Christoph Schlingensief beeindruckte in München mit einer Inszenierung, in der er die Katastrophe seiner Krebserkrankung mit allen Mitteln der Kunst verwob: Mea Culpa
Vor seinem ersten Auftritt in der Bayerischen Staatsoper ist der Krebs zurückgekehrt: Als Christoph Schlingensief während der Aufführung seines Opernprojekts «Mea Culpa« am Sonntag aus dem Zuschauerraum selbst auf die Bühne des Münchner Nationaltheaters kommt, wissen wohl fast alle im ausverkauften Haus, was der Regisseur zwei Tage zuvor in der Talkshow «3 nach 9« Moderatorin Charlotte Roche eröffnet hat: Seine Genesung vom Lungenkrebs hat einen Rückschlag erlitten, neue Metastasen haben sich gebildet.
Dunkelpausen werden länger
Umso beklemmender wirkt es, wenn Schlingensief jetzt, an einem Tisch mit Leselampe an der Rampe sitzend, eingeblendete Filmaufnahmen seiner zwei Jahre zurückliegenden Inszenierung des «Fliegenden Holländers« im brasilianischen Manaus kommentiert: «Die Dunkelpausen werden länger«, sagt er, «das interessiert mich immer mehr – diese Phasen, in denen man nichts sieht.« Und gleich darauf schimmert die Einblendung «Ein Blick ins Jenseits« über Schlingensiefs Kopf.
Dieser Kurzauftritt Schlingensiefs ist der intensivste Moment von «Mea Culpa«, das der Regisseur eine «ReadyMade Oper« nennt. Deren Versatzstücke kreisen auf einer Drehbühne gedanklich und emotional immer noch um jenen «Parsifal«, den Schlingensief von 2004 bis 2007 bei den Bayreuther Festspielen inszeniert hat und dem er heute eine entscheidende Mitschuld an seiner Krebserkrankung gibt.
Dabei ist «Mea Culpa« eigentlich als fröhliches Stück gedacht, als befreiend auflachender Abschluss einer Trilogie über Schlingensiefs Leben und seine Todeskrankheit: «Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« und «Der Zwischenstand der Dinge« waren zuvor, jetzt sollte «Mea Culpa« eine Art Auferstehungsfeier sein – und damit als Gastspiel des Wiener Burgtheaters die Saison der Münchner Oper eröffnen. Tatsächlich greift auch im Stück selbst der erkrankte Schlingensief – der von Joachim Meyerhoff gespielt wird – wieder vital nach der Macht des Theaterregisseurs. Die zu Heilungszwecken erfolgte «Parsifal«-Aufführung in einer esoterisch überdrehten Ayurveda-Klinik haben den Patienten nicht überzeugt – ebenso wenig wie die sonstigen Therapiemethoden in diesem Haus.
Der revitalisierte Regisseur scheitert aber dabei, nach dem Vorbild von Klingsors Zauberschloss im «Parsifal« auf der Bühne ein Reich des Rausches und der Entgrenzung zu schaffen. Nur die Flucht nach Afrika, nur die Schaffung eines eigenen Festspielhauses dort – was Schlingensief ja auch im wirklichen Leben plant – können noch helfen.
Schlingensief kreiert damit in «Mea Culpa« nicht nur eine ironische Paraphrase auf Richard Wagners Lebensprojekt, er klopft auch viele der in unserer Zeit gängigen Methoden der Suche nach Lebenssinn und Gesundheit ab – dass da vieles angesichts der Krankheit und des Todes hohl klingt, ist wahrlich nicht Schlingensiefs Schuld.
Viele prominente Darsteller helfen ihm dabei: Irm Hermann etwa, oder Fritzi Haberlandt, die zugleich Schlingensiefs Ehefrau Aino Laberenz und die junge Witwe von Jörg Immendorff spielt.
Die Bühne des Lebens
Viele Querverweise auf Goethe, Nietzsche, Joseph Beuys oder Elfriede Jelinek, Musik von Schönberg, Schubert oder Schumann, vertäuen «Mea Culpa« fest in der Kunstwelt; den festen Sockel aber bildet Richard Wagner. Vom «Parsifal« ist Schlingensief immer noch nicht losgekommen; bei «Isoldes Liebestod« weigert er sich schließlich, die Bühne des Lebens schon jetzt zu verlassen – er wolle hier auf Erden noch so viel tun, sagt er. Wollen wir hoffen, dass Schlingensief dieser Wunsch noch möglichst lange erfüllt wird.
Viel Applaus für diesen besonderen und berührenden Spielzeitauftakt in München.
Thomas Heinold
Nürnberger Zeitung vom 15.09.2009