Is there anybody out there? (Drehtagebuch Teil 1)

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Is there anybody out there?. Erster Teil des Schlingensief Drehtagebuchs (19.10.2005). Von Claus Philipp.

Mittwoch, 11.30. Vor gut drei Stunden ist die Hälfte des Teams in Richtung Fish River Canyon, für einen zweitägigen Trip und Aussendreh, abgefahren. Großartig, ohne Drehbeobachter. Nicht genug damit, dass ich hier jetzt relativ nutzlos in der Landschaft herumhänge: Gestern vermutlich leichter Sonnenstich, erst heute ein Käppi besorgt, vorher die halbe Nacht kotzend auf dem Klo. Hänge also leicht sediert im Innenhof des Obelix Village Lodge oder versuche E-Mails zu schreiben, oder ernsthaft die Frage anzugehen, wie man so ein Online-Tagebuch angeht, oder einen Drehbericht, wie auch immer. „Du kannst ruhig schreiben, was hier abgeht“, meint Dramaturg Jörg van der Horst. „So richtig eskalieren tut die Lage ja noch nicht.“ Als ich am Sonntag mit Patti Smith hier ankam, war nämlich ein, so Christoph Schlingensief, „schwarzer Tag“. Später erzählt er über seinen schwerkranken Vater, von Telefonaten mit zuhause, seiner Mutter in Oberhausen, die um Verständnis für seine, Christophs Abwesenheit, gerade jetzt, ringt: „Hoffentlich tust du genau das, was du dir gewünscht hast und wirklich machen willst.“

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Komisch das Gefühl, auch dies sei längst ein „dokumentarisch“ gestalteter Bestandteil des Films. „The African Twin Towers“ erzählt ja zumindest phasenweise gerade diese Geschichte: Ein Regisseur rast mit höchster Ambition nach Südwestafrika und reibt sich im Dienste von Wagnerfestspielen auf. Schlingensief: „Ich werde jetzt ein paar Tage allein ins Hinterland fahren und ihr macht hier von mir aus mit eurem Film‘ weiter“. „Was will er?“, fragt Irm Herrmann. „Er will uns hier zurücklassen“, stichelt Robert Stadlober, und, einige Minuten später, durchaus guter Dinge: „Beim einem Dreh in Rumänien, da haben Sie uns einmal das gesamte belichtete und unbelichtete Filmmaterial geklaut. Das war viel schlimmer als das hier.“ Am Schneidetisch sehe ich mir ein paar Szenen an: C.S., wie er die „Familie Wagner“ inszeniert, wie sie die Drehbühne des Animatographen, oben im Township der zwangsausgesiedelten Armen der Ärmsten, in Gang setzen. Der Wind reisst an ihren Gewändern und Haaren, als würde er alle gleich wegtragen. Man muss gegen ihn anbrüllen. Im Hintergrund schwarze Slumbewohner, amüsiert bis erstaunt. Christoph ist das Ganze dennoch zu kompakt: „Diese Zweidimensionalität, das brauch ich nicht mehr, bei ‚Terror 2000‘ wäre ich damit noch zufrieden gewesen, aber jetzt: Nein, das ist nicht das was ich will. Das sind bestenfalls ein paar nette, lustige Szenen.“ Der Produzent Frieder Schlaich weiß noch nicht recht, was er von der angekündigten Abreise halten soll. Irm Hermann: „Extra wegen ihm habe ich jetzt kurzfristig ein Hörspiel in Deutschland abgesagt. Wenn der jetzt abhaut, dann reise ich ab.“ Stadlober blättert mäßig aufmerksam in Enzensbergers „Der kurze Sommer der Anarchie“ herum. „Was will der Christoph?“, fragt Norbert Losch. Stadlober: „Er will uns hier allein zurücklassen.“ Tja. Patti Smith, mit leichtem Sprachvorteil, weil sie des Deutschen nicht mächtig die ganze Bedrücktheit bestenfalls atmosphärisch mitkriegt: „Ich hab ihm versprochen, dass ich nach Namibia kommen werde, mit meinem alten schwarzen Lieblingsmantel und meiner Klarinette. Na, und da bin ich jetzt – ich will helfen.“ Nach dem langen Flug von Brüssel über Frankfurt und Windhoek ziemlich übermüdet, findet sie die ganze Situation auf mysteriöse Weise interessant, „ein Abenteuer“. Immer noch schwärmt sie vom Parsipark in Neuhardenberg. Später kann C. S., positiven Rückmeldungen nicht abhold, diese Faszination wieder nachvollziehen. Weiterhin behält er sich die Abreise vor, vorher soll aber immerhin noch das Schiff hinauf auf den Berg, in die sogenannte Area 7, auf die Drehbühne des zukünftigen Animatographen. Das „Schiff“ ist ein uraltes von Wind und Sand abgeschliffenes kleines Fischerboot. Christoph (als Odin angetan mit schwarzer Langhaarperücke und Augenklappe), Klaus Beyer (als Hagen voin Tronje), Björn Thors (als Jesus und Noah in einer Person), Karin Witt (als Edda) treiben am darauffolgenden Vormittag ein ziemlich hypnotisches Orgien-Hysterientheater.

