Christoph Schlingensief im west.art Interview, Sendetermin im WDR Fernsehen, 27.10.09, 22.30 Uhr, Wiederholung am 02.11.09, 10.50 Uhr
Man kann nicht einfach wie gehabt in den Tag hineinleben, sondern alles ist aufgeladen mit Bedeutung – seine Krebserkrankung lässt ihn die Welt mit mehr Empathie sehen: Christoph Schlingensief erzählt im Capriccio-Interview, dass er sich insgesamt mehr einfühlen kann: Wie man außerhalb der Gesellschaft steht, nicht mehr drin ist, sich einsam fühlt … Dabei steckt Schlingensief mitten in einem neuen Großprojekt. Das klingt ein wenig nach „Fitzcarraldo“: In Werner Herzogs Film will ein Opernliebhaber – gespielt von Klaus Kinski – mitten im südamerikanischen Urwald ein Opernhaus bauen. Und Schlingensief plant jetzt ein Festspielhaus in Afrika – in Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt. Nein, mit „Fitzcarraldo“ hat das gar nichts zu tun! Um einen exotischen Schauplatz geht es Schlingensief nicht, nicht um Tourismus, und mit Kulturimperialismus hat er ebenfalls nichts am Hut. Sein Festspielhaus will er verstanden wissen als „Initiative zu Eigeninitiative, die von einem erweiterten Opernbegriff ausgeht“. Er wünscht es sich „als Organ, das den Kreislauf zwischen der Oper und seiner ursprünglichen Umgebung wieder herstellt“. Und sein Festspielhaus soll so auch Schule, Krankenstation, Film- und Musikklasse beinhalten.
Entwicklungshilfe also? Nein, auch klassische Entwicklungshilfe – verstanden als Transfer von der Ersten in die Dritte Welt – hat Schlingensief nicht im Sinn, im Gegenteil, er will von Afrika profitieren, will von den Afrikanern lernen. „Ich möchte, dass wir unseren Hochmut ablegen“, schreibt er auf seiner Website zum Projekt. Einen „Grünen Hügel“ brauchen sie dort nicht, weiß er, eine künstliche, lebensferne Opernwelt, während man draußen schwitzt und Malaria bekommt. Sondern eine Oper, die politisch und sozial wirkt – die wieder in der Welt ist. Vielleicht probt also Schlingensief seine Stücke schon bald in Burkina Faso und bringt sie von dort auch hierher, etwa in die Münchner Kammerspiele.
Autorin: Antje Harries, BR