wie sehr der Mensch wirklich abhängig ist von Glücksbildern. Das ist sein gutes Recht. Das hab‘ ich früher nicht so gesehen. Damals habe ich gedacht, man muss den Leuten beibringen, dass das alles Täuschung ist. Heute finde ich es besser, wenn sie sich bewusst täuschen. Wie viele Frauen laufen in Berlin-Marzahn herum mit vier verschiedenen Farben im Haar und meinen, das sieht toll aus! Aber wenn sie es schön finden, dann ist das auch so. Man braucht solche Bilder. Auch wir haben diese Täuschung gebraucht. Wir haben sogar über die Adoption eines Kindes nachgedacht, weil ich keine Kinder machen kann – nix drin in meinem Sack. Und jetzt ist dieses Bild wieder zerbrochen. Das war so hart.
Die WELT, 12. September 2009