Der Regisseur hat ein Buch über sein Krebsleiden geschrieben – Heute kommt er zu einer Benefiz-Lesung ins Thalia Theater
HEIKO KAMMERHOFF
Oft war es spätnachts, wenn Christoph Schlingensief (48) das Diktiergerät rausholte und seine Angst, seine Wut und seine Hoffnungen festhielt. Daraus entstand sein „Tagebuch einer Krebserkrankung“ mit dem lebensbejahenden Titel „So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein!“. Es wurde zum Bestseller. Heute liest er daraus im Thalia – und sammelt Spenden für sein „Festspielhaus für Afrika“. Mit der MOPO sprach der Regisseur vorab über seine Krankheit und seine Träume.
MOPO: Wie geht es Ihnen?
Christoph Schlingensief: Ich habe im Moment eine gute Zeit. Vor vier Wochen sind wieder Metastasen entdeckt worden. Aber nach der medikamentösen Behandlung habe ich das Gefühl, dass sie zurückgehen. Und ein Knubbel auf dem Rücken, der plötzlich da war, ist auch wieder weg. Die Ärzte sind etwas ratlos, weil das Medikament normalerweise nicht so schnell anspringt …
MOPO: Denken Sie viel über Therapien nach?
Schlingensief: Wenn man sich auf alles einlässt, was einem die Leute empfehlen, wird man irgendwann verrückt. Chemo ist sinnvoll, man muss sich nur bewusst sein, was für ein Hammer das ist. Aber was tut man nicht alles, um länger zu leben. Denn wenn man beim Aufwachen ein Stoppschild vor dem Gesicht hat, wird das Leben zu einer komischen Sache: Alle haben Elan, man selbst hat schwarze Gedanken, und man weiß nicht, was mit einem los ist.
MOPO: In welchen Zeiträumen planen Sie?
Schlingensief: Mit der Oper in Amsterdam habe ich für 2012 eine Verpflichtung, und auch mit Daniel Barenboim habe ich dann etwas vor. Das ist ein großes Glück. Das Schlimmste ist ja, mit so einer Diagnose allein dazusitzen. Ich finde es wichtig, über die Sache zu sprechen und auch mal weinen zu dürfen.
MOPO: Sie sind der prominenteste Patient Deutschlands: Suchen viele Leute bei Ihnen Hilfe?
Schlingensief: Ja, das passiert. Aber ich bin kein Heiler. Ich kann nur sagen, dass es Menschen gibt, die mit einer dicken Haut durchs Leben gehen und manche, die empfindlicher sind, die die hektischen Zeiten nicht verkraften. Da kommt es dann wie beim Apfel zu faulen Flecken. Der Mensch ist als autonomes Wesen ganz entscheidend an Krankheit und Therapie beteiligt.
MOPO: Deswegen auch Ihr Buch?
Schlingensief: Das war zunächst nur für mich. Die Diskussion, dass man solche Krebsliteratur nicht veröffentlichen sollte, ist aber arrogantes Gefasel.
MOPO: Wie ist die Idee zum Festspielhaus in Afrika entstanden?
Schlingensief: In vielen meiner Arbeiten – etwa der Bahnhofsmission in Hamburg oder später der Partei „Chance 2000“ – wollte ich immer den Unsichtbaren einen Platz einräumen, ihnen zuhören. Ich zwinge sie aber natürlich nicht, Wagner zu lernen.
MOPO: Sondern?
Schlingensief: Ich will eine Einrichtung schaffen, ein Arche-Noah-Operndorf würde ich es fast nennen. Wir bauen eine Schule, dazu kommen Musik- und Filmklassen, Kunst … Die Leute müssen selbst in die Haftung eintreten. Das geht nur, wenn jeder mit jedem eine Abmachung hat. Das verhandeln wir gerade in Burkina Faso.
MOPO: Wie begegnen Ihnen die Leute dort?
Schlingensief: Ich bin der „weiße Bruder“ an der Seite des Architekten Francis Kéré. Burkina Faso ist kein Urlaubsort, aber ich merke immer, dass ich dort mehr Kraft bekomme. Afrika hat spirituelle und kulturelle Schätze, die wir schon lange verspielt haben. Davon können wir viel lernen.
MOPO: Ist Afrika ist für Sie ein Sehnsuchtsort?
Schlingensief: Sehnsucht ist da ganz sicher drin. In Afrika ticken die Uhren anders. Und das tut sehr gut. DAS INTERVIEW
Befreit wie Kinder im künstlichen Regen: der Architekt Francis Kéré an der Seite seines „weißen Bruders“ Christoph Schlingensief in Burkina Faso
Info:
– Lesung Heute, 20 Uhr, Thalia Theater, 5-22 Euro
– Buch „So schön wie hier …“, Kiepenheuer & Witsch, 18,95 Euro
– Spenden & Info: http://www.festspielhaus-afrika.com
Hamburger Morgenpost vom 10.10.2009