„MEIN TRAUM WÄRE, DASS DER KREBS EINFACH STILLSTÜNDE“ (BZ)

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Anfang 2008 wurde bei Christoph Schlingensief Lungenkrebs diagnostiziert. Seitdem hat sich der Regisseur auch in seiner Kunst viel mit der Krankheit beschäftigt. Am Sonntag um 11 Uhr ist er zu Gast im Theater Freiburg. Ein Interview mit dem 48-Jährigen.

BZ: Herr Schlingensief, wie geht es Ihnen im Moment?
Christoph Schlingensief: Ich gehe jetzt gleich in die Röhre [gemeint ist der Computertomograph, die Red]. Von daher bin ich gerade etwas angespannt. Vor sechs Wochen wurden Metastasen in der rechten Lunge entdeckt – deshalb bin ich jetzt wieder mit Medikamenten zugange. Vor zwei Tagen war ich eher down. Man kommt sich gelähmt vor. Heute fühle ich mich wie vor einer Klassenarbeit oder einer Premiere, dabei wollte ich eigentlich nie mehr in meinem Leben eine Klassenarbeit schreiben. Mein Traum wäre, dass der Krebs einfach stillstünde oder zurückginge. Das wäre das Tollste. Sonst geht es mir aber sehr gut: Die Lesereise ist klasse, die Leute sind unheimlich bei der Sache. Das gibt mir sehr viel Kraft und macht Spaß.

BZ: Hatten Sie zwischenzeitlich schon einmal das Gefühl, über den Berg zu sein?
Schlingensief: Man ist nie ganz sicher, das habe ich gelernt. Man kann dank der Schulmedizin diese Krankheit teilweise als chronisch einstufen, bis vor einigen Jahren war Krebs ja das absolute Todesurteil. Auf diese Entwicklung setze ich natürlich – darauf, dass sich in den nächsten drei Jahren, so ich denn durchhalten sollte, noch mehr tun wird. Das Schlimme an dieser Krankheit ist, dass sie einen zermürbt und einem immer wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Da muss man mental dran bleiben und sich auch mal selbst belügen und sagen: „Mir geht’s doch prima“. Aber natürlich weiß ich: Der Krebs ist ein Dreckschwein, auch wenn er mir einige neue Wege und Blickrichtungen geöffnet hat. Natürlich wäre ich ihn gerne los.

BZ: Es gibt auch Kritik daran, dass Sie sich und Ihre Krankheit so öffentlich machen.
Schlingensief: Ja, es gibt Typen, die sagen, dass kranke Menschen die Klappe halten und in Würde sterben sollen. Das finde ich sehr arrogant. Ich bekomme Berge von Briefen, viele erkrankte Menschen sagen, dass sie wegen ihrer Sprachlosigkeit einen großen Alptraum erleben. Dass ihnen niemand zuhört und sie nicht wissen, ob andere auch ihre Ängste empfinden. Bei 8 Millionen Büchern über die Liebe und 5000 Büchern über den neuen Porsche können 60 Bücher über Krebs die Suppe nicht versalzen.

BZ: Wieso haben Sie Ihre Krankheit in einem Buch verarbeitet?
Schlingensief: Ich habe das ursprünglich nur für mich selbst nachts in mein Diktiergerät geredet, immer dann, wenn ich Angst hatte und keiner da war. Das war wie eine Mülltonne. Eine Befreiung. Ich habe mir das dann gar nicht mehr angehört. Als Intendant Armin Petras vom Berliner Gorki-Theater mich fragte, ob ich das inszenieren will, habe ich die Texte für eine Ausstellung im Kunstverein Innsbruck abgetippt. Und nach der ersten Inszenierung am Gorki [„Der Zwischenstand der Dinge“, die Red.] kam dann die Idee auf, ob ich das als Buch herausbringen könnte.

BZ: Mussten Sie Ihr Leben durch den Krebs komplett umstellen oder haben Sie versucht, weiterzumachen wie bisher?
Schlingensief: Es gibt Leute, die bekommen eine Chemotherapie und gehen danach arbeiten. Ich konnte das nicht, ich war danach völlig fertig. Ich habe weniger gekotzt, aber psychisch einen Knacks bekommen. Ich fand die Vorstellung schlimm, dass ich eine Chemo mache und mich alle Zellen regelrecht anschreien, warum ich das mache. Ich bin ab und zu von einer starken Depression gestraft. Wenn ich arbeite, dann geht das nur mit einem großartigen Team, mit Leuten, die wissen, dass ich nach zwei Stunden auch mal wieder weg bin, rumsitze und ein bisschen vor mich hinzittere. Arbeiten ist schon sehr wichtig, um nicht zu sagen lebensrettend. Nur kann ich nicht mehr wie früher fünf Mal die Woche fliegen. Ich habe auch nicht mehr die Hektik wie früher, bin geduldiger und gelassener und bei der Arbeit konzentrierter. Ich kann jetzt ganz wenig anfangen mit vergeudeter Zeit und reinem Blödsinn.

BZ: Machen Sie Pläne für die Zukunft?
Schlingensief: Ja. 2012 ist eine Operninszenierung in Amsterdam geplant, und ich habe schon eine Anfrage für 2014. Die Leute sagen, dass es sie jetzt gar nicht interessiert, ob ich dann noch da bin oder nicht. An der Deutschen Oper Berlin habe ich „die Heilige Johanna“ vom Krankenbett aus gemacht, das ging, weil wir alle zusammen gearbeitet haben. Es geht nur im Team – wenn ich zu schwach war, ging es ohne mich weiter, und ich konnte dann wieder kommen und es wieder umbiegen.

BZ: Und was hat es mit Ihren Plänen für ein Festspielhaus in Afrika auf sich?
Schlingensief: Ab Januar soll mit dem Bau einer Schule für 500 Kinder begonnen werden – inklusive einer Musik- und eine Filmklasse. Dazu soll es eine Krankenstation für Aidskranke geben. Von der Ruhrtriennale habe ich ein ganzes Theater in elf Containern geschenkt bekommen – ein ganzer Bau für 500 Zuschauer. Wir brauchen 1,4 Millionen Euro, etwa 700.000 Euro haben wir bis jetzt beisammen. Ich habe Henning Mankell in Mosambik besucht, er steuert 100.000 Euro bei, da bin ich vor Begeisterung vom Stuhl gefallen. Ich treffe in diesem Monat auch noch Bundespräsident Horst Köhler, auch das auswärtige Amt unter Frank-Walter Steinmeier hat 200.000 Euro gegeben. Und wir haben jetzt auf der Lesereise schon richtig Geld eingenommen, die Leute haben sogar noch zusätzlich zum Eintrittspreis gespendet. Solange ich kann, werde ich sammeln. Ende des Monats werde ich nach Burkina Faso fliegen. Ich hoffe, dann die Verträge zu machen.

BZ: Sie klingen voller Tatendrang.
Schlingensief: Mein Arzt hat mir mal gesagt, dass ich mir Afrika, Menschenansammlungen, das Herumfahren und Fliegen abschminken könnte. Ich habe das bis jetzt anders gemacht, war in Mosambik, Kamerun und Burkina Faso – ich glaube, dass das richtig für mich war und ich mehr erreichen konnte, indem ich mich bewegt habe. Würde ich nur auf die Schulmedizin hören, dann säße ich nur hier hätte Angst zu sterben. Das bringt nichts, dafür ist die Zeit zu knapp.

Aus: Badische Zeitung vom 16. Oktober 200

Das Interview führte Frank Zimmermann