Der Regisseur Christoph Schlingensief begann am Montag im Schauspiel Frankfurt die Lesereise zu seinem neuen Afrika-Projekt
Was für eine Kraft. Zweieinhalb Stunden lang hat Christoph Schlingensief am Montagabend im Frankfurter Schauspielhaus gesprochen, gestikuliert, gesungen und auch den Himmel angerufen. Er ganz allein, an einem Tisch vor rund 700 Zuschauern, ohne ein Manuskript. Und ohne, wie es angekündigt war, wirklich aus dem Buch über seine Krebserkrankung zu lesen.
Ein Mann, und volles Haus. Als der Zweieinhalbstundenmonolog dann vorbei war, da stellte sich der Schlingensief neben den Tisch und nahm verlegen den Beifall der Siebenhundert entgegen. Und er, der „nach einem superguten Ergebnis“ der Nachsorgeuntersuchung kürzlich „wieder einen Knubbel“ unter dem Arm und also Metastasen bei sich entdeckt hat, wirkte mit einem Mal nicht mehr stark sondern schutzbedürftig. Mehr als 65 Kilo sind ihm nicht geblieben, um die große Emphase und den Elan zu tragen.
„Ich möchte nicht da rauf, ich möchte hier unten was machen“, lautete Schlingensiefs, 48, Appell an den Himmel. Was genau ihn bei dem Projekt „Ein Festspielhaus für Afrika!“ umtreibt, ließ er in den wortreichen Schilderungen vom Elternhaus am Oberhausener Altmarkt über seine diversen Politkunst-Aktionen bis zur „Wunde Parzival“, die ihm der Wagner-Clan 2004 bei der Regiearbeit in Bayreuth geschlagen hat, nur allmählich anklingen.
„Probenbeschau“, Kamera-Überwachung, ständig belehrende Briefe: „Da habe ich mir meinen Krebs geholt“, rechnet sich der Künstler aus, seit er gehört hat, dass die Krankheit vor etwa fünf Jahren, also in Bayreuth entstanden sein muss. Und nun hat Schlingensief den Plan, „in Afrika die ganze Scheiße der Kolonialzeit abzuarbeiten – wie ich meinen Krebs“.
Als dann die standing ovations abgeebbt waren, bildete sich im Theatersaal eine lange Schlange von Leuten, die einen Anteilsschein für das Projekt zeichnen wollten. Die Theaterleitung hatte mit den Einnahmen aus den Eintrittskarten den Anfang gemacht. Schon im Dezember soll ja Baubeginn sein, beim „Operndorf“ in Burkina Faso, zweieinhalb Stunden entfernt von der Hauptstadt Ouagadougou. Zum Operndorf gehören Schule, Musikschule, Filmklasse, Krankenstation, Pension und Restaurant. Und vielleicht viel mehr. Je nachdem.
Man kann Baumodule dafür erwerben, ein jedes steht für 16 Quadratmeter Wohn- oder Lehrfläche. Die Module hat der aus Burkina Faso stammende Architekt Francis Kéré entwickelt. Sie bestehen aus zwanzig Teilen und jedes kostet 50 Euro. Die Krankenstation, beispielsweise, ist für 4000 Module zu haben.
„Kommt mit, guckt euch das an!“ lautete Christoph Schlingensiefs Einladung an das Publikum. Nicht weniger als „der spirituelle und kulturelle Schatz, den die da in Afrika haben“ sei zu entdecken. Und die „Explosionen“ in Kinderköpfen, die beim Buchstabenlernen „kapieren, dass sie sich mitteilen können“. Statt beim Fingern am Gameboy oder am Handy „zu verblöden“, wie Kinder hier.
Viele sind inzwischen bei Schlingensief im Boot: Rupert Neudeck, Herbert Grönemeyer, Bundespräsident Horst Köhler sowieso. Henning Mankell hat mal eben „bei einem Abendessen“ 100.000 Euro zugesagt. Von der Ruhr-Trienale kommt eine komplette Bühne; ab Februar gibt es in Burkina Faso darum „jeden Abend Show“.
Was allerdings die Bundesregierung angeht, sei Eile geboten, auf dass Zusagen des abgewählten Außenministers Frank-Walter Steinmeier „schnell unter Dach und Fach kommen“. Bevor dann „Herr Westerwelle das Büro übernimmt“. Von dem hält Provokateur Schlingensief nicht viel.
Frankfurter Rundschau vom 06.10.2009