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Die schwarzen Arbeiter, die links und rechts schieben, was das Zeug hält, sind begeistert. Viele freuen sich über Schwarzweiß-Polaroids, die Patti von ihnen macht, mit einer steinzeitlichen Kamera. In ihrem Mantel und wie sie sich am Straßenrand hinkauert, wirkt sie wie die absurdeste Set-Fotografin aller Zeiten. Hinter dem Boot eine brutale Kerbe die Straße hinunter, Christoph fotografiert sie mit zunehmender Begeisterung. Dann wieder: „Halleluja!“ Hallende Rezitative aus der „Edda“ und aus der „Bibel“. Björn ist nicht nur ein genial abgefuckter Jesus, sondern auch ein begnadeter Steuermann. Nur einmal kippt das Schiff, sehr „Fitzcarraldo“-mäßig. Fast hätte der herabkrachende Mast Patti Smith erschlagen. Als wollten himmlische Mächte bestätigen, dass die Botschaft angekommen ist, jähe Regen und Hagelschauer oben beim Animatographen. Nachdem ich mit dem Bus lange hinter dem Boot hergefahren bin, finde ich mich beim Versuch, das Auto ausser Sichtweite der Kameras zu parken, plötzlich in der alten Township, dem sogenannten Cent Hotel wieder, eine riesige Anhäufung von Abfall und Wellblechhütten, die man von Lüderitz aus nicht sehen kann/will. In meinem privaten Lüderitzfilm ist das ein Schnitt wie ein Filmriss. Später an diesem Montag folgt eben hier, auf einem Friedhof, der auch eine perfekte Location für Zombie-Filme von George Romero abgeben würde, ein weiterer Dreh.

Patti Smith beginnt mit Kindern zu spielen. Sie halten ihr Haar für eine Perücke, lassen sich nur mit persönlichen Zupfen und Anfassen vom Gegenteil überzeugen. Ein paar der Kids haben schnell einen Songtexte gelernt: „People have the Power.“ – Norbert Losch: „Was macht denn die überhaupt?“ Es fällt der Begriff „Rockstar“. Losch, zum Produzenten: „Frieder, jetzt machste aber schnell ein Foto von uns beiden. Das nehm ich für meine Memoiren.“

Fortsetzung folgt. Lesen Sie morgen: Wie man in Lüderitz mit „arroganten“ Künstlern umgeht; die Arbeitsverhältnisse rund um den Animatographen; ein Abend frei nach „Chapaqua“ und Viscontis „Die Verdammten“….

Claus Philipp, Kulturressortleiter und Filmkritiker des STANDARD, ist derzeit zu Besuch beim Dreh in Lüderitz. 2006 wird er ein Buch über die Filme und Aktionen von Christoph Schlingensief herausgeben